Unterrichtspraxis NiU-Physik 2 (1991) Nr. 8 Wieviel wiegt eine Fliege? - Zum Bau und Eichen eines Meßgerätes von Helmut Dittmann, Werner B. Schneider Dr. Helmut Dittmann, geb. 1929, zur Zeit Seminarlehrer für Physik am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg Adresse: Löbleinstr. 10, 8500 Nürnberg. Prof. Dr. Werner B. Schneider, geb. 1940, seit 1982 Professor für Didaktik der Physik am Physikaliscchen Institut der Universität Erlangen- Nürnberg. Adresse: Staudtstr. 7, 8520 Erlangen Einleitung Das Thema "Bauen und Eichen ^1) eines Meßgerätes" ist, solange es sich um alltägliche Meßprobleme handelt, nach unseren Beobachtungen in der Regel weder für Schüler noch für Lehrer besonders motivierend. Gibt es doch gerade für die im Anfangsphysikunterricht auftretenden Meßprobleme bereits Geräte, die dem Schüler längst bekannt sind und die die anfallenden Meßaufgaben gut lösen. Das genannte Thema ist jedoch für die Anliegen des Physikunterrichts so wichtig, daß es nicht ohne weiteres übergangen werden sollte. Es lohnt sich daher, über Wege nachzudenken, die dieses Thema sowohl für Schüler als auch für Lehrer interessanter werden lassen. Der folgende Vorschlag zeigt einen Weg, der nach unserer Unterrichtserfahrung die Motivationsprobleme überwinden kann. Zusätzlich werden dabei eine Reihe von Zielen des Physikunterrichts unterstützt. Die Frage "Wieviel wiegt eine Fliege?" ist aus mindestens zwei Gründen von großem Reiz: - Zunächst findet man kaum einen Schüler, der von sich aus dieser Frage schon einmal bewußt nachgegangen ist. Die meisten vermuten, daß die Masse einer Fliege sehr klein sein muß und daß sie mit den üblichen Waagen offensichtlich nicht bestimmt werden kann. Überdies sind sie sich oft nicht sicher, ob die Fliege überhaupt etwas wiegt. Das Bestreben, hier eine Entscheidung zu treffen und gegebenenfalls einen Wert für das Gewicht zu fin- den, läßt die gestellte Frage sehr schnell zum Anliegen der Schüler werden. - Das Wissen, daß z. B. in der Physiksammlung der Schule ein Meßgerät mit ausreichender Empfindlichkeit fehlt, und die Aussicht, daß durch eigenes Tun ein sonst nur im Handel erhältliches, teures Meßgerät realisiert werden kann, sind entsprechend motivierend. Zur Messung kleiner Massen sind eine Reihe von Realisierungsmöglichkeiten bekannt. Das Verfahren, das die Biegung eines einseitig eingespannten Glasfadens durch eine angehängte Last ausnutzt, ist einfach zu verwirklichen und für unseren Zweck besonders gut geeignet. Eine auf diesem Prinzip beruhende sogenannte Glasfadenwaage kann man mit einfachsten Mitteln selbst herstellen und eichen. Mit ihr lassen sich Massen im mg-Bereich noch mit relativ großer Genauigkeit bestimmen. Von Vorteil ist, daß der Ausschlag der Waage zur angehängten Masse proportional ist und daß er mit Hilfe der Schattenprojektion vergrößert gegebenenfalls auch einer ganzen Klasse vorgeführt werden kann. Insgesamt läßt sich die gestellte Aufgabe in folgende Teilschritte gliedern: - Herstellung eines geeigneten Glasfadens - Aufbau der Schattenprojektion - Herstellung geeigneter Eichmassen - Eichen der Meßanordnung - Bestimmung der Masse einer toten Fliege und weitere Anwendungen. Anzumerken ist, daß über die Biegung eines Glasfadens zunächst nur die Gewichtskraft und erst durch ein Umeichen die Masse bestimmt wird. Es ist jedoch nicht vorgesehen, in diesem Zusammenhang auf die Problematik Masse - Gewichtskraft einzugehen. Aufbau der Meßanordnung Herstellung des Glasfadens Ein geeigneter Glasfaden läßt sich am einfachsten über das Ziehen einer Glasspitze herstellen. Die Fertigkeit, eine Glasspitze zu ziehen, kann man nach unserer Erfahrung in der Regel nicht voraussetzen. Sie ist aber leicht zu erlernen, und Schüler können aktiv daran beteiligt werden. Es müssen nur einige einfache Grundregeln beachtet werden, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Ausführliche Angaben zum Glasblasen und zum Umgang mit Glas findet man z. B. in [1, 2]. Ausgangsmaterial sind dünne Glasröhren mit einem Durchmesser von 5 - 8 mm aus leichtschmelzendem AR-Glas mit einem Erweichungspunkt von ca. 570 °C (AR-Ruhrglas F125; oft in der Chemiesammlung vorrätig, Bezug über den Laborfachhandel). Bei den heute häufiger verwendeten Duran oder Pyrex-Gläsern liegt der Erweichungspunkt bei ca. 770 °C. Diese Gläser sind im Gegensatz zu den AR-Gläsern nicht so einfach mit einem schulüblichen Bunsen- oder Kartuschenbrenner zu bearbeiten. Die Rohrlänge sollte etwa 20 cm betragen. Rohrstücke dieser Länge werden am besten von einem längeren Rohr abgetrennt. Hierzu ritzt man mit einer Glasfeile (meistens genügt auch die Kante einer normalen Metallfeile) das Rohr an der gewünschten Bruchstelle kräftig an und reißt das kürzere Ende durch Auseinanderziehen mit einer leichten Knickbewegung ab. Hier darf man keine Angst haben und nicht zu zögernd vorgehen. Für erste Versuche kann man das Rohr z. B. in ein Handtuch einwickeln, um die oft unbewußt vorhandene Hemmschwelle beim Glasbrechen abzubauen. Die meistens an den Bruchenden auftretenden, scharfen Kanten beseitigt man durch leichtes Anschmelzen in der Brennerflamme, um Schnittverletzungen vorzubeugen (wichtig bei Schülerübungen). Zum Ziehen einer Spitze muß die Rohrmitte gleichmäßig erwärmt werden. Hierzu ist eine für das Glasblasen typische Handhabung der Glasröhre nötig, die jeder in der Regel schon unbewußt - z. B. beim Spielen mit einem Bleistift - gelernt hat. Man hält die Enden der Röhren jeweils zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger Abb. 1: Fotografie der Glasfadenwaage (Länge des Fadens: 50 cm) a) bei wachsender Belastung mit den Massen 11,6 mg, 23,2 mg, 34,8 mg und 46,4 mg im Vergleich zur Null-Lage; b) bei Belastung mit einer "getrockneten" Fliege (m =11 mg) im Vergleich zur Null-Lage (sonst wie in a). In beiden Fällen wurde das Bild durch Mehrfachbelichtung erhalten. und erzeugt durch ein zwischen den Fingern beider Hände koordiniertes Festhalten, Zurückfassen und Drehen die erforderliche gleichmäßige Bewegung der Röhre um ihre Längsachse. Nach einigen "Trockenübungen" führt man die Mitte der Röhre in den oberen, d. h. heißesten Teil der Brennerflamme und erzeugt die beschriebene Drehbewegung. Nach kurzer Zeit färbt sich die Flamme leuchtend gelb, und das Glas wird bald darauf weich. Während der Phase des Weichwerdens ist darauf zu achten, daß trotz der nachlassenden Führung beim Drehen die ursprüngliche Drehachse angenähert beibehalten und die Schmelzzone weiterhin gleichmäßig erwärmt wird. Die für das Ziehen geeignete Zähigkeit des Glases ist erreicht, wenn im Bereich der Rohrmitte bei langsamem Drehen bereits ein Durchbiegen einsetzt. Durch rascheres Drehen, evtl. bereits außerhalb der Flamme, erfolgt eine erneute Ausrichtung der Röhre. Man zieht nun - außerhalb der Flamme - die beiden Enden relativ schnell, soweit wie die Arme reichen, auseinander. Beim Auseinanderziehen bestimmt die erreichte Geschwindigkeit die Dicke und Länge des Fadens und seine Biegesteifigkeit. Der Durchmesser des Rohrs nimmt im Bereich der Schmelzzone relativ schnell ab und ist dann annähernd konstant. In der Mitte wird das dünne Rohr durchgebrochen, und es ergeben sich zwei in etwa gleichartige Spitzen. Es empfiehlt sich, mehrere Spitzen zu ziehen, da man nicht immer den passenden Erweichungsgrad des Glases und die entsprechende Zuggeschwindigkeit trifft, die zu der für die geplante An- wendung passenden Biegesteifigkeit führt. Für die Bestimmung der Fliegenmasse haben sich Fäden der Länge von 40 - 50 cm mit einem Durchmesser von größenordnungsmäßig 0,5 mm als geeignet erwiesen. Das dünne Ende der Spitze versieht man noch mit einem kleinen Haken, so daß die Eichmassen oder die Fliege bzw. andere Probemassen immer an die gleiche Stelle des Fadens angehängt werden können. Hierzu hält man das Fadenende in geringem Abstand vor die Flamme. Der dünne Faden erweicht dort sehr schnell, biegt sich nach unten durch und formt dabei den gewünschten Haken. Hält man den Faden allerdings zu dicht vor die Flamme, so kann es leicht zu einem Durchschmelzen kommen. Das dicke Ende der Spitze wird in eine Klemme so eingespannt, daß der Faden annähernd horizontal verläuft. Durch sein Eigengewicht kommt es bereits zu einem leichten Durchbiegen des Fadens (siehe Abb. 1). Während der Vorbereitungen zum Ziehen der Spitze und beim Ziehen selbst ist die Beobachtung u. a. folgender physikalischer Phänomene möglich, die für die Schüler von Interesse sind und die neben dem Ziel, genau beobachten zu lernen, auch Fragen zu den Beobachtungen und Diskussionen zur Deutung anregen können: - Die Glasröhre ist elastisch - bricht aber, wenn sie angeritzt wird. - Die Flamme färbt sich erst nach einer gewissen Zeit gelb. - Das Rohr läßt sich noch in relativ kurzem Abstand zur Schmelzzone mit den ungeschützten Fingern anfassen. - An der Innenwand der Rohrenden schlägt sich Wasserdampf nieder. - Aus dem Rohr wird nach dem Ziehen wieder ein Rohr mit sehr viel kleinerem, näherungsweise konstantem Durchmesser. - Taucht man die Spitze in eine gefärbte Flüssigkeit, so steigt diese weit über die Oberfläche der Flüssigkeit in der dünnen Glasröhre auf. - Der Glasfaden kann Licht leiten. - Der Glasfaden ist sehr elastisch. Er verhält sich fast wie eine Textilfaser. Man kann ihn allerdings nicht knoten. - Der Glasfaden läßt sich nicht wie ein Metalldraht im kalten Zustand plastisch verformen. Bei einem zu kleinen Biegeradius bricht er. Schattenprojektion Die Schattenprojektion zeichnet sich dadurch aus, daß sie einfach zu realisieren und zu verstehen ist und aufrechte, vergrößerte Bilder liefert. Der Schattenrand wird dabei umso schärfer, je punktförmiger die Lichtquelle ist. Eine scharfe Abbildung kann einmal durch eine Glühlampe mit kurzem Glühfaden oder durch eine Vergrößerung des Abstands zwischen Lampe und Objekt erreicht werden. Gut geeignet sind Halogenlampen (12 V / 50-100 W). Hier genügt bereits ein Abstand von ca. 1 m, um einen ausreichend scharfen Schatten zu erhalten. - Läßt er sich trotzdem nicht realisieren, so liegt dies meistens daran, daß entweder die Kondensorlinse der Experimentierleuchte oder der Hohlspiegel hinter der Glühlampe (bei manchen Experimentierleuchten vorhanden) nicht entfernt wurden. Bei Glühlampen mit länglichem Glühfaden wird das Schattenbild schärfer, wenn der Glühfaden parallel zum Glasfaden gestellt wird. Der Schatten wird auf einem geeignet angebrachten Papier mit Karo- oder Millimetereinteilung aufgefangen. Als markanten Punkt wählt man z. B. die Hakenspitze aus und markiert ihre Position für die jeweils angehängte Last. Die Schattenprojektion bewirkt eine Vergrößerung V des mit der Absenkung verbundenen Ausschlags. V ergibt sich aus dem Abstand a zwischen Objekt und Lampe und dem Abstand b zwischen Objekt und Schirm (V = (a + b)/a). In Klassenräumen kann für a = 1 m eine vierfache Vergrößerung in der Regel eingestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Optimierung der Schattenprojektion kann auf folgende Beobachtungen aufmerksam gemacht werden: - Der durchsichtige Glasfaden wirft einen dunklen Schatten. - Der Schatten ist bei näherem Hinsehen nicht so scharf, wie man vorher vermutete. - Der Schatten ist breiter als nach der eingestellten Vergrößerung zu erwarten ist. - Mit abnehmendem a und konstantem b wird der Schatten immer unschärfer - mit abnehmendem Abstand b und konstantem a nimmt die Vergrößerung ab und der Schatten wird wieder schärfer. Anmerkung: Eine Projektion mit Hilfe einer Linse ist ebenso möglich. Sie hat sogar den Vorteil, kontrastreichere Bilder zu liefern. Der schwerwiegende Nachteil ist jedoch, daß die Bilder auf dem Kopf stehen, was gerade in diesem Fall sehr verwirrend ist. Zusätzlich wird der Aufbau komplizierter. Es ist ebenso möglich und bei Schülerübungen auch zu empfehlen, die Glasfadenwaage ohne Projektionseinrichtung zu verwenden. Man muß hierzu nur dicht hinter dem Faden einen geeigneten mm-Maßstab anbringen. Herstellung geeigneter Eichmassen Zum Eichen der Glasfadenwaage benötigt man geeignete Eichmassen, die ohne die Verwendung einer empfindlichen Waage hergestellt werden sollen und deren Masse in etwa der jeweiligen Fliegenmasse (ca. 10 - 20 mg) entsprechen. Bewährt hat sich, von einem längeren Drahtstück kürzere Stücke abzuschneiden und deren Masse über die Proportionalität zwischen Länge und Masse zu berechnen. Wir benutzten normalen Kupferlackdraht mit einem Durchmesser von 0,25 mm und einer Linien-Dichte (Masse/Länge) von 0,29 g/m. Es empfiehlt sich, eine genügend große Ausgangslänge zu wählen, damit die zugehörige Masse mit einer üblichen Waage der Sammlung ausreichend genau bestimmt werden kann. Wir wählten l= 15,0 m (m = 4,35 g) und stellten uns einige Drahtstücke der Längen l = 20 mm (m = 5,8 mg), l = 40 mm (m = 11,6 mg) und l = 60 mm (m = 17,4 mg) her. Die Länge kann mit etwas Sorgfalt auf ca. ± 0,3 mm genau abgeschnitten werden, d. h. der absolute Fehler beträgt ca. ± 0,1 mg. Kürzere Drahtstücke sind nicht zu empfehlen, da hierfür der relative Fehler zu groß wird. Beide Enden eines Drahtstückes biegt man um, so daß kleine Haken zum Aneinanderhängen der Eichmassen entstehen. Steht kein Draht zur Verfügung, so kann man auch auf kleine Papierstreifen zurückgreifen, die aus einem großen Bogen mit bekannter Masse herausgeschnitten werden. Zum Anhängen an die Waage sticht man mit einer Nadel Löcher in die Streifen. Die flächen- Dichte des Papiers wird meistens vom Hersteller angegeben. Man kann sie auch selbst bestimmen. Hierzu mißt man die Masse von insgesamt 16 DIN-A4- Blättern, deren Fläche definitionsgemäß gerade 1 m^2 ergibt. Je nach der verwendeten Papierqualität ist mit einer Flächen-Dichte von 30 - 90 g/m^2 zu rechnen, so daß eine gewöhnliche Waage ausreicht. Auch im Rahmen der Herstellung der "Eichgewichte" kann eine Vielzahl von Schüleraktivitäten initiiert werden. Als Beispiel sei der Entscheidungsprozeß bei der Auswahl des "optimalen" Draht- oder Papiermaterials und die Auseinandersetzung mit Proportionalitäten genannt. Durch die Erarbeitung von Auswahlkriterien für das jeweilige Material lernt und übt der Schüler, den Einfluß von entgegenlaufenden Anforderungen abzuschätzen und zu wichten. Die Anwendung von Proportionalitätsbeziehungen kann er an einem konkreten, nach einer Lösung verlangenden Problem üben, was sonst oft nur an künstlich geschaffenen Beispielen durchgeführt wird. Eichen der Glasfadenwaage Das Eichen der Waage wird mit Hilfe der vorher hergestellten Eichmassen durchgeführt. Auf dem Schirm markiert man für die jeweils angehängte Last die Position des Schattens für den ausgewählten Punkt des Glasfadens (z. B. Hakenspitze) und bestimmt - ausgehend vom Nullpunkt - die zugehörige Absenkung in vertikaler Richtung. Der Schatten hat bei der Vergrößerung V = 4 bereits einen Durchmesser von ca. 5 mm. Ein Filzstift liefert zwar weit sichtbare Markierungen, die Absenkung kann jedoch aus diesen Markierungen nur sehr ungenau bestimmt werden. Für genauere Messungen sind daher dünnere Markierungslinien angebracht. Vor dem Eichen empfiehlt es sich, den Umgang mit der Glasfadenwaage und den Eichmassen zu üben. Hierzu gehören die Auswahl eines Glasfadens mit geeigneter Biegsteifigkeit, die Optimierung der Schattenprojektion, die Untersuchung der Reproduzierbarkeit des Nullpunkts, die Überprüfung der Gleichheit der Eichmassen, die Optimierung der Schattenprojektion, die Festlegung der gewünschten Vergrößerung und die Untersuchung der Grenzen der Waage. Bei der Festlegung der Grenzen ist zu beachten, daß sich die Hakenspitze auf einem Kreis bewegt, was bei zunehmender Belastung immer deutlicher und störender auffällt. Die Proportionalität zwischen Absenkung und Belastung gilt daher nur für kleine Verbiegungen (siehe z. B. [3]), bei denen der jeweilige Bogen näherungsweise durch die Absenkung beschrieben werden kann. Der Linearitätsbereich läßt sich vergrößern, indem man den Faden schrägstellt und den Nullpunkt bis zum oberen Ende des Linearitätsbereichs verschiebt. Damit verdoppelt sich der für die Messung nutzbare Bereich. Die Eichwerte sind von der eingestellten Vergrößerung V abhängig. Für unsere Waage erhielten wir für das Verhältnis aus angehängter Masse und zugehöriger Absenkung den Eichfaktor W=2,4 mg/cm (für V = 4). Die Genauigkeit wird im Wesentlichen durch Fehler beim Markieren des Schattens bestimmt. Er bewirkt eine absolute Ungenauigkeit für die Absenkung von ca. ± 3 mm, was einern absoluten Fehler bei der Massenbestimmung von ± 0,8 mg entspricht. Der Fehler bei der Herstellung der Eichmassen ist daher gegenüber diesem Fehler zu vernachlässigen. Der lineare Bereich wird unter Ausnutzung der obigen Nullpunktsverschiebung auf ca. 60 mg ausgedehnt. Während der Vorbereitung und Durchführung des Eichens können natürlich alle Fragen, die das Messen und Eichen betreffen und die bereits im Basisartikel [4] abgehandelt worden sind, mit den Schülern erörtert werden. Bestimmung der Masse einer Fliege und andere Anwendungen Als größtes Hindernis bei der Bestimmung der Fliegenmasse stellt sich häufig heraus, daß man - vor allem im Winter - keine Fliege findet. Es empfiehlt sich daher, rechtzeitig einen Vorrat von Fliegen anzulegen. Zur Vorbereitung der Messung wird die Fliege über einen nicht zu fest angezogenen Knoten an einem dünnen Faden befestigt und über eine Schlaufe an den Haken der Glasfadenwaage gehängt. Nachträglich muß natürlich gezeigt werden, daß das Gewicht des verwendeten Fadens gegenüber dem Gewicht der Fliege vernachlässigbar ist. Die Masse der von uns untersuchten, "ausgetrockneten" Fliegen (wir verwendeten in der Regel Stubenfliegen unterschiedlicher Größe) lag im Bereich von 10 - 20 mg und konnte mit der selbst gebauten Glasfadenwaage ausreichend genau (relativer Fehler ca. 7 %) bestimmt werden. Die Masse der Fliege in Abb. 1 beträgt 11 mg. Die Masse von "frischen" Fliegen liegt - je nach Größe und Wassergehalt - nach Messungen bei etwa 50 mg. Die Möglichkeit, so kleine Massen mit guter Genauigkeit zu bestimmen, eröffnet eine Reihe von zusätzlichen Anwendungen. Hierzu wurden von Schülern oft Beispiele vorgeschlagen, bei denen es vor allem zunächst nur um die Entscheidung ging, ob das ausgewählte Objekt mehr oder weniger wiegt als die Fliege, oder ob es überhaupt etwas wiegt. Der im folgenden beschriebene Nachweis, daß die in einem Luftballon eingeschlossene Luft etwas wiegt, ist hierfür ein Beispiel. Um eine Vorstellung von der Größenordnung der für diesen Versuch relevanten Daten zu erhalten, sind die für die verwendeten Luftballons typischen Werte angegeben: Masse der Hülle ca. 1 - 2 g, Überdruck im Ballon ca. 0,01 - 0,03 bar. Masse der aufgrund des Überdrucks zusätzlich eingeschlossenen Luft ca. 10 - 30 mg. Volumen der eingeschlossenen Luft ca. 1 dm^3. Wegen der relativ großen Masse des leeren Luftballons empfiehlt es sich, einen etwas weniger elastischen Glasfaden auszusuchen und die Waage neu zu eichen. Oft genügt jedoch bereits der qualitative Nachweis, daß die Luft im Ballon etwas wiegt, so daß das Eichen erübrigt. Für die Versuchsdurchführung hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Auf der Gummihaut eines nicht zu prall gefüllten Ballons wird auf eine Seite ein Streifen Textilklebeband angebracht. Über eine Schlaufe hängt man diesen Ballon an die Glasfadenwaage und markiert die Stellung des Hakens im Schattenbild. Durch das Band wird mit einer Nadel ein kleines Loch in die Gummihautgestochen. Das Band verhindert dabei, daß der Ballon platzt. Durch das Loch kann nun die Luft langsam entweichen. Nach Beendigung des Ausströmens wird die neue Stellung des Hakens markiert, und man sieht, daß die aus dem Ballon ausgeströmte Luft wirklich etwas wiegt. Bringt man das Loch gegenüber der Einfüllöffnung an, so kann man auch die Schubwirkung von ausströmender Luft beobachten und direkt mit der Waage nachweisen. Hieran schließt sich sofort die Frage an, warum die im Ballon eingeschlossenen Luft einen Ausschlag der Waage bewirkt, während die frei die Waage umgebende Luft dies offensichtlich nicht tut. Hierzu läßt sich mit Hilfe einer Plastiktüte auf experimentellem Weg eine Antwort geben. Im unaufgeblasenen Zustand der Tüte markiert man den Ausschlag und stellt fest, daß nach dem Aufblasen im Unterschied zum Ballon keine Änderung des Ausschlags auftritt. Dies liegt daran, daß man durch ein einfaches Aufblasen mit dem Mund wegen der geringen Elastizität des Tütenmaterials praktisch keinen Überdruck erzeugen kann, so daß keine Gewichtszunahme auftritt. In einer weiteren Anwendung kann man mit der Glasfadenwaage nachweisen, daß mit dem Verdampfen einer Flüssigkeit eine Massenabnahme verbunden ist. Hierzu wird etwas Äther oder Alkohol in eine kleine, leichte Schale (z. B. Fingerhut) gefüllt und an die Waage gehängt. Mit der Zeit beobachtet man ein Zurückgehen des Ausschlags. Hat man die Waage geeicht, so kann man z. B. die Abdampfrate in Abhängigkeit von der Substanz oder der Größe der Oberfläche untersuchen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß unter Ausnutzung der Biegung eines Glasfadens sehr empfindliche Waagen mit einfachen Mitteln gebaut und geeicht werden können. Von allen Meßprinzipien, die Waagen zugrunde liegen können, ist nach unserer Erfahrung die Glasfadenwaage am besten geeignet, um die beschriebenen Ziele im Zusammenhang mit dem Bauen und Eichen einer Waage im Anfangsphysikunterricht zu verwirklichen. Hinweise für den Unterricht Aufbau und Eichen der Glasfadenwaage können als Lehrerversuch, als Schülerübung oder als Heimversuch erfolgen. Es sind durchaus auch Mischformen denkbar. So kann z. B. der Glasfaden im Unterricht hergestellt werden, und die Bestimmung der Fliegenmasse erfolgt dann als Heimversuch. Da das Ziehen der Spitze den Schülern sehr viel Freude bereitet und auch für das Erlernen von Fertigkeiten wichtig ist, wird man bevorzugt die Spitzen in den Schülerübungen herstellen. Auch die Herstellung der Eichmassen und das Eichen kann durch die Schüler erfolgen. Die Messung der Masse für das jeweils interessierende Objekt kann dann im Lehrerversuch durchgeführt werden, wobei auf eine "Schülerwaage" mit dem gerade passenden Meßbereich zurückgegriffen wird. Die Aufbewahrung und der Transport der Glasfäden erfolgt am besten in einer Papp- oder Glasröhre. Die Verschlüsse der Röhre sollten eine Bohrung aufweisen, in der der Glasfaden mit seinem dickeren Ende fixiert wird. Die Vielzahl der interessanten Phänomene, die im Rahmen des beschriebenen Verfahrens beobachtet werden können, kann den Lehrer leicht in Versuchung bringen, zu schnell und zu häufig die Schüler mit dem bei Physiklehrern beliebten "Warum" zu konfrontieren. Dies würde jedoch nicht unserem Anliegen entsprechen: Wir möchten, daß der Lehrer zunächst die Schüler zum gezielten Beobachten anregt und ihnen genügend Zeit läßt, sich an den Beobachtungen, Erkenntnissen und erworbenen Fertigkeiten zu erfreuen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Frage nach dem "Warum" kommt dann von den Schülern - vielleicht erst in einem anderen Zusammenhang - schon von selbst. Literatur [1] Knauer, R: "Glasbearbeitung - auch in der Schule?", CU (Der Chemieunterricht), Heft 3 "Glas und Silicate" (1984) S. 51 - 59 [2] Angerer, E. v., H. Ebert: Technische Kunstgriffe. Braunschweig 1966 [3] Pohl, R. W.: Mechanik, Akustik, Wärmelehre. Berlin: Springer Verlag 1959 [4] Klinger, W.: Basisartikel zum Eichen und Messen in diesem Heft. Anmerkung 1) Unter Eichen wird hier das Eichen im physikalischen Sinn verstanden und nicht das amtliche Eichen, das nur vom Eichamt durchgeführt werden darf. 14 (98) NiU-Physik 2 (1991) Nr. 8