Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Beschleunigte Lebensdauer Alterungstests


von Phil (Gast)


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Hallo,

ich suche nach einem Verfahren elektronische Systeme vorzeitig altern zu 
lassen um eine qualifizierte Aussage zur Lebensdauer zu erhalten. Ich 
habe schon gegoogelt aber nichts konrektes gefunden und mich im Wald von 
MIL-Standards und DINs verloren.

Kann mir jemand ein konrektes Verfahren am besten mit Verweis auf eine 
Norm nennen?

VG,

Phil

von Tomas (Gast)


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Hi Phil,

Was willst du denn altern lassen??

Elektronik, Mechanik, ..

von Phil (Gast)


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Elektronik.

von Marcus B. (raketenfred)


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Ich denke da wird man einen Temperaturschrank für brauchen

von oszi40 (Gast)


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Nur Wärmeschrank wäre zu einfach. Jede Kfz-Elektronik muß auch klirrende 
Kälte, Erschütterungen und böse Resonanzen ertragen können neben dem 
üblichen elektrischen Stress.

Falls diese Arbeit nicht täglich anfällt, sollte man besser nach einem 
geeignetem Prüflabor suchen, was schon Erfahrung damit hat.

von Hauspapa (Gast)


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Die Normensituation ist etwas unübersichtlich weil die Frage nach der 
Lebensdauer leider physikalisch etwas komplexer ist. Es kommt sehr auf 
die konkrete Fragetellung an:

Geht es um Versagen durch Totalausfall oder ist Versagen bereits wenn 
sich z.B. Messwerte verschieben?

Sensoren haben z.B. häufig ein völlig anderes Alterungsverhalten als die 
übrige Elektronik.

Ich habe schon Zuverlässigkeitsdaten für IGBT Module gesehen, da geht es 
hauptsächlich um Temperaturzyklen. Ob das viele Kleine sind mit z.B. 
50Hz im Stromnetz bei Dauerlast oder wenige Grosse mit kurzen 
Anstiegszeiten spielt für den Dauerbruch vom Bonddraht nachher keine 
Rolle. In der Frage "Was muss ich für eine Schnellalterung tun?" ist es 
aber sehr wohl relevant.

Einer (PEM-)Brennstoffzelle musst Du z.B. nur etwas Kohlenmonoxid vor 
die Nase halten und schon verhält die sich wie kurz vor dem Tod.

Versagen kann auch sein das mechanische Bauteile versagen, z.B. weil 
Weichmacher aus Kunststoffen sich verflüchtigen und die spröden 
Kunststoffteile dann brechen.

Im Bereich Schiffstechnik ist Korrosion auch bei Elektronik ein riesen 
Thema.

Entsprechend der verschiedenen Ursachen für Versagen ist dieses Thema 
leider nicht so allgemein wie Du gefrat hast zu beantworten.

von Phil (Gast)


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Hauspapa schrieb:
> Im Bereich Schiffstechnik ist Korrosion auch bei Elektronik ein riesen
>
> Thema.

Tja salzhaltige, feuchte Luft ist natürlich der Kracher :-)

Hauspapa schrieb:
> Entsprechend der verschiedenen Ursachen für Versagen ist dieses Thema
>
> leider nicht so allgemein wie Du gefrat hast zu beantworten.

Schade. Dennoch würde ich mit dem Thema gerne zumindest nähern.
Sind dir denn Normen bekannt aus dem Bereich der Automobil, Luft- und 
Raumfahrt, Medizintechnik?

Ich mein ich hatte privat schon etliche elektrische Geräte die einfach 
ausgefallen sind. Sprich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein 
Zuverlässigkeitsthema das Problem war.

Da muss es doch eine Norm geben. Wäre ja schlimm wenn sich ein 
Flugzeugbauer keine Gedanken um sowas machen und das auch nachweise 
muss.....

von Reinhard Kern (Gast)


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Hallo,

eine allgemeingültige Norm ist mir auch nicht bekannt (es gibt wohl 
MIL-Vorschriften, aber die gelten eben nur für militärische 
Anwendungen), aber eine Daumenregel lautet, dass viele Bauteile bei 
einer Temperaturerhähung um etwa 7 Grad mit einer Halbierung der 
Lebensdauer reagieren. Daher auch der Verweis auf eine Wärme- oder 
Klimakammer.

Trotz dieses angenommenen Verkürzungsfaktors ist eine Messung immer noch 
langwierig und teuer, LED-Lampen z.B. werden mit 20000 Stunden 
angegeben, bei einem Faktor von 16 (2 ^ 4, entsprechend ca. 30 Grad) 
muss man also immer noch eine grössere Anzahl mehr als 1000 Stunden im 
Ofen betreiben, eine recht teure Angelegenheit. Man kann den Faktor bzw. 
die Temperatur auch nicht beliebig hoch treiben, bei Überschreitung der 
vom Hersteller angegeben Maximaltemperatur können andere Effekte 
auftreten und irgendwann schmelzen die Lötstellen. Eine wichtige Grenze 
ist z.B. die Einsatztemperatur des Leiterplatten-Materials.

Gruss Reinhard

von Osche R. (Gast)


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Phil schrieb:

> Kann mir jemand ein konrektes Verfahren am besten mit Verweis auf eine
> Norm nennen?

Das Lastenheft Deines Kunden.

Für Automobil gibt's z.B. DIN 72300,  DIN 75220, IEC 60068-2 -- daran 
kann man sich orientieren.

von Phil (Gast)


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Reinhard Kern schrieb:
> aber eine Daumenregel lautet, dass viele Bauteile bei
>
> einer Temperaturerhähung um etwa 7 Grad mit einer Halbierung der
>
> Lebensdauer reagieren

interessant.
Ich kenne es so, dass vor allem dynamische Vorgänge 
(Abkühlen<->Erwärmen) die Lebensdauer von Elektronik beeinträchtigen und 
somit "vorzeitig" altern.

von ein Zuverlässigkeitsingenieur (Gast)


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Hallo,
für den Automobilbereich für ASIC ist der AEC-Q100 das Standardwerk.
Der AEC-Q100 verweist dann hauptsächlich auf diverse JEDEC Standards und 
MIL-883.
So werden für die Lebensdauer- und Freigabeuntersuchung von einem ASIC 
zum Beispeil folgende Tests gemacht (nicht vollständig!):
- 1000h Temperaturlagerung bei 150°C (unbestromt)
- 1000 Temperaturzyklen (-50°C/150°C, dwell time pro temp 10 min.)
- 96 Autoclave (121°C bei 100% relative Luftfeuchte[r.H.])
- 1000h Temperatur/Feuchte/Bestromt (THB) 85°C/85%r.H + Bestromung
bzw HAST -> 96h bei 130°C/85%r.H bestromt.
- 1000 high temperature oprerating lifetime @ 125C -> hohe temperatur 
und   bestromung mit einem meist dynamischen Pattern
- ESD und Latch-up Tests
- Wire Bond Pull und Wire Ball shear tests (an den Golddrähten ziehen)
- Lötbarkeitstest
- ...

Durch die diversen Stresstests werden unterschiedliche Fehlerbilder bei 
unterschiedlichen Beschleunigungsfaktoren (z.B. Arehniusformel) 
aktiviert.



Für mehr Details mal ruhig nach: reliability handbook semiconductor 
googeln.Da gibt es recht gute und freie Literatur z.B. von Renesas.


Die JEDEC Standards sind bei der JEDEC frei verfügbar.
AEC-Q100 glaub ich eher nicht.


Gruß
ein Zuv-Ing

von ein Zuverlässigkeitsingenieur (Gast)


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Phil schrieb:
> Ich kenne es so, dass vor allem dynamische Vorgänge
> (Abkühlen<->Erwärmen) die Lebensdauer von Elektronik beeinträchtigen und
> somit "vorzeitig" altern

Abkühlen und Erwärmen macht bei Baugruppen in der Regel die Lötstellen 
mürbe.
Und bei Einzelbauelementen werden die Grenzschichten von 
unterschiedlicehn Materialien (hoch) belastet, Stichwort 
Ausdehnungskoeffizienten.


Gruß
Zuv-Ing

von ein Zuverlässigkeitsingenieur (Gast)


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Reinhard Kern schrieb:
> eine allgemeingültige Norm ist mir auch nicht bekannt (es gibt wohl
> MIL-Vorschriften, aber die gelten eben nur für militärische
> Anwendungen),

Hallo Reinhard,
die MIL -Standards sind nicht unbedingt nur für militärische 
Anwendungen, sie haben hier nur ihren Ursprung.


Gruß
Zuv-Ing

von Reinhard Kern (Gast)


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ein Zuverlässigkeitsingenieur schrieb:
> die MIL -Standards sind nicht unbedingt nur für militärische
> Anwendungen, sie haben hier nur ihren Ursprung.

Das ist mir schon klar, aber z.B. einen MP3-Player nach MIL auszulegen 
und zu prüfen erinnert an das bekannte Spatzenmassaker durch Kanonen. 
Der Vorteil ist nur, dass es bei MIL tatsächlich für ALLES eine 
Vorschrift gibt, und falls doch mal nicht, gelten die SOPs (Standard 
Operating Procedures).

Gruss Reinhard

von ein Zuverlässigkeitsingenieur (Gast)


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Reinhard Kern schrieb:
> Das ist mir schon klar, aber z.B. einen MP3-Player nach MIL auszulegen
> und zu prüfen erinnert an das bekannte Spatzenmassaker durch Kanonen.
> Der Vorteil ist nur, dass es bei MIL tatsächlich für ALLES eine
> Vorschrift gibt, und falls doch mal nicht, gelten die SOPs (Standard
> Operating Procedures).

Die MIL Standards sind eine Sammlung von Empfehlungen und 
Testdefinitionen.
Hier wird z.B. beschrieben, wie ein Temperatur Shock Test (TS, z.B. 
-50°C/150°C liquid/liquid) durchzuführen ist und was als Ausfall nach 
MIL-Std Methode xxx anzusehen ist.

Ein IC eines MP3 Spieler kann man durchaus gegen den MIL Std testen, 
ohne das es ein Spatzenmassaker wird. So wird beispielsweise der ESD HBM 
Test (Chiplevel) nach MIL-Std, weniger agressiv angesehen als der IEC 
61000-4-2.

Die Akzeptanzgrenzen des Wire Pull Test (ziehen der Golddrähte bei einem 
IC) wurden im MIL-Std 883 G Method 2011.7 im Jahr 1989 definiert und 
sind bis heute gültig (3cN), auch wenn sie meiner Meinung nach schon 
sehr lasch sind.
Von einer übertriebenen Härte bei der Verwendung des MIL kann auch hier 
keine Rede sein.

Gruß
Zuv-Ing

von Osche R. (Gast)


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Reinhard Kern schrieb:

> Das ist mir schon klar, aber z.B. einen MP3-Player nach MIL auszulegen
> und zu prüfen erinnert an das bekannte Spatzenmassaker durch Kanonen.

Wobei es durchaus Leute gibt, die das Ding im Winter im Rucksack haben 
und im Sommer im Auto liegen lassen. Die Usecases und das daraus 
resultierende Lebensdauer-Lastprofil muss man halt vorher definieren.


Die AEC-Normen gelten für einzelne Bauelemente, nicht für Baugruppen. 
Steuergeräte qualifiziert man nach den oben genannten Normen (bzw den 
Standards der OEMs, die sich jedoch davon abgeleitet sind).



BTW: Lebensdauer bzw Ausfallraten berechnet man nach IEC 62380, 
MIL-HDBK-217F oder SN29500.

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