Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Funktionale Sicherheit in der Elektronik - Beispiele?


von Mike (Gast)


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Hi Leute,

ich habe diverse "theoretische" Dokumente über funktinale Sicherheit 
gefunden (u.A. bezogen auf Software oder fertige Module) aber nirgends 
habe ich etwas gefunden, wie Funktionale Sicherheit auf die Elektronik 
herunter gebrochen aussieht.

Gibt es für Funktionale Sicherheit auf Elektronikebene ein Standartwerk?
Gibt es irgendwo schöne Beispiele (Schaltplanauszüge) über funktionale 
Sicherheit?

MfG
Mike

von 6A66 (Gast)


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Mike schrieb:
> Gibt es für Funktionale Sicherheit auf Elektronikebene ein Standartwerk?
> Gibt es irgendwo schöne Beispiele (Schaltplanauszüge) über funktionale
> Sicherheit?

Ist mir nichts bekannt, mache selber Funktionale Sicherheit.
Hält sich jeder möglichst bedeckt.

rgds

von Patrick (Gast)


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Mike schrieb:
> Gibt es für Funktionale Sicherheit auf Elektronikebene ein Standartwerk?

Standarten, welche in welcher Form auch immer einen Bezug zur FuSi 
bieten, sind mir nicht bekannt. Auch keine Standardwerke.

> Gibt es irgendwo schöne Beispiele (Schaltplanauszüge) über funktionale
> Sicherheit?

FuSi ist ein weites Feld. Hier gibt es keine "Standardrezepte", sondern 
es kommt immer darauf an, was genau eigentlich erreicht werden soll bzw. 
wie das Sicherheitsziel aussieht, welche Rahmenbedingungen (Metriken) 
herrschen, wie das Gesamtkonzept der "Schaltung" (einschl. Hardware, 
Software etc.) eigentlich aussieht etc. Daher verstehe ich die Frage 
nicht so ganz - was sollten diese Schaltplanauszüge denn zeigen 
(Nochmals zur Verdeutlichung: Ich habe hier Schaltpläne für 
ASIL-C-Applikationen, die sich in keinem Punkt von einem "normalen" 
Schaltplan unterscheiden)?

von eehhh (Gast)


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Man muss sich alle Faelle ueberlegen.
Was geschieht, wenn
-die funktionale Einheit keinen Strom mehr bekommt
-der Controller keinen Strom mehr bekommt
-der Controller noch nicht programmiert ist
-die kommunikation zum controller abbricht
-Falscheingabe an der angehaengten Tastatur
-Abbruch der Eingabe an der angehaengten Tastatur
-die Lueftung des Geraetes aussteigt
-die Luftschlitze des Geraetes irgendwie geschlossen werden
-ein Sensor kaputtgeht
-das Kabel zu einem Sensor abreisst

was wurde gemacht, und die obigen Zustaende zu verhindern.
Man ahnt's - das Geraet, resp der Prozess muss immer in einem sicheren 
Zustand sein, resp diesen sicheren Zustand im Fehlerfall anfahren.

von Martin L. (maveric00)


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Hallo,

ein Standardwerk ist mir leider auch nicht bekannt (ausser die Normen 
selber); könnte auch daran liegen, dass es keine "Standard-Schaltpläne" 
bzw. Vorgehensweisen zum Schaltplandesign gibt, da die Lösungen stets 
ziemlich individuell sind.

Was jedoch standardisiert ist sind die Methoden, mit denen man an den 
Schaltplanentwurf herangeht und mit denen man das Design überprüft. Als 
erstes kommet immer (egal welche Norm, IEC61508, ISO 26262, ...) die 
Identifikation der möglichen Gefährdungen, die durch den 
Entwicklungsgegenstand verursacht werden können oder vermieden werden 
sollen, sowie deren Kritikalitäts-Einstufung. Hierzu gibt es 
verschiedene Ansätze, z.B. ein Boundary-Diagramm, eine FMEA oder FTA.

Dann erfolgt die Entwicklung entsprechender Sicherheitsfunktionalität. 
Diese wird dann auf die verschiedenen Komponenten des 
Entwicklungsgegenstands verteilt, wobei sich hier die Normen, was das 
Vererben der Kritikalität angeht, schon unterscheiden. Vereinfacht 
gesagt, kann man die Verantwortung zwischen Software, elektronischer 
Hardware und mechanischen Komponenten verteilen bzw. verschieben. Je 
nach Norm kann man noch durch Redundanz und Divergenzbildung noch die 
Kritikalität der entsprechenden Komponenten verändern (IEC61508: 
Aufteilung einer SIL-2-Kritikalität auf zwei SIL-1-Kritikalitäten).

Im Anschluss daran beginnt das, was Dich hier wohl interessiert, nämlich 
das Design der einzelnen Komponenten (elektrischen Schaltungen). Hier 
fließen verschiedene Anforderungen der unterschiedlichen Normen mit ein 
(z.B. diagnostischer Deckungsgrad) und beeinflussen so das 
Designergebnis. Allerdings können auch hier noch nahezu beliebige 
Verschiebungen der Verantwortlichkeiten erreicht werden, so dass z.B. 
für eine sehr hohe Kritikalität trotzdem eine sehr einfache Schaltung 
ohne Redundanzen möglich ist, während möglicherweise in anderen Fällen 
niedrige Kritikalitäten nur durch komplizierte Schaltungen mit 
eingebauten Diagnosen beherrschbar sind.

Allerdings ist hier in der Vergangenheit schon ein Trend absehbar, 
nämlich den zur Redundanz (obwohl Divergenz prinzipiell besser wäre). So 
etabliert sich der Dual-Core Lock-Step-Prozessor gerade als Mittel der 
Wahl für ASIL D-Systeme. Auch wird häufig auf Informationen von 
"Außerhalb" zugegriffen (z.B. extern angebundene Sensoren oder 
Steuergeräte - im Automobil z.B. ABS/ESP, Engine,...) und so die interne 
Redundanz zu reduzieren. Allerdings müssen diese externen Systeme die 
Verantwortung dann auch aktiv übernehmen (also nicht nach dem Motto: 
"Der macht das schon....")

Nach dem Design schließt sich immer eine Analyse der einzelnen 
Komponenten sowie des Gesamtsystems an. Auch hier kommen wieder 
qualitative und quantitative induktive und deduktive Methoden zum 
Einsatz (FMEA, FMEDA, (quantitaive) FTA, Common Cause Analysis, Freedom 
of Interference-Nachweise,... - die Liste von eehhh stellt nur einen 
ganz kleinen FMEA-Auszug dar). Dabei werden nicht selten Schwachstellen 
im Hardware-Design gefunden (speziell bei der Common Cause Analyse), die 
dann zu Änderungen des Erst-Entwurfes führen. Als Beispiel: Sensoren 
wurden redundant ausgelegt, die Stromversorgung jedoch nicht. Oder: es 
wurden mehrere digitale Hall-Zellen mit einer Kodierung mit 
Hamming-Distanzen >3 eingesetzt, die Leiterbahnen liegen jedoch direkt 
nebeneinander, so dass ein Bruch der Leiterbahnplatte zu einem falschen 
(gültigen) Sensorwert führen kann.

Diese Analysen sind der Knackpunkt an der ganzen Entwicklung; leider 
fließt hier auch immer ein hohes Maß an Erfahrung hinein, was nur schwer 
durch Bücher zu vermitteln ist. Die "offensichtlichen" Normativen 
Anforderungen wie Ausfallraten und diagnostische Deckungsgrade lassen 
sich jedoch immer "durch Materialeinsatz" erfüllen.

Zum Schluss muss dann natürlich noch eine Verifikation (Design 
enstpricht den Anforderungen) und eine Validation (Anforderungen 
erfüllen das Sicherheitsziel) durchgeführt werden. Dazu gehören dann 
auch übliche Teste wie EMV und ähnliches.

Du siehst, eine Sicherheitsentwicklung ist ein Zusammenspielen von 
vielen etablierten Methoden mit einer gehörigen Portion Wissen/Erfahrung 
und persönlichen Vorlieben (z.B. mach ich lieber etwas in Software, in 
Hardware oder kann die Mechanik das abdecken?). Daher stelle ich es mir 
auch schwer vor, hier ein "Standardwerk" zu schreiben. Dies wird auch 
durch die auf Fachtagungen vorgestellten Ansätze deutlich, die sich doch 
immer noch sehr stark voneinander unterscheiden.

Einen Lese-Tipp hätte ich dann aber doch noch: versuche mal, 
entsprechende Tagungsunterlagen zu bekommen.

Schöne Grüße,
Martin

von Tobias (Gast)


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IEC 61508 ?

von Mike (Gast)


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Ich danke Euch, für die Vermittlung Eures Wissens!

So war mir das nicht bekannt! Besonderen Dank an martin für seine 
ausführliche Beschreibung!

MfG
Mike

von Noob (Gast)


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""Nach dem Design schließt sich immer eine Analyse der einzelnen
Komponenten sowie des Gesamtsystems an. Auch hier kommen wieder
qualitative und quantitative induktive und deduktive Methoden zum
Einsatz (FMEA, FMEDA, (quantitaive) FTA, Common Cause Analysis, Freedom
of Interference-Nachweise,... - die Liste von eehhh stellt nur einen
ganz kleinen FMEA-Auszug dar). Dabei werden nicht selten Schwachstellen
im Hardware-Design gefunden (speziell bei der Common Cause Analyse), die
dann zu Änderungen des Erst-Entwurfes führen. Als Beispiel: Sensoren
wurden redundant ausgelegt, die Stromversorgung jedoch nicht. Oder: es
wurden mehrere digitale Hall-Zellen mit einer Kodierung mit
Hamming-Distanzen >3 eingesetzt, die Leiterbahnen liegen jedoch direkt
nebeneinander, so dass ein Bruch der Leiterbahnplatte zu einem falschen
(gültigen) Sensorwert führen kann.""


Schlagt mich tot wenn es nicht so ist, aber zumindestens bei uns ist es 
so, dass es normalerweise vom OEM eine Safety Analyse gibt wie sie 
entsprechendes Agieren eines Fahrers/Systems beurteilen.
Darauf aufbauend und nach langer Diskussion ;) muss man dann 
sicherstellen, dass man die Ziele entsprechend ASILA,B,C etc. erfüllt.
Verschiedene Sichtweisen und Lösungsansätze führen zum Teil zu ganz 
unterschiedlichen Ratings und Ergebnissen.
Der Aufwand für Doku, Tests, Audits... steigt bei höheren Ratings recht 
stark an, es ist nicht nur die Schaltung, Programmierung alleine die 
Mehrarbeit bedeutet.

Schau dir mal ISO26262 an, dort ist der Ablauf genau beschrieben.

http://de.wikipedia.org/wiki/ISO_26262

von Noob (Gast)


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aber Martin hats eh schon gut beschrieben

von Martin L. (maveric00)


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Hallo,

ich gebe Dir recht, dass die Ermittlung der Gefahren und das Erstellen 
des systemweiten Sicherheitsdesigns eigentlich Aufgabe des OEM ist (die 
auch gerne Safety Analyse genannt wird) allerdings wollte ich hier 
erstens nicht zu spezifisch auf die 26262 eingehen und zweitens muss man 
als Tier-1 Systemlieferant leider immer noch häufig die Gefahren- und 
Risikoanalyse selber machen.

Auch ist es häufig sinnvoll sie unabhängig vom OEM zu machen, da dieser 
öfter (mangels Erfarung/Wissen) nicht in der Lage ist, alle möglichen 
Fehlfunktionen zu berücksichtigen. In beiden Fällen gibt es dann (oft 
lange) Diskussionen, bei denen schließlich der OEM aber stets das letzte 
Wort hat (als Gesamt-Systemverantwortlicher). Sollte er ein Risiko zu 
niedrig eingestuft oder vergessen haben, tut man jedoch gut daran, ihm 
dies dokumentiert mitzuteilen.

Die Überprüfungen nach dem Design heißen aber tatsächlich Safety 
Analysen, der Teil 9 der ISO beschreibt diese dann im Detail.

Und ja, der Aufwand kann erheblich werden; während z.B. für ein ASIL A 
(im Automotive-Umfeld niedrigste Kritikalität, die nicht mit normalen 
Qualitätsmaßnahmen zu bewältigen ist) sind für Hardware "nur"eine 
handvoll Prozessthemen zu betrachten, Nachweise zu Ausfallraten und 
Diagnose sind nicht notwendig. Für ASIL D (das ist die höchste Stufe) 
darf auf Fahrzeugebene ein kritischer Fehler nur mit 1e-8 pro Stunde 
auftreten, wobei 99% aller vorkommenden Fehlermodi diagnostiziert werden 
können müssen. Zusätzlich muss dann noch die ganze Arbeit von 
unabhängigen Stellen auditiert werden.

Ist halt wirklich ein komplexes Thema; von Bosch sagt man, dass die 
interne Aufwände für die Sicherheitsarbeiten etwa 10% des 
Gesamtaufwandes ausmachen soll.

Schöne Grüße,
Martin

von S. K. (hauspapa)


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In der Praxis versucht man den sicherheitszertifizierten Bereich so 
klein wie möglich zu halten. Da hilft es ungemein wenn durch abschalten 
ein sicherer Zustand erreicht werden kann. (In sehr vielen Fällen ist 
dies möglich, im Flugzeug oder bei z.B. steer by wire hingegen nicht).
Dann versucht man mit äusserer Grenzwertüberwachung und wenigen 
Systemzuständen durchzukommen. Im Industrie und Bahnbereich läuft das 
meist auf auf eine externe Sicherheitssteuerung hinaus welche normal nie 
eingreift und nur im Notfall der Sache ein hartes Ende setzt. Die 
Betriebssteuerung mit allen Konfortfunktionen und komplexen Algorithmen 
kommt dann meist ohne Sicherheitsauflagen aus.

viel Erfolg
Hauspapa

von Praktiker (Gast)


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> Gibt es für Funktionale Sicherheit auf Elektronikebene ein Standartwerk?

Mit gelber Farbe anmalen und Preis um Faktor fünf erhöhen.

Mehr ist das auch nicht... gehässigt guck

von Wolfgang (Gast)


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Mike schrieb:
> Gibt es irgendwo schöne Beispiele (Schaltplanauszüge) über funktionale
> Sicherheit?

Das kommt wohl auf die Anwendung an.
Stell dir z.B. einen Motor mit einer Motorsteuerung vor. Wenn du jetzt 
den Strom anschaltest - wie soll sich das Ding sinnvoll benehmen. 
Sicherlich ist es ein schlechter Plan, wenn der Motor automatisch mit 
maximaler Drehzahl losrennt.

von Tut (Gast)


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Such mal beim Eisenbahnbundesamt.

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