Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Risikoanalyse von elektronischen Schaltungen


von Phil (Gast)


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Hallo Freunde,

nachdem mein alter Thread wohl missverständlich war hier nochmal ein 
neuer, hoffentlich eindeutiger Versuch der Eklärung.

Ich mochte gerne wissen wie ihr Risikoanalysen von Schaltungen macht.

Laut Literatur ist das gängige Werkzeug hierfür die Design FMEA (DFMEA).

Wie geht ihr hier vor? Ich bin gerade dabei meine erste zu erstellen; 
jedoch fehlt mir ein bisschen die Systematik für eine komplexe 
Leiterplatte.

Idealerweise müsste man sich im Leiterplattenbereich sicherlich jedem 
Bauteil annehmen, was jedoch bei sehr komplexen Leiterplatten seeehr 
aufwändig ist.

Also gibt es hier jemandem aus der 
Autombilbranche/Medizintechnik/Luft-und Raumfahrt der hier evtl. schon 
Erfahrungen gesammelt hat?

VG,

Philipp

von Lukas R. (eckoe17)


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Hi Phil

FMEA's sind generell meistens sehr aufwendig selbst für einen 
Kugelschreiber könnte man sicher 100 A4 Seiten füllen.

Der Trick beim FMEA ist sich zu allererst einen groben Überblick zu 
verschaffen und unkritisch bewertete Teile auszugliedern um sich um die 
wichtigen Teile kümmern zu können.

Google mal ein bisschen nach FMEA Tutorial etc da findest du sicher 
etwas passendes. Jedoch kann ich dir versprechen, dass du bei deinen 
ersten Bewertungen ziemlich lange sitzen wirst. Auch hier gilt Übung 
macht den Meister.

Grüße
Louk

von Phil (Gast)


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Lukas R. schrieb:
> Der Trick beim FMEA ist sich zu allererst einen groben Überblick zu
>
> verschaffen und unkritisch bewertete Teile auszugliedern um sich um die
>
> wichtigen Teile kümmern zu können.

Hey Lukas,

also genau daran scheiter ich momentan. Wie mache ich mir diesen groben 
Überblick?

In der Literatur steht, dass man zu Beginn die Produkt-Struktur mit den 
jeweiligen Funktionen ermitteln soll. Leider ist mir da noch kein 
(sinnvoller) Weg eingefallen.

Normalerweise würde ich sagen mein Produkt hat die und die Funktion 
(Lasten- bzw. Pflichtenheft-Ebene) und diese wird so und so durch diese 
Bauteile umgesetzt.

Wie stelle ich das für elektronsiche Schaltungen an?

Ein weiteres Problem sind mögliche Fehler. In der Mechanik ist es an 
sich relativ einfach, da man stehts von fehlerhaften Materialen, 
Geometrien/Maßen, Oberflächenrauhigkeiten, Shore-Härten etc. sprechen 
kann.. Aber bei elektronischen Komponenten? Soll man hier das DB einmal 
von oben nach unten und wieder zurück wälzen? Das erscheint mir etwas 
übertrieben.

Hat hier eventuell einer nen Rat?

Danke und Gruß!

P.S. Wo sind die Automobiler, Mediziner, und Luft- und Raumfahrer?! :-)

von Uwe (Gast)


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Ich würde es zuerst mit einem Punktesystem versuchen bei dem ich das 
Risiko der einzelnen Bauteile abschätze. Also was passiert 
schlimmstenfalls wenn bauteil X kaputtgeht bzw. ausfällt. z.B.
a) SEHR KRITISCH :Kommen menschen zu schaden
b) KRITISCH : Wird das Messergebnis, das Produkt Fehlerhaft ohne das man 
es bemerkt
c) NICHT SO KRITISCH : Das Messergebnis,Produkt ist Fehlerhaft es wird 
aber bemerkt
d) UNKRITISCH : ???
e) usw.

Auch sollte die Häufigkeit bzw. wahrscheinlichkeit mit einfließen

Daraus könnte man dann eine Matrix machen ...

p.s. Auch kalte Lötstellen bzw. solche sachen wie Bestücker- oder 
Lieferantenwechsel sollten mit einfließen. Und um dem die Krone 
aufzusetzen die Firmware bzw. Software, die Kommunikation usw. blabla

von Andreas H. (heilinger)


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Hallo die FMEA kann man bis ins Unendliche betreiben. Man muss da 
aufpassen, dass man vor lauter Risikomanagment nicht den Blick aufs 
Ganze verliert und sich nicht "tot-entwickelt".

Was die elektronischen Bausteine auf der Leiterplatine angehen, so 
betrachten wir nur den Ausfall des Mikrocontrollers und sichern dies 
durch eine Watchdog-Schaltung ab. Das ist aber natürlich bei jedem 
Risikomanager unterschiedlich.
Ansonsten betrachten wir die elektronische Peripherie: z.B. Ventile, 
Lüfter, Sensoren, Hupe etc.

ICs sind mittlerweile so stabil, dass ein Ausfall für uns als zu 
unwahrscheinlich eingestuft wird und wir den einzelnen Ausfall nicht 
berücksichtigen. Dabei führen wir eine Risikoanalyse durch, die nur den 
ersten Fehlerfall betracht, also Folgefehler nicht in die Risikoanalyse 
miteinbezogen werden, da die Sache sonst zu komplex wird und man sich 
wie oben erwähnt "tot-entwickelt".

Ich hoffe geholfen zu haben.

von Purzel H. (hacky)


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Man sollte erst eine Ahnung haben wie und wo die Bauteile ausfallen, 
resp zu Fehlverhalten neigen. Das waeren mal:
Physikalisch gestresste Bauelemente, hier durch Uebertemperatur, 
Ueberspannung, Ueberstrom, Temperaturzyklen, Feuchtigkeit, Kondensation, 
Staub, ..
Mechanisch belastete Bauteile, zB Zyklen bei Schaltern, Relais, 
Motore,..
Dann Ermuedung, Wackelkontakte, ...
Dann... der Benutzer drueckt eine falsche Taste, steckt den Stecker 
verkehrt rum rein, ...

von Lukas R. (eckoe17)


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Als erstes musst du deine Schaltung in Funktionsblöcke aufteilen. z.B. 
Stabi, Endstufen etc.

Dann überlegst du dir, wie groß die Warscheinlichkeit ist, dass eine 
Gruppe ausfällt, ordne die Warscheinlichkeit in einer Skala von 
1(niedrig) bis 10.

Dann überlegst du dir, wie warscheinlich ist, dass der Fehler in der 
Gruppe gefunden wird, bevor das Teil zum Kunden geht. Teile es wieder 
von 1(hoch) bis 10. Mach das Pro Gruppe.

Dann überlegst du dir, was alles schiefgehn kann, und bewertest den 
Schaden, der dadurch entsteht pro Gruppe.(wieder Tabelle von eins bis 
10. z.B 10 ist.wenn der Lipo exodiert und jemanden killt.) Mach das pro 
Gruppe,pro Fehler.

Multipliziere die Zahlen bei jedem Fehler und du hast deine 
Risikoprioritätszahl. Die gibt dir groben Auskunft über den Risikofaktor 
pro Fehler in den Gruppe.

Je nach deinem Maßstab schmeißt du alles unter einer gewissen 
Prioritätszahl und unter einer maximalen Einzelbewertung (z.B. Schaden 
maximal 5 weg) und siesht dir an, wie du den Rest so günstig wie möglich 
besser machen kannst.

Das war dannein sehr grober FMEA. Alleine für sagen wir mal 4 Gruppen 
wirst du um die 60 bis 70 Seiten locker schreiben.

Nach dem selben Prinzip wi oben kannst du bis runter zu jedem einzelnen 
Bauteil gehn.

Die Fmea wird im Prinzip nur durch deine Fantasie begrenzt.

Alternativ kann man auch noch eigene Bewertungszahlen hinzufügen, was 
z.B. einige Autohersteller machen, dann wird das ganze.noch 
umfangreicher.

Erst mit der Zeit (und nach ungefähr 10 Packungen Kopierapier) bekommst 
du ein Gespür dafür, welche Bauteile Blöcke etc du genauer betrachten 
musst und welche nicht.

Und vergiss nicht das Ganze auch noch auf die Software anzuwenden.

Mein Tip ist, fang Mit einem Kuli an, mach weiter über 7805 zu nem 
einfachen Led blinker mit Uc etc.und werde langsam größer. Wenn du 
gleich eine richtige große Schaltung stemmen wilst, kannst du auch 
gleich einen Atomreaktor nehmen. :-)

Bezüglich der Fehler:

Die darfst du dir überlegen. Was kann in der Gruppe/Bauteil kaputtgehn? 
Alterung etc. Dieser Teil hängt von deinem Wissen/Fantasie ab, bzw. von 
den Chipherstellern, die dir die Datenblätter und diverse andere Anhänge 
zum Bauteil zu Verfügung stellen. Und ja du wirst nicht ums Datenblatt 
wälzen herumkommen außer du weißt schon alles.

PS: Ein Automobiler ist ja eh da ;-)

von Anja (Gast)


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Lukas R. schrieb:
> Dann überlegst du dir, wie groß die Warscheinlichkeit ist, dass eine
> Gruppe ausfällt, ordne die Warscheinlichkeit in einer Skala von
> 1(niedrig) bis 10.

Dafür gibt es in großen Firmen Tabellen mit Ausfallraten aus der 
Feldbeobachtung (Rückläufer bzw. Austauschteile).
z.B. IC Hersteller y hat im z-Gehäuse x ppm/Jahr Ausfallrate.

Lukas R. schrieb:
> Dann überlegst du dir, wie warscheinlich ist, dass der Fehler in der
> Gruppe gefunden wird, bevor das Teil zum Kunden geht. Teile es wieder
> von 1(hoch) bis 10. Mach das Pro Gruppe.

Ich kenne das anders: 1 gibt es wenn das Gerät/System den Fehler selbst 
findet und geeignete Ersatzmaßnahmen (Notbetrieb + Fehlerlampe) 
automatisch während des Betriebs zweifelsfrei feststellt.
10 gibt es wenn der Bediener notwendig ist um einen Fehler 
festzustellen.
Die Werte dazwischen gibt es wenn die Fehler nur in bestimmten 
Betriebszuständen (POST) feststellbar sind.

Lukas R. schrieb:
> Dann überlegst du dir, was alles schiefgehn kann, und bewertest den
> Schaden, der dadurch entsteht pro Gruppe.(wieder Tabelle von eins bis
> 10. z.B 10 ist.wenn der Lipo exodiert und jemanden killt.) Mach das pro
> Gruppe,pro Fehler.

Gibt noch andere Kriterien in manchen Firmen wie z.B. wie stark kann die 
Umwelt gefährdet werden (z.B. bei Ölverlust) oder wie stark wird das 
Firmenimage negativ durch so einen Fehler beeinflußt.

Fazit: für die erste FMEA wirst Du wahrscheinlich einen erfahrenen 
Moderator (möglichst mit Erfahrung aus Deinem Produktumfeld) brauchen. 
Es gibt Firmen die so was anbieten.

Gruß Anja

von Anja (Gast)


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Phil schrieb:
> P.S. Wo sind die Automobiler, Mediziner, und Luft- und Raumfahrer?! :-)

Ach so noch was:

Dort werden häufig standardisierte Baugruppen (Baukastensystem) 
verwendet mit bekannten Ausfallraten.
Die FMEA fällt dann nur noch bei neuen Baugruppen an.

Gruß Anja

von Prüfer (Gast)


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@Phil
Wenn es um Sicherheitsbauteile geht hilft vielleicht ein Blick in die 
DIN EN ISO 13849-2 weiter. Dort werden in den Anhängen u.a. für 
elektrische Bauteile Ausfallarten definiert. Für passive Kurzschluss und 
Unterbrechung, für aktive zusätzlich noch Drift.
Bei einer 100%-FMEA würdest Du jetzt jedes relevante Bauteil der zu 
realisierenden 'Sicherheitsfunktion' hinsichtlich dieser zwei/drei 
Ausfallarten hin untersuchen unter der Annahme dass alle anderen 
Bauteile 'in Ordung' sind. Arbeitet Deine Schaltung noch ordungsgemäss 
wenn dieses eine betrachtete Bauelement in einer der zwei/drei Arten 
ausfällt und wenn nein, ist der Ausfall 'gefährlich oder ungefährlich'? 
So betrachtest Du jedoch nur EINZELfehler in Deiner Schaltung.
Ergänzend sieht der Teil 1 der o.g. Norm deshalb noch eine 
KOMBINATIONSfehleranalyse (z.B. FTA, failure tree analysis) vor. 
Ausgangspunkt wäre dann das Eintreten des 'unerwünschten Ereignisses' 
z.B. das Geschlossenseins eines Relaissicherheitskreises OHNE (gewollte) 
Ansteuerung (Anforderung der Sicherheitsfunktion). Hier 'hangelt' man 
sich vom verursachenden Bauelement, z.B. Ausgangskontakten des 
Sicherheitsrelais in die ansteuernde Schaltung rückwärts hinein und 
sucht die mind. zwei Fehlerursachen (defekte Bauelemente, s.o. 
Fehlerart) die das verursachen.
Schau einfach mal nach den o.g. Stichworten, dann solltest Du 
weiterkommen.
Grüsse

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