Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Regelungstechnik: Stabilität von meiner digitalen Regelung


von Sev U. (sevurium)


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Hallo ihr,
ich habe eine Verständnisfrage zur Stabilität meines Regelkreises.

Meine Regelstrecke ist analog. Über einen digitalen Sensor erhalte ich 
Werte von der Strecke.
Ich hole mir die Werte alle 100ms von dem Sensor und leite sie an meinen 
diskreten PID Regler weiter.
Als PID-Regelalgorithmus verwende ich den Regler aus dem Buch 
Regelungstechnik 2 von Gerd Schulz. Dabei
ist der I-Anteil nach Tustin berechnet und der D-Anteil nach dem 
Rückwärtsdifferenzenquotienten. Läuft auch alles wunderbar.

Modelliert hatte ich die das Ganze komplett mit 
s-Übertragungsfunktionen. Nach Nyquist und Pol/Nullstellen Diagramm (mit 
Matlab erstellt)
ist der Regelkreis stabil.

Jetzt frage ich mich allerdings wie ich das in meinem realisierten 
Regelkreis handhaben muss?

Für Rückwärtsdifferenzenquotienten und Tustin habe ich gefunden, dass 
eine stabile s-Übertragungsfunktion auch zu einer stabilen z-ÜF führt.
Kann ich also davon ausgehen, dass mein gesamter Regelkreis auch stabil 
ist?

Oder kann/muss ich meine eigentliche analoge Strecke "einfach" mit einer 
z-ÜF beschreiben und dann zusammen mit meiner eh schon als z-ÜF 
vorliegenden
Regler-ÜF die Stabilitätsbetrachtung erneut machen?

Oder habe ich etwas anderes übersehen?

Vielen Dank für eure Hilfe!

Grüße
Sev

von Purzel H. (hacky)


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Das einfachste ist jeweils ein Versuch. Falls das nicht moeglich ist, 
sollte man eine Simulation probieren.
Was ist denn die Zeitkonstante der Strecke ?

von Sev U. (sevurium)


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Simulation habe ich laufen und gebaut ist es auch. Beides sieht soweit 
gut aus.
Ich möchte oder muss es halt nur auch irgendwie theoretisch nachweisen.
Regelstrecke ist ein PT2-Glied welches auch Schwingfähig ist:

0.27 / (0.008559s^2+0.07742s+1)

genaugenommen kommt auch noch eine Totzeit von 0.08sec dazu, wobei man 
die bei der Größe evtl. auch schon vernachlässigen könnte.

Danke für die schnelle Antwort.. 3min.. wow ;)

Gruß

von ... (Gast)


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Sev U. schrieb:
> 0.27 / (0.008559s^2+0.07742s+1)

Irgendwas geht da dimensionsmäßig völlig schief.
Ingenieur von morgen?

von Oliver J. (skriptkiddy)


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... schrieb:
> Irgendwas geht da dimensionsmäßig völlig schief.
Wie kommst du da drauf?

von ... (Gast)


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Oliver J. schrieb:
> Wie kommst du da drauf?
Die Nullstellen der Übertragungsfunktion müssen die Dimension einer Zeit 
haben ;-)

von Oliver J. (skriptkiddy)


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... schrieb:
> Die Nullstellen der Übertragungsfunktion müssen die Dimension einer Zeit
> haben ;-)
Jetzt sind wir aber etwas kleinlich oder? ;)

von Höh (Gast)


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Wie wo was Dimension Zeit?

Ich habe zwar nichts mehr mit Regelungstechnik am Hut, aber ich erinnere 
mich da an so etwas wie Näherung des Totzeitgliedes durch PT1 
1/(T_t*s+1) war das glaube ich ... aber auch nur sinnvoll wenn Totzeit 
nicht winzig im vergleich zu Zeitkonstanten der Strecke.

Des weiteren ist zu überprüfen wie die Zeitkonstanten im Vergleich zu 
deiner Abtastrate sind, sollten die Zeitkonstanten der Strecke 
wesentlich größer sein, sollte das ziemlich genau stimmen. Sollte dieser 
Fall nicht zutreffen, eher alles diskret machen. Faktor 10 sollte 
ausreichen, bestehen strengere Anforderungen in der Regelgüte sollte der 
Faktor entsprechend größer sein.

Hoffe das findet keine Einwände bei den Experten, wie gesagt absolut 
nicht mehr mein Feld ...

von Oliver J. (skriptkiddy)


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Höh schrieb:
> Wie wo was Dimension Zeit?
Die Zeit gehört in ihrer Potenz als Dimension zu den Koeffizienten der 
Übertragungsfunktion. Und zwar in der selben Potenz wie die 
Laplacevariable.
Die Nullstellen und die Polstellen haben die Dimension einer Frequenz.
In
> 0.27 / (0.008559s^2+0.07742s+1)
fehlen einfach die Zeitpotenzen an den Koeffizienten. Denke das meinte 
... auch hat sich nur voll daneben ausgedrückt.


> Näherung des Totzeitgliedes durch PT1
> 1/(T_t*s+1) war das glaube ich ... aber auch nur sinnvoll wenn Totzeit
> nicht winzig im vergleich zu Zeitkonstanten der Strecke.
Das ist mir neu. Ich kenne bloß die exakte Abbildung durch die 
e-Funktion und die Approximation nach Padé. Die Totzeiten durch 
PT-n-Glieder anzunähern erscheint mir auch nicht sinnvoll, weil 
Totzeiten linearphasig sind und das kann man mit PT-n-Gliedern nicht 
wirklich nachbilden.


> Faktor 10 sollte
> ausreichen, bestehen strengere Anforderungen in der Regelgüte sollte der
> Faktor entsprechend größer sein.
So kenne ich das auch. 10 mal schneller als die kleinste Zeitkonstante 
und dann hat man quasi-kontinuierliches Verhalten.


Gruß Oliver

von Oliver J. (skriptkiddy)


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Sev U. schrieb:
> Oder kann/muss ich meine eigentliche analoge Strecke "einfach" mit einer
> z-ÜF beschreiben und dann zusammen mit meiner eh schon als z-ÜF
> vorliegenden
> Regler-ÜF die Stabilitätsbetrachtung erneut machen?
Schau mal nach Nyquist und Phasenreserve. Damit könnte man Stabilität 
nachweisen.

Gruß Oliver

von Sev U. (sevurium)


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Danke für eure Antworten.


Oliver, Nyquist und Phasenreserve habe ich gemacht. Da passt alles. Aber 
so wie ich das verstanden habe, gilt das nur für den kontinuierlichen 
Fall, aber wohl nicht, wenn es sich dabei um ein Abtastsystem handelt.

Ich habe nun noch eine andere Möglichkeit gefunden die Stabilität zu 
testen, ausgehend von der kontinuierlichen Form. (Grundkurs der 
Regelungstechnik von Hilmar Jaschek und Holger Voos)

Dabei werden die Pole der charakteristischen Gleichung einen Punkt in 
der z-Ebene zugeordnet. In der z-Ebene müssen dann alle Punkte innerhalb 
des Einheitskreises liegen. Was sie bei mir auch tun. Nur einer liegt 
genau drauf.

Genau drauf, ist für mich nicht innerhalb, also sollte es theoretisch 
doch Instabil sein. Was aber auch komisch wäre, da mir bisher beim 
testen noch kein instabilerfall aufgefallen ist.

Vielleicht ist das ganze aber auch nicht so schlimm, da die 
Regelungstechnik eh nicht meine Hauptaufgabe ist. Interessieren würde es 
mich natürlich trotzdem.

Vielen Dank nochmal und schöne Grüße
Sev

von Michael N. (much)


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Hi,

Wenn ein Pol genau auf dem Einheitskreis liegt, dann ist das System 
grenzstabil (Analog zu Polen auf der Imaginären Achse in der s-Ebene). 
In der Praxis sollten die Pole nicht zu nah am Einheitskreis liegen, da 
im Mikrorechner i.d.R. in Festkomma gerechnet wird und es durch 
Ungenauigkeiten in den Berechnungen oder durch Parameterschwankungen 
dazu kommen kann, dass diese Pole aus dem Einheitskreis herausrutschen 
und das System instabil wird.

lg much

von Oliver J. (skriptkiddy)


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Sev U. schrieb:
> Oliver, Nyquist und Phasenreserve habe ich gemacht. Da passt alles. Aber
> so wie ich das verstanden habe, gilt das nur für den kontinuierlichen
> Fall, aber wohl nicht, wenn es sich dabei um ein Abtastsystem handelt.
Soweit ich das verstanden habe, stimmt das schon, aber wenn man 
quasi-kontinuierlich abtastet, dann ist alles in Butter (AA-Filter 
vorausgesetzt).


> Genau drauf, ist für mich nicht innerhalb, also sollte es theoretisch
> doch Instabil sein. Was aber auch komisch wäre, da mir bisher beim
> testen noch kein instabilerfall aufgefallen ist.
Hast du das auf dem Papier gerechnet oder ein numerisches Tool wie 
Matlab genutzt? Beim händischen Rechnen passieren nämlich des öfteren 
Fehler.


Gruß Oliver

von ich (Gast)


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Man kann die Strecke als quasikontinuierlich ansehen, wenn dt 
(Abtastzeit) < tau (schellste Zeitkonstante der Strecke), mit dem Faktor 
5-10. Ansonst einfach die Strecke in den z-Bereich transformieren (S-H 
nicht vergessen) und schauen, ob alle Pole im sogenannten Einheitskreis 
liegen. Das Abtasten der Stecke mach die Strecke bei geringen 
Abtastraten im Vergleich zu der schellsten Zeitkonstante 
schwingungsanfällig und damit bei falscher Regelung instabil.

von ich (Gast)


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Nachtrag: Fals nicht bekannt. Scilab kann soetwas ganz ganz gut 
berechnen.

von Oliver J. (skriptkiddy)


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ich schrieb:
> (S-H
> nicht vergessen)
Wie meinst du das?

von ich (Gast)


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S-H = Sample and Hold-Glied

Die z-transformiete Strecke muss mit einem S-H-Glied multipliziert 
werden, sonst hat man irgendwas. In Matlab/Scilab gibt man beim 
Transformieren einfach den Grad an. Per Hand muss man es selber machen 
:)

von Sev U. (sevurium)


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ich schrieb:
> S-H = Sample and Hold-Glied
>
> Die z-transformiete Strecke muss mit einem S-H-Glied multipliziert
> werden, sonst hat man irgendwas. In Matlab/Scilab gibt man beim
> Transformieren einfach den Grad an. Per Hand muss man es selber machen
> :)

Hi,


"ich", hast du irgendwelche Quellen, wo ich das auch nochmal genauer 
nachlesen kann?
Umwandeln mit z-Transformation habe ich zwar schon in mehreren Büchern 
gesehn und auch verstanden, aber das mit dem multiplizieren mit einem 
S-H-Glied meine ich nicht gesehen zu haben.

Der Tipp mit Matlab die Z-Transformation zu machen ist auch super, 
danke. Da habe ich noch gar nicht dran gedacht.



nochmal vielen dank an alle für die Antworten!

Gruß
Sev

von Michael N. (much)


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Hi,

du kannst ein zero-order-hold im Zeitbereich mit Hilfe von 
Heaviside-Funktionen ausdrücken:

Durch Laplace-Transformation und ein wenig Rechnerei führt dies zur 
Übertragungsfunktion:

Vielleicht hilft dir das ein wenig weiter. Wenn du Matlab verwendest 
brauchst du dich darum ja wie oben berteits beschrieben nicht zu 
kümmern, da du das Halteglied ja als Parameter übergibst.

lg much

von Sev U. (sevurium)


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Hallo an alle,

ich danke euch für die tolle Hilfe!

Alle Pole liegen im Einheitskreis, was will ich mehr ;)

Schöne Grüße
Sev

von ich (Gast)


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Falls noch von Interesse:

http://www.unibw.de/lrt15/Institut/lehre/vorlesung/DR_FT2010.pdf

Auf Seite 34 wird hier beispielsweise auf das S-H-Glied eingegangen.
(Die Quelle ist der erste Treffer mit dem Stichwort:"digitale Regelung" 
bei einer bekannten Suchmaschine)

von Sev U. (sevurium)


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ich schrieb:
> Falls noch von Interesse:
>
> http://www.unibw.de/lrt15/Institut/lehre/vorlesung/DR_FT2010.pdf
>
> Auf Seite 34 wird hier beispielsweise auf das S-H-Glied eingegangen.
> (Die Quelle ist der erste Treffer mit dem Stichwort:"digitale Regelung"
> bei einer bekannten Suchmaschine)

Hey danke.. das ist ein klasse Script. Viel besser als die ich gefunden 
habe.
And ich habe dabei auch eine bekannte Suchmaschine benutzt ;)

Danke und schöne Grüße
Sev

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