Forum: Mechanik, Gehäuse, Werkzeug Begrenzung von Ruck vs. Beschleunigung


von Paul H. (powl)


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Hi,

ich beschäftige mich gerade mit der Optimierung meines 3D-Druckers und 
bin dadurch zwangsläufig wieder auf die Option gestoßen, Ruck bzw. 
Beschleunigung zu begrenzen.

Nur will sich mir nicht so recht erschließen, warum ich den Ruck 
begrenzen sollte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das technisch 
gesehen Sinn macht.

Klar, wird alles gefühlsmäßig noch mehr verschliffen und alles fährt 
etwas weicher. Im Fahrstuhl oder in öffentlichen Verkehrsmitteln macht 
es ja auch durchaus Sinn, den Ruck zu begrenzen. Nichts wäre 
unangenehmer als wenn die Straßenbahn plötzlich anfangen würde mit 
voller Wucht zu beschleunigen. Man würde einfach umfallen.

Aber meiner Mechanik macht das doch nichts aus ob sofort die volle 
Beschleunigung anliegt oder ob sie durch Ruckbegrenzung verschliffen 
wird? Die Beschleunigung zu begrenzen macht auf jeden Fall Sinn. Das 
kann man sich ja noch logisch und bildlich vorstellen. Wird die 
Beschleunigung, ergo die auftretenden Kräfte zu hoch, kann die Mechanik 
überbelastet werden. Im Falle meines 3D-Druckers können die Motoren 
Schritte verlieren.

Kann das jemand mal anschaulich erläutern? Gibt es dafür überhaupt eine 
anschauliche Erklärung oder geht die Erklärung nur aus irgendwelchen 
Berechnungen bzgl. z.B. des Schwingungsverhaltens bestimmter 
mechanischer Konstruktionen hervor, welches man durch Ruckbegrenzung 
dann vielleicht positiv beeinflussen kann?

lg

von Timmo H. (masterfx)


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Wenn du eine Ecke druckst wird der Druckkopf ruckartig um z. B. 90° 
umgelenkt. Der drucker vibriert dadurch und es entsteht "Corner Ringing" 
(also quasi geisterbilder).  Durch die Beschleunigung wird vorher sanft 
abgebremst um diesen Effekt zu minimieren. 
http://wiki.malyansys.com/doku.php?id=corner_ringing

: Bearbeitet durch User
von Grenzwert (Gast)


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Naja bei den kleinen CNC Fräsen wird auch am Fahrtbegin beschleunigt bis 
auf volle Geschwindigkeit. Nennt sich Rampe oder auch Anfahrrampe. Das 
begrenzt die auftretende Beschleunigung und damit die Kräfte.

Wenn du dir mal überlegst was Beschleunigung ist 
(=Geschwindigkeitsveränderung pro Zeiteinheit) dann wird auch klar warum 
das gerade ganz am Anfang/Ende der Bewegung die Beschleunigung ist, die 
man begrenzt. Ruck-verhinderung ist nämlich gerade 
Beschleunigungsbegrenzung. Sobald das Teil erst mal auf Geschwindigkeig 
isf gibts da keine Beschleunigung mehr...

von Bernd K. (prof7bit)


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Ihr habt alle am Thema vorbei geantwortet. OP hat gefragt warum man die 
dritte Ableitung des Ortes ebenfalls begrenzen soll und nicht nur die 
zweite.

Ich vermute mal dass wenn man all die komplizierten 
Differentialgleichungen aufstellen würde die beschreiben welches Teil 
wann wie stark belastet und verformt wird dann taucht da womöglich auch 
die dritte Ableitung des Ortes irgendwo auf und man kann vermutlich 
zeigen dass alles noch weniger wackelt und belastet wird wenn man nicht 
nur die Beschleunigung sondern auch den Ruck begrenzt.

Zum Beispiel könnte ich mir noch anschaulich vorstellen dass ein Teil 
das gedämpfte Schwingungen ausführen kann weniger stark ausgelenkt 
wird wenn die Kraft nicht schlagartig kommt und geht sondern linear 
ansteigt und abfällt.

Und womöglich wirds sogar noch besser wenn man auch noch Snap, Crackle 
und Pop ebenfalls begrenzt.

: Bearbeitet durch User
von Dennis (Gast)


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Nimm statt einer Rampe nen Sinus, und schon macht dir die 3. und 4. 
Ableitung (Ruck und Zuck) kein Stress mehr :-)

von Paul H. (powl)


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Bernd K. schrieb:
> Zum Beispiel könnte ich mir noch anschaulich vorstellen dass ein Teil
> das gedämpfte Schwingungen ausführen kann weniger stark ausgelenkt
> wird wenn die Kraft nicht schlagartig kommt und geht sondern linear
> ansteigt und abfällt.

Sowas hab ich mir auch gerade gedacht. Wenn ich mir vorstelle dass meine 
X-Achse, also die an der der Druckkopf dran hängt) hoch oben auf dem 
Gestell eine Verfahrbewegung von links nach rechts macht. Sie ist also 
gerade am Fahren. Das Gestell ist in Ruhe und nicht irgendwo hin 
elastisch ausgelenkt. Und jetzt beginnt der Verfahrschlitten mit 
konstanter Verzögerung zu bremsen. Es liegt also nun schlagartig eine 
Kraft an, die das Gestell nach rechts drückt. Folglich wird es beginnen, 
sich elastisch zu verformen und etwas nach rechts zu bewegen. Da es wohl 
einem schwach gedämpften schwingfähigen System gleich kommen sollte wird 
es hier sicher einen Überschwinger geben. Nach der Bremsung fällt die 
Kraft dann wieder schlagartig weg und das System schnalzt wieder mit 
einem Überschwinger in seine Ruhelage zurück. Ich könnte mir vorstellen, 
dass durch Ruckbegrenzung und sanften Anstieg/Verringerung der 
Beschleunigung/Verzögerung es gar nicht erst zu Überschwingern kommt 
sondern bei richtiger Einstellung das Gestell nur kurz aperiodisch 
ausgelenkt wird und sofort wieder in seine Ruhelage zurückfällt. Oder so 
ähnlich.

Sooo arg viel Gewonnen hat man dabei aber nun meiner Meinung nach auch 
nicht.. dafür dass mir die Ruckbegrenzung von einigen schon als der 
Heilige Gral der Antriebstechnik präsentiert wurde, mir aber keiner 
bisher anschaulich erklären konnte, warum diese denn so wichtig sei.

von Uwe R. (aisnmann)


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Paul H. schrieb:

> Gestell eine Verfahrbewegung von links nach rechts macht. Sie ist also
> gerade am Fahren. Das Gestell ist in Ruhe und nicht irgendwo hin
> elastisch ausgelenkt. Und jetzt beginnt der Verfahrschlitten mit
> konstanter Verzögerung zu bremsen. Es liegt also nun schlagartig eine

> Sooo arg viel Gewonnen hat man dabei aber nun meiner Meinung nach auch
> nicht.. dafür dass mir die Ruckbegrenzung von einigen schon als der
> Heilige Gral der Antriebstechnik präsentiert wurde, mir aber keiner
> bisher anschaulich erklären konnte, warum diese denn so wichtig sei.

Hmm, ich finde deine eigene Erklärung ziemlich anschaulich.
Wenn die Beschleunigung ruckartig einsetzt, liegt eben sofort eine Kraft 
an.

Ich dachte in der Wikipedia mal die anschauliche Definition "ein Ruck 
ist eine Änderung der Beschleunigung" gelesen zu haben. Jetzt steht es 
aber nicht so da.

bye uwe

von Paul H. (powl)


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Ja, der Ruck ist ja schon definiert als die Änderungsrate der 
Beschleunigung. Umgangssprachlich ist ja ein Ruck eben das, was man 
erfährt, wenn man einer plötzlichen (unerwarteten) Beschleunigung 
ausgesetzt ist.

Aber das erklärt nur anschaulich, was Ruck ist. Nicht, warum man ihn 
vermeiden/begrenzen sollte.

von Possetitjel (Gast)


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Paul H. schrieb:

> Ja, der Ruck ist ja schon definiert als die Änderungsrate
> der Beschleunigung.

Nun ja, nimm Newton dazu: F = m*a

Bedeutet also: Bei konstanter Masse sind sich ändernde
Kräfte offenbar nur mit sich ändernder Beschleunigung
zu haben.

> Aber das erklärt nur anschaulich, was Ruck ist. Nicht,
> warum man ihn vermeiden/begrenzen sollte.

Na doch, siehe oben: Die Kraftänderung ist (über die
Masse) dem Ruck proportional.
Und Schwingungen (z.B. in Feder-Masse-Systemen) werden
nicht von konstanten Kräften angeregt, sondern von sich
zeitlich ändernden.

Der Übergang von Statik und Festigkeitslehre zur Maschinen-
dynamik hängt offenbar am Ruck.

von Klaus (Gast)


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Paul H. schrieb:
> Aber das erklärt nur anschaulich, was Ruck ist. Nicht, warum man ihn
> vermeiden/begrenzen sollte.

Bzgl. Elastizität und Ruck ist das einer der Fälle, in denen die 
englische Wikipedia nützlicher ist als die deutsche.

https://en.wikipedia.org/wiki/Jerk_(physics)#Jerk_in_elastically_deformable_matter

von Tom (Gast)


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Paul H. schrieb:
> Nicht, warum man ihn
> vermeiden/begrenzen sollte.

Ruck ist in der Tat nicht ganz intuitiv.

Nimm eine große Kaffeetasse, füll sie halbvoll und klebe sie auf das 
Armaturenbrett Deines Ferraris. Der Kaffeespiegel ist jetzt ein System, 
das durch Kraft(entspr. Beschleunigung) verformt wird und 
schwingungsfähig ist. Prinzipiell so wie die Mechanik Deines 
3D-Druckers, letztere ist hoffentlich stärker bedämpft und steifer ;)

Jetzt tritt gaaaanz langsam das Gas durch, bis du nach ein paar Sekunden 
bei Vollgas und 9m/s² bist, dann geht wieder gaanz langsam mit der 
Beschleunigung runter bis zu konstanter Geschwindigkeit. Der 
Flüssigkeitsspiegel wird zwischendurch maximal 45° schräg gestanden sein 
und nichts ist durch die Gegend geschwappt.

Jetzt das ganze nochmal mit schnelleren Beschleunigungsänderungen: 
Gas/Bremse-Steptanz auf Koks im Berliner Berufsverkehr zwischen 
Kampfradlern. Auch wenn die Beschleunigungswerte weit unter 5m/s² 
bleiben, wird das Kaffeesystem furchtbar ins Schwingen geraten, die 
Auslenkung wird 45° weit überschreiten und der Kaffee durch Auto 
schwappen.


Wenn die Längsbeschleunigungsänderung schwer vorstellbar ist, nimm die 
Querbeschleunigung: Fall 1: Über den leeren Kaufland-Parkplatz rasen und 
gaaanz langsam das Lenkrad einschlagen, bis du an der Haftungsgrenze (1g 
Querbeschleunigung) im Kreis herumfährst: Der Kaffee wird schräg stehen, 
aber nicht schwappen. Fall 2: Slalom. Weit von 1g entfernt, aber der 
Kaffee schwingt und schwappt über, wird also viel weiter ausgelenkt als 
in Fall 1.

von Der Andere (Gast)


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@Tom:
super Analogie. Tolles Beispiel.

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