Forum: Platinen Messungen an der Heissluftlötstation Atten AT-858D+


von Sven L. (lemming)


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Vor ein paar Wochen hat es mich auch gepackt und ich habe eines von 
diesen "hochgelobten" (s. EEVblog) Heissluftgebläsen in China bestellt. 
An sich ein feines Ding nur leider fiel schon bei der ersten Benutzung 
auf, dass die Austrittstemperatur ziemlich schwankt und die Luftmenge zu 
wünschen übrig lässt.

Da Sonntag Nachmittag sonst nichts los war habe ich mich denn mal daran 
gemacht die Innereien der Station zu erkunden und nach 
Optimierungspotenzial zu suchen.

Vielleicht interessieren den einen oder anderen hier meine Entdeckungen, 
die ich im Folgenden kurz ausführen will:


Die Temperaturregelung:

Die Regelschleife ansich ist ziemlich simpel gehalten: Hinter dem 
Heizelement sitzt ein Typ K Thermoelement (begründete Annahme) und misst 
die Luftaustrittstemperatur. Über einen Messverstärker wird die 
Thermoelementspannung verstärkt, anschließend von einem Tiefpass 
gefiltert und dann auf einen ADC Eingang des Mikrocontrollers gegeben. 
Über einen PWM Ausgang wird dann ein Triac angesteuert und regelt somit 
die Einschaltdauer der Heizwicklung - simpel.

Die Lüfterregelung erfolgt ebenfalls mittels PWM.

Beim "reverse engineering" der Schaltung sind mir dann doch ein paar 
"design flaws" aufgefallen, über die sich die Anleitung und der 
Hersteller IMHO ausschweigen.

Da wäre zunächst die Tatsache, dass jedes Thermoelement eine 
Vergleichsstelle für die Temperaturmessung hat. Diese Vergleichsstelle 
liegt ebenfalls im Handstück kurz VOR dem Heizelement, hat also in etwa 
Raumtemperatur. Davon bekommt der Mikrocontroller allerdings garnichts 
mit, so dass die Temperaturanzeige und -regelung immer nur relativ zur 
Raumtemperatur arbeiten. Dies ist durch Messungen bestätigt, da bei 
kaltem Gerät die ADC Eingangsspannung etwa 0 Volt beträgt.

Weitere Messungen haben ergeben, dass der Mikrocontroller immer einen 
Offset von etwa 100 Kelvin von der Ist-Temperatur abzieht. Wieso? Gute 
Frage! Vielleicht zur Kompensation der Abkühlung, die durch die 
Düsenaufsätze verursacht wird? Eher nicht, da diese (gemessen) nur einen 
Einfluss von wenigen Kelvin zu haben scheinen.

Über das Trimmer-Poti auf der Front ist die Verstärkung des 
Messverstärkers in einem Bereich von etwa 160-200 einstellbar. Da der 
Mikrocontroller die Eingangsspannung nur linear auswertet entspricht 
eine Spannungsänderung von 7,4 mV einer Temperaturänderung von 1 Kelvin. 
Ein Typ K Thermoelement hat im hier verwendeten Temperaturbereich eine 
Ausgangsspannung von etwa 40,7 uV/K. Somit ergibt sich die "optimale" 
Verstärkung von (7,4mV/K)/(40,7uV/K) = 181,1. Dies liegt also ziemlich 
genau mittig in dem möglichen Verstärkungsbereich.

Ein Temperaturoffset kann NICHT eingestellt werden!


Das Handstück:

Wie schon im EEVblog Test ausführlich beschrieben besteht das Handstück 
im Wesentlichen aus dem Plastikgehäuse, einem 24V Radiallüfter und dem 
Heizelement mit Temperaturfühler.

Beim Ersten Öffnen war ich schon etwas verwundert, da die Lufteinlässe 
garnicht "luftdurchlässig" waren. Überall waren noch Reste vom Ausformen 
des Plastikteils. Kein Wunder, dass der Luftdurchfluss beim ersten Test 
so gering war. Dies ließ sich mit einer Nagelfeile innerhalb von 2 
Minuten beheben.

Die "Zugentlastung" des Kabels besteht nur aus einem eingeklemmten 
Kabelbinder.... traurig, traurig. Ausserdem ist das Kabel zur 
Anschlussplatine derart kurz gehalten, dass die ganze "Zugentlastung" 
ohnehin völlig sinnfrei war. Ebenso sind die Leiter des Kabels zwischen 
Gehäuse und Platine so eingequetscht worden, dass die Isolierung schon 
deutliche Knickstellen zeigte und in kürzester Zeit durchgescheuert sein 
könnte. Ein großer Klecks HT-Silikon wirkt hier Wunder... Kabelbinder... 
tsetse.


ESD:

Tauglich im Sinne der Verhütung von ESD dürfte die Station nur bedingt 
sein. Die Metallhülse, in der das Heizelement steckt, ist einfach hart 
geerdet - kein 1Meg Sicherheitsableitwiderstand. Ist vielleicht auch 
besser so. Wer weiss was sonst passieren würde, wenn die Heizspirale 
einen Kurzschluss zur Metallhülse macht? Der Rest der Station ist 
natürlich auch nur ein Plastikklumpen und ebensowenig ESD tauglich.



Fazit:

"You get what you pay for."

Die Regelung ansich funktioniert also recht gut. Überschwinger beim 
"Anheizen" von 100°C muss man in Kauf nehmen. Die Temperaturanzeige 
zeigt anscheinend immer etwa 100°C zu wenig an. Ebenfalls wird nur die 
Temperatur relativ zur Raumtemperatur angezeigt. Also: Anzeige 100°C bei 
einer Raumtemperatur von 25°C entsprechen grob 225°C 
Luftaustrittstemperatur! Theoretisch sollte das immer so sein, nur 
leider ist die Messung der Austrittstemperatur bedingt durch den Aufbau 
der Heizung selbst auch nicht gerade sehr genau möglich. Möglicherweise 
ist das Thermoelement auch nicht ideal platziert (TBD).

Ich möchte den Chinesen hier keine Absicht unterstellen, dass die 
Temperatur absichtlich viel zu hoch geregelt wird um Baugruppen durch 
Überhitzung zu zerstören... irgendein Sinn soll wohl dahinter stecken..?

MfG,
Sven

PS  Es wäre schön, wenn jemand das Verhalten meiner Station mit eigenen 
Messungen bestätigen könnte. :)

von Heißluftbenutzer (Gast)


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Sven L. schrieb:
> kein 1Meg Sicherheitsableitwiderstand. Ist vielleicht auch
> besser so. Wer weiss was sonst passieren würde, wenn die Heizspirale
> einen Kurzschluss zur Metallhülse macht?

Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum das Ding geerdet ist ;-) Das 
hat mit ESD erst mal nicht zu tun. Und der Megaohmwiderstand ist ja auch 
für deine Sicherheit zuständig, nicht zum Schutz vor ESD. So wie nun mal 
üblich bei Schutzklasse I. Übrigens ist der Kolben bei meiner JBC auch 
geerdet, würde mir zu denken geben, wenn das anders wäre.

> Der Rest der Station ist
> natürlich auch nur ein Plastikklumpen und ebensowenig ESD tauglich.

Das eine schließt das andere nicht aus ;-) Meine JBC Hotair beinhaltet 
auch viel Kunststoff, genauso wie z.B. ESD-sichere Mäuseklos ;-)

Aber ich würde mir so ein Teil auch nicht zulegen. Wobei es wohl auch 
Fälschungen gibt, die Qualität also stark schwanken kann. Ist die Frage, 
welcher Kategorie deines angehört ;-)

von Heißluftbenutzer (Gast)


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Heißluftbenutzer schrieb:
> Und der Megaohmwiderstand ist ja auch
> für deine Sicherheit zuständig, nicht zum Schutz vor ESD. So wie nun mal
> üblich bei Schutzklasse I.

Das ließt sich falsch. Gemeint ist natürlich, dass die harte Erdung bei 
SK I normal ist ;-)

von Sven L. (lemming)


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Mit den diversen Schutzklassen kenne ich mich leider nicht so aus ;D 
aber ich habe mir das schon gedacht und Du hast natürlich vollkommen 
Recht.

Harte Erdung ist beim ESD Schutz doch gerade nicht sinnvoll, da man ja 
den unkontrollierten Ausgleich von Potenzialdifferenzen vermeiden 
will? Daher hast Du selbst bei Metallpinzetten etc. eine dissipative 
Beschichtung drauf, die den Ableitwiderstand wieder erhöht. Möh.. ESD 
Voodoo~

Meine JBC Station hat auch nen dissipatives (Plastik?)Gehäuse. 
Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass die Spitze selbst hart 
geerdet ist.

Ob die Station original von Atten ist oder nicht lässt sich wohl kaum 
feststellen. Ich vermute fast, dass da immer so eine Art "Bausatz" 
verkauft wird, den die diversesten Hinterhofwerkstätten dann 
zusammenbraten und als "Original" verkaufen. Der Aufbau selbst ist 
jedenfalls identisch mit der die Dave getestet hat und qualitativ ist 
daran (für diesen Preis) auch kaum etwas auszusetzen.

Einzig die launische Temperaturregelung stinkt mir.

von Heißluftbenutzer (Gast)


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Sven L. schrieb:
> Harte Erdung ist beim ESD Schutz doch gerade nicht sinnvoll, da man ja
> den unkontrollierten Ausgleich von Potenzialdifferenzen vermeiden
> will? Daher hast Du selbst bei Metallpinzetten etc. eine dissipative
> Beschichtung drauf, die den Ableitwiderstand wieder erhöht. Möh.. ESD
> Voodoo~

Die großen Widerstände werden afaik nur verwendet, um die Person zu 
schützen. Damit du dann nicht direkt an Erde hängst, wenn du an ein 
spannungsführendes Teil kommst (durch einen Fehlerfall oder 
Unachtsamkeit).
Ein "sanftes" Entladen ist eigentlich weniger von Interesse, da in einem 
"streng" ESD-geschützten Bereich eh keine für Bauteile gefährliche 
Spannungen aufgebaut werden könnten. Darum darf man an ESD-geschützten 
Bereichen z.B. keine Plastikflaschen (oder andere gefährdende Teile) 
verwenden, man muss entsprechende Kleidung tragen usw. Da ist es dann 
mit einem einfachen Armband nicht getan. Dass man diesen Aufwand im 
Privatbereich nicht betreibt ist natürlich auch klar, da würde der 
ESD-gerechte Arbeitsplatz mehr kosten, als man jemals zerstören könnte 
;-)

Sven L. schrieb:
> Der Aufbau selbst ist
> jedenfalls identisch mit der die Dave getestet hat und qualitativ ist
> daran (für diesen Preis) auch kaum etwas auszusetzen.

Sicher, für den Preis wohl besser als gar keine. Eventuell könnte man 
sich ja auch selber eine bessere Regelung zusammenbauen, wenn es einem 
den Aufwand wert ist, man denke an die Pizzaöfenumbauten ;-) Da sollte 
sich sicher mehr rausholen, als mit den billigen Teilen. Mal davon 
abgesehen, dass die Bauteile bei den Chinateilen oft ziemliche 
Toleranzen haben. Zumindest einen günstigen Preheater habe ich mir mal 
so umgebaut, dass die Temperatur auf etwa 5° genau eingehalten wird, 
zuvor hatte das Teil auch 30-50° Abweichung, da hat alleine der Tausch 
der Bauteile und eine zusätzliche Abgleichung geholfen.

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