Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik ESD in der Hobby-Praxis


von User (Gast)


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Wie wichtig ist ESD in der Hobby-Praxis?  Oftmals sehe ich, auch bei 
Kollegen, dass ICs mit den Fingern "angetapscht" werden und man hört, 
heutige ICs wären ohnehin ausreichend gegen statische Entladungen 
geschützt.

Wie handhabt ihr die ESD Sicherheit?    Bewahrt ihr eure ICs ESD-sicher 
auf? Oder reicht euch ein Erden an der Steckdose?  Welche Art von ICs 
sind relativ (un-) empfindlich?

Ist jemandem selbst schon ein Fall von defekten ICs durch ESD passiert 
oder bekannt?

von F. F. (foldi)


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Hab selbst schon im professionellen Bereich gesehen wie sie dort die 
Prozessoren in den Fingern hielten. Das im Reparaturbereich, ohne 
Erdungsband anzulegen. Allerdings haben die auch einen speziellen Boden 
und entsprechende Schuhe.

von Sebihepp (Gast)


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Mir ist das auch noch nie passiert, einem Bekannten allerdings schon. Er 
hat sich nicht am PC Gehäuse entladen und als er den neuen 
Arbeitsspeicher ausgepackt und angefasst hat, gab es einen kleinen Blitz 
und der (neue) RAM ging nicht mehr. Der könnte natürlich auch schon 
davor defekt gewesen sein...

Wir haben Laminat und ich laufe bei mir häufig mit Socken oder sogar 
Barfuß durch die Wohnung und fasse vor dem basteln mein PC Gehäuse an. 
Bisher hat das immer ausgereicht. Mein teuerster IC war aber auch nur 
ein Xilinx XC95144XL, das wäre also nicht so tragisch gewesen, wenn der 
kaputt gegangen wäre.

Grüße
Sebi

von Matthias S. (Firma: matzetronics) (mschoeldgen)


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Wir haben es mal proviziert mit einem EPROM, einer hat mit Gummisohlen 
am Teppichboden geladen und dann haben wir über den Chip entladen. Der 
war defekt, die tägliche Praxis zeigte mir aber, das es lange nicht so 
dramatisch ist, wenn man simple Regeln befolgt, wie z.B. sich vorher an 
metallischen Sachen zu entladen, wenn man sich im Wollpullover der CMOS 
Schaltung nähert.
Barfuss basteln ist am besten, im Winter aber unbequem.

von esd chef (Gast)


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Das größere Problem ist ja, dass die Bauteile durch eine 
elektrostatische Entladung "angeschossen" werden. Das heißt erst 
funktionieren sie noch einwandfrei und dann mit der Zeit gehen die Teile 
kaputt. Schlimmstenfalls erst beim Kunden, im Privatbereich ist es ja 
nicht so schlimm.

ESD gefährdete Bauteile müssen nach einer Entladung nicht sofort defekt 
sein.

von Gregor B. (Gast)


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User schrieb:
> man hört,
>
> heutige ICs wären ohnehin ausreichend gegen statische Entladungen
>
> geschützt.

Das würde ich nicht sagen.

Atmel und Microchip testen ihre Controller mit dem im MIL-STD-883 
beschriebenen Aufbau für ein sog. HBM (Human Body Model) mit einem 
Testlevel von +-4kV.

Atmel schreibt selber, dass ein nach MIL-STD-883 getestetes Produkt 
nicht unbedingt den gleichen Test nach IEC61000-4-2 besteht, da dort 
zwar auch mit der gleichen Spannung getestet wird, aber mit der 
1,5-fachen Energie und einem auf ungefähr 1/5 reduzierten 
Strombegrenzungswiderstand.

+-4kV ist der Pegel, ab dem ein Mensch überhaupt erst eine Entladung 
merkt.
Wenn Du über einen Teppich läufst können sich aber Spannungen von 
mehreren 10kV aufbauen. Die verdaut so ein Chip mit Sicherheit nicht.

Noch problematischer sind MOSFETs, die an ihrem Gate üblicherweise keine 
Schutzbeschaltung haben und daher prädestiniert sind für ESD-Schäden.

Insbesondere die TRENCH-FETs sind hier besonders empfindlich.

Ich habe schon mehrfach tagelang Fehler gesucht, bei denen ich hinterher 
davon ausgehen musste, dass ein Bauteil auf Grund von ESD-Ereignissen 
ausgefallen ist.

Für meine Basteleien habe ich mir also für ca. 30€ eine Matte, ein 
ESD-Armband und einen passenden Stecker für die Schutzkontakte an der 
Steckdose besorgt.

Die Matte verhindert auch wirksam unschöne Brandflecken auf der 
Tischplatte, bietet also doppelten Nutzen.

von 6A66 (Gast)


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User schrieb:
> Wie wichtig ist ESD in der Hobby-Praxis?

Ernstnehmen! Ich hatte im Wohnzimmer einen PC "Scenic....". beim 
Aufstehen von der Couch an die USB Buchse gekommen, Funken gezogen, PC 
aus. Mainboard hin! Ich denke aber auch dass das eine 
Überempfindlichkeit diese einen Modells ist. Im Bastelkeller/Bastelecke 
dafür sorgen dass ESD nicht erst entsteht (Stühle, Boden, Schuhe, ...).

rgds

von Stefan Noack (Gast)


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Ich hab diese Erdungsmatten und Armbänder. Der Einzige Nachteil an der 
guten Erdung ist, dass ich jedes Mal eine gewischt bekomme, wenn meine 
Freundin im Wollpullover angekuschelt kommt. Aber lieber ich als die 
Bauteile :D

von Bronco (Gast)


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Mir hat mal ein EMV/ESD-Fachmann beigebracht, daß ESD immer dort 
entsteht, wo schnell Oberflächen getrennt werden.
In diesem Zusammenhang hat er gesagt, daß Bürostühle mit Rollen 
problematisch sind, weil beim Herumrollen permanenent Oberflächen 
getrennt werden und man sich aufladen kann.
Im Büro haben wir Erdungsarmbänder, zuhause faß ich kurz PE an.

von Gregor B. (Gast)


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Bronco schrieb:
> daß Bürostühle mit Rollen
>
> problematisch sind,

Dafür gibts Spezialrollen, lassen sich einfach gegen die Originalrollen 
austauschen.

von Soul E. (Gast)


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Bronco schrieb:

> Im Büro haben wir Erdungsarmbänder, zuhause faß ich kurz PE an.

Die Tischplatte reicht auch, sofern sie denn aus Holz ist. Beim oder 
direkt nach dem Aufstehen den Tisch anfassen; nach dem 
durchs-Zimmer-laufen erst den Tisch anfassen, dann den Laptop; erst die 
Verpackung und den Tisch anfassen, dann das Bauteil rausnehmen; ...

Kittel, Schuhe und Armbänder fördern das Gemeinschaftsgefühl. ESD-Schutz 
entsteht aber erst durch ESD-gerechtes Verhalten -- und das auch im 
Alltag. Sonst wird das so absurd, wie dieser Typ in dem Werner-Comic, 
der von einem 40 Tonnen-Betonteil erschlagen wurde: er hatte ja einen 
Helm auf!

von Christoph db1uq K. (christoph_kessler)


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>"Kittel, Schuhe und Armbänder fördern das Gemeinschaftsgefühl"
Genau, das ist der einzige Effekt dieses ganzen Unsinns. Interessierte 
Kreise behaupten natürlich etwas anderes, ein süddeutsches Unternehmen 
macht mittlerweile ganzseitige Anzeigen für den Krempel, und 
Schulungsunternehmen erzählen einem diesen Unsinn von "angeknacksten" 
Bauteilen - wie hat man sich so etwas eigentlich vorzustellen, ICs wie 
Schrödingers Katze ?

Der Ausdruck "human body model" suggeriert praxisähnliche Verhältnisse, 
tatsächlich geht es um Spannungen und Ströme, die eher an die 
LD50-Ermittlung der Biologen und Mediziner erinnern. Fünfzig Prozent 
letale Dosis heißt, mit dieser Konzentration stirbt die Hälfte der 
Versuchstiere, die andere Hälfte ist vermutlich auch mehr tot als 
lebendig.

von Gregor B. (Gast)


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Also, wir haben das ganze in der Produktion hinter uns.
Als ich angefangen habe, gab es in der Produktion keine besonderen 
ESD-Schutzmaßnahmen.
Als das Gebäude zu klein wurde und neu gebaut wurde, wurden 
ESD-Maßnahmen ergriffen wie
- Schuhe
- Kittel
- Armbänder
- Fußböden
- Transportboxen ...

In der alten Produktionshalle hatten wir Ausfallraten innerhalb der 
Gewährleistungsfrist von 2-3%, in der neuen Halle (alle Produkte und 
Produktionsmaschinen gleich) sank die Ausfallrate sofort auf <1%.

von Georg W. (gaestle)


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Von ESD- Produkten, Schulungen und Auditierungen lebt eine ganze 
Industrie. Früher gab es Armbänder für ein paar Euro fuffzich, danach 
Teststationen im 100-er Bereich, dann Teststationen mit Drehkreuz und 
jetzt inzwischen ein permanente Überwachung für jeden.
Als erste Maßnahme gilt es für eine auch für den Bastler selbst gesunde 
Luftfeuchtigkeit zu halten. Damit sinkt die Höhe der potentiellen 
Aufladung schon mal deutlich. Wollpulli und Gummisohlen vermeiden hatten 
wir schon. Tischmatte, Armband und Erdung des Lötkolbens sollten für den 
Bastleralltag dicke ausreichen.

soul eye schrieb:
> Kittel, Schuhe und Armbänder fördern das Gemeinschaftsgefühl. ESD-Schutz
> entsteht aber erst durch ESD-gerechtes Verhalten -- und das auch im
> Alltag. Sonst wird das so absurd, wie dieser Typ in dem Werner-Comic,
> der von einem 40 Tonnen-Betonteil erschlagen wurde: er hatte ja einen
> Helm auf!
Verhalten ist ganz wichtig, sonst nützt die ganze teure Ausrüstung 
nichts. Vorsicht ist auch beim Anschluss z.B. an den PC geboten. Wenn es 
beim gleichzeitigen Kontakt mit Erde und z.B. der Abschirmung eines 
Kabels kribbelt besteht auch Gefahr. Die Spannung liegt zwar nur bei 
einigen dutzend Volt, aber es steckt einige Energie dahinter, und diese 
schädigt die Schutzstrukturen der ICs, nicht nur die Spannung!
Einen Helm trägt man ja primär auf der Baustelle, wo die Gefahr in 
erster Linie vom Anstoßen ausgeht. Wenn man ein mit ausreichend Energie 
ankommendes Teil auf den Kopf bekommt geht das auch auf die Wirbelsäule. 
Jemandem, der unter der angehobenen Palette Ziegelsteine steht nutzt er 
im Zweifelsfall auch nichts, das ist auch wieder Verhalten...

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