Nach 35 Jahren habe ich nun die Antwort auf die Frage gefunden, die mich
nahezu 18 Jahre lang im Mathematikunterricht beschäftigt hat.
"Wofür braucht man das?"
"Um es seinen Kindern erklären zu können, oder denen des Nachbarn in
diesem Fall."
Das befreit die Erfinder und Missionare solcher Lehren nicht von dem
Verdacht, geistige Mastrubation zu betreiben, aber es gibt der Aufgabe
zumindest einen, wenn auch fragwürdigen Sinn.
Zur Sache:
Das gequälte Nachbarskind präsentierte mir seine Mathematikaufgaben, in
welchen ein Bruch und ein unvollständiger zweiter Bruch gegeben sind,
welche gleich sein sollen. Es ist also der fehlende Teil des zweiten
Bruches zu ergänzen.
Das Ganze bekomme ich genau noch solange hin, bis die Brüche mit Summen
und Differenzen aufwarten. Der Blick zu Tante Google und den
einschlägigen Fachforen brachte mich auch nicht weiter, aber ich greife
hier mal das Beispiel von Wikipedia auf.
Da wird aus
Soweit so gut. Löse ich mir
auf, komme ich auch problemlos auf
. Der magische Schlüssel um von x^2 - 6xy + 9y^2 auf (x-3y)^2 zu kommen,
scheint ja der Griff in die Kiste mit den Binomischen Formeln zu sein,
aber woran erkennt man, dass x^2 - 6xy + 9y^2 aus (x-3y)^2
hervorgegangen bzw. zurückzuführen ist? D.h. woher weiß ich, ohne die
Lösung zu kennen, ob oder welche Binomische Formel hier benutzt werden
soll?
Tex Avery schrieb:> D.h. woher weiß ich, ohne die Lösung zu kennen, ob> oder welche Binomische Formel hier benutzt werden soll?
Gilt bei vorgegebenem Term x^2 - A xy + B y^2 zusätzlich (A/2)^2 = B,
dann ist x^2 - A xy + B y^2 = (x - A/2 y)^2
(6/2)^2 = 9 ... passt!
Hi,
eine Hilfe für mich war immer:
- Wenn nach dem Radizieren von a und c eine ganze Zahl rauskommt,
handelt es sich meistens um eine Binomische Formel ;-)
Gruß
Tex Avery schrieb:> D.h. woher weiß ich, ohne die>> Lösung zu kennen, ob oder welche Binomische Formel hier benutzt werden>> soll?
Notwendige Kriterien:
- x², ein Mischterm mit xy und y²
- Vorzeichen dieser Terme (- +) oder (+ +)
- Der Faktor des Mischterms muss das Doppelte der Wurzel des 3.Faktors
sein, der Faktor des ersten Terms muss hierbei 1 sein, ggf. vorher diese
1 durch Division/Multiplikation herbeiführen
Et voilá, da steckt eine binomische Formel dahinter ;)
Das Stichwort ist quadratische Ergänzung:
http://de.wikipedia.org/wiki/Quadratische_Erg%C3%A4nzung
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Die quadratische Ergänzung ist ein Verfahren zum Umformen von Termen, in
denen eine Variable quadratisch vorkommt, so dass ein quadriertes Binom
entsteht und die erste oder zweite Binomische Formel angewendet werden
kann
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Tex Avery schrieb:> 18 Jahre lang im Mathematikunterricht
Da hatten dich die Lehrer aber gern, wenn sie sich solange mit dir
beschäftigt haben.
Wieviele Klassen haben sie dir denn zweimal gegönnt? :-)
>Das Stichwort ist quadratische Ergänzung:
Das ist das die vernünftigste Antwort. Mein Matheprof sagte mal,
"Mathematik ist die Kunst des geschickten Erweiterns". Und damit hat er,
besonders bei solchen Fällen, recht.
Es ist nicht nötig, die binomischen Formel auswendig zu kennen.
Es reicht, zu wissen, dass (a+b)^2 = a^2 +2ab +b^2 ist
Wie du die Klammer aufgelöst hast, geht es natürlich auch andersrum.
Somit muss der Term durch Umformen und "geschicktes Ergänzen" nur auf
diese Form gebracht werden. Dann kann durch Koeffizientenvergleich das
Ergebnis gefunden werden.
>aber woran erkennt man, dass x^2 - 6xy + 9y^2 aus (x-3y)^2 hervorgegangen >bzw.
zurückzuführen ist?
Somit kannst du sagen:
x^2 - 6xy + 9y^2 = (besser: soll sein) a^2 + 2ab + b^2 = (a+b)^2
Vergleich:
x^2 = a^2
9y^2 = b^2 => b=3y
und damits aufgeht, muss:
6xy = 2ab = 2x * 3y sein. Passt.
Anderes Beispiel:
Folgendes Integral ist gesucht:
x^2
I --------- dx = ?
x^2 + 1
Man sieht sofort, dass hier jemand mal gekürzt hat und erweitert
geschickt:
x^2 x^2 +1 -1 ( durch plus eins minus eins )
I --------- dx = I ------------- ( bleibt der Wert des Bruchs )
x^2 + 1 x^2 + 1 ( ja gleich )
x^2 +1 -1 x^2 + 1 1
I ------------ dx = I ( --------- - --------- ) dx
x^2 + 1 x^2 + 1 x^2 + 1
hier sieht man sofort, das der Bruch verschwindet, und somit zwei
Grundintegrale überig bleiben:
= x - arctan x ( + c )
@Klaus
Keine. 10 Jahre + 3 Jahre Lehre + 1 Jahr Fachabi + 4 Jahre Studium
Wie ich das überlebt habe, weiß ich auch nicht, aber nachdem der
Mathe-Dozent verzweifelt den Raum verließ, nachdem ich ihn fragte,
welcher praktisch anwendbare Sinn dahinter steht, eine Formel so lange
zu vergewaltigen, bis sie sich integrieren lässt, haben mir meine
Kommilitonen ein schönes Geschenk gemacht. Es hängt bis heute in meinem
Büro, statt T.....-Kalendern.
@ Matthias
In dem Augenblick, in dem das fertige Ergebnis da steht, ist das sofort
einzusehen. Was sich mir immer verborgen hat ist die Frage:
Wie kommt man darauf, z.B. in Deinem Beispiel: um +1 -1 zu erweitern?
Ich habe mal in Kanada einen Typen getroffen, der in 30 Minuten mit
einer Kettensäge aus jedem Stück Holz, egal ob Stamm, Wurzel oder
Astgabel, einen Bären geschnitzt hat. Wenn der Bär fertig war, war klar,
das man aus diesem Holz nur einen Bären schnitzen konnte.
"Man sieht sofort, dass hier jemand mal gekürzt hat"
Woran sieht man sofort, dass ... ?
>"Man sieht sofort, dass hier jemand mal gekürzt hat">Woran sieht man sofort, dass ... ?
Ja. Da hast du recht, das bedarf etwas Erfahrung. Wenn man zB in diesem
Beispiel im Kopf hat, das das Integral von dx/(x^2+1) der arctan ist,
dann sieht man sowas. Aber so, von nicht heraus, ist das schwierig.
Bei deinem Beispiel ist am Besten, wenn du einfach mal paar Beispiele
mit der quadratischen Ergänzung rechnest.
Da kann ich dir auch empfehlen, dich mal mit dem schriftlichen
Wurzelziehen zu beschöftigen. (ohne Taschenrechner - Wer kann das denn
heute noch?)
Das geht auch auf die binomische Formel zurück.
PS:
Wer hat die binomische Formel erfunden?
http://de.wikipedia.org/wiki/Alessandro_Binomi
Matthias Lipinsky schrieb:>>"Man sieht sofort, dass hier jemand mal gekürzt hat">>Woran sieht man sofort, dass ... ?>> Ja. Da hast du recht, das bedarf etwas Erfahrung.
Wobei man auch sagen muss, dass es ein paar so 'Standard-Tricks' gibt,
die man eben einfach kennen muss.
Und genau deswegen rechnet man in Mathe dann auch haufenweise Beispiele
durch, die immer wieder auf dieselben Tricks rauslaufen, damit man sich
als Lernender darauf einstellt, zu erkennen welcher Trick in welcher
Situation angebracht ist. Irgendwann hat man dann auch mal das Muster
heraussen, wie die Koeffizienten bei
1
a*x^2 + b*x*y + c*y^2
aussehen müssen, welche Zusammenhänge es zwischen a, b und c geben muss,
damit man sofort erkennt, dass das
1
(d*x + e*y)^2
in ausmultiplizierter Form ist und wie dann d und e aussehen.
Auch 'pattern matching' muss trainiert werden.
Ich glaube es laesst sich so erklaeren:
(x-3)^2 = x^2-6xy+9y^2 = x^2-3xy-3xy+9y^2 = x(x-3y)-3y(x-3y)*
* Da "x-3y" gleich sind, vereinen sich diese, so aehnlich wie bei den
Bruechen, der Nenner vereint sich bei Addition und Subtraktion. (Anm.)
Auf diese Weise => entsteht durch den "x" vor der Klammer und "-3y" eine
eigene >wie-man-das auch-nennen-moechte<....
Also (x-3y)(x-3y) => (x-3y)^2
Tex Avery schrieb:> aber woran erkennt man, dass ...
Warum kann der Maurer mauern?
Warum kann der Schweißer schweißen?
Warum kann der Musiker musizieren?
Übung macht den Meister!
Tex Avery schrieb:> Das befreit die Erfinder und Missionare solcher Lehren nicht von dem> Verdacht, geistige Mastrubation zu betreiben,
Nieder mit solchen Missionaren wie Gauß, Leibnitz, Lagrange und Fourier!
Tex Avery schrieb:> Woran sieht man sofort, dass ... ?
Zitate meines Mathetutors:
"Ein Trick heißt Trick, weil man nicht darauf kommt."
"Summen sind nur komische Integrale."
"Mathematiker können nichts außer Einsen zu multiplizieren und
Nullen zu addieren."