Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Stabilitätskriterium aus Bode Diagramm


von Michael W. (Gast)


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Wie wird das "Stabilitätskriterium aus dem Bode Diagramm" 
(Phasenreserve) allgemeingültig und präzise formuliert?



Man lernt ja nun für ein stabiles System, dass bei der Frequenz, wo 
A=0dB ist die Phase noch größer als -180° sein muss. Was heißt das nun 
genau? Wenn ich z.B. eine Phase von -120° habe, ist das System stabil. 
Wäre die Phase -240°, so hätte man ein instabiles System.

Nun kann ich ja aber immer mod(360°) rechnen, also -240° entspricht 
120°. Wenn ich das Kriterium wortwörtlich nehme, so ist 120° > -180° --> 
also stabil...

Ich kann ja den Winkel immer entweder negativ oder positiv zählen, was 
zählt nun?

Beispiel (offene Schleife):

hat bei den Frequenzen wo der Betrag = 0dB ist Phasen von

1) bei f1=9mHz: +50°
2) bei f2=1.23Hz: -112°

Das geschlossene System ist definitiv stabil (siehe Anhang).

Trotzdem habe ich bei f1 eine Phase von 50°, was ich genausogut als 
-310° anschreiben kann. also ist das kleiner als -180° und somit 
instabil...

Die Frage die sich mir stellt ist, wie man das Kriterium präzise 
formulieren kann, ohne in diese Zweideutigkeiten hineinzuplumpsen. Da 
ist irgrndwo nur die halbe Wahrheit enthalten? Gibt es Zusatzannahmen, 
die ich nicht kenne?

Anmerkung: Im Gegensatz dazu liefert das Nyquist Kriterium eindeutige 
Aussagen und ist glasklar formuliert.

Man könnte das Kriterium nun abwandeln und auf die Stellen schauen, wo 
die Phase 180° wird - das ist winkelmäßig eindeutig. Wenn dort für eine 
solche Stelle der Betrag > 0dB (>1) ist, heißt das aber nicht 
notwendigerweise, dass das System automatisch instabil ist.
Die Formulierung in dieser Art wäre also als Kriterium äußerst 
"schwach", da stabile Fälle ausgeklammert würden. Für die Praxis ist das 
meistens egal, da exotische Verläufe kaum vorkommen. Mir geht es aber 
jetzt um die Theorie...

Ich hoffe, jemand erkennt, was ich meine...

von Mark S. (voltwide)


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Eine theoretisch fundierte Antwort kann ich Dir dazu nicht geben. In der 
Praxis schaut man auch auf den Phasengang, und der darf natürlich 
unterhalb der Transitfrequenz nicht über 180 grad springen. Allerdings 
hab ich so etwas bislang auch noch nicht annäherungsweise beobachten 
oder simulieren können.
Ansonsten gibt es natürlich den Begriff des Phasenspielraumes zur 
Charakterisierung der Stabilitätsreserve.

: Bearbeitet durch User
von Helmut S. (helmuts)


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Es macht hier überhaupt keinen Sinn Vielfache von 360° zu addieren.

phi = arctan(100*w) -3*arctan(0,1*w) -arctan(10*w)

Jetzt einfach bei 0dB schauen wie weit man noch von -180° entfernt ist. 
Das ist die Phasenreserve. Das ist hier bei 1.1Hz und phi=-100°.
Daraus folgt die Phasenreserve beträgt 80°. Damit wird auch das 
rückgekoppelte System stabil sein.

von Michael W. (Gast)


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Helmut, danke für die Antwort, aber ich glaube du hast meine Frage nicht 
verstanden. Dass das System stabil ist weiß ich. Ich weiß auch wie man 
das in der Praxis anwendet. Ich bin nur kürzlich drauf gekommen, dass 
ich das Prinzip nie richtig verstanden habe, obwohl es mir immer 
sonnenklar schien.

Meine Frage ist, wie ich entscheide, wann ich eine Phase für die 
Anwendung des Kriteriums negativ oder positiv zähle.

Bei einem Tiefpass ist ein System mit A>1 und phi=-200° instabil.
Genauso instabil ist es, wenn phi sich noch weiter von -180° entfernt:
also instabil auch bei -250° und erst recht auch auch mit -310°, wenn 
A>1.

Dann habe ich aber die von mir beschriebene Situation:

A>1 und phi=-310° = +50°.

Bei einem Tiefpaß wäre das instabil, die von mir gezeigte 
Übertragungsfunktion ist aber stabil.

Also habe ich zwei Fälle, wo A>1 ist und phi=-310° . Einmal stabil, 
einmal instabil.


Hier ist mein Problem. Natürlich kann man nun fragen: wieso zählst du 
50° negativ als -310° ? Ja OK, aber wo ist die Grenze? Darf ich dann ab 
-270° nicht mehr negativ zählen, oder ab -250°...?

Eine Phase beschreibt die Lage am Einheitskreis. Das müsste doch das 
einzige sein was zählt, und nicht ein konkreter Wert des Winkels, der ja 
modulo 360° zu nehmen ist. Wie kann ich größer kleiner dann überhaupt 
sinnvoll definieren? Die Festlegung des Winkels zwischen 0 und 360° bzw. 
-180° und 180° ist reine Konvention. Dann fehlt aber irgendeine 
zusätzliche Bedingung, die in das Kriterium einfließen muss.

Im Gegensatz dazu ist das Nyquist Kriterium mathematisch sauber 
definiert, da  hier Winkel-Änderungen relevant sind, die das System beim 
Durchlaufen einer Nyquist Kontur erfährt. Hier ist nirgends von einem 
Absolutwinkel an bestimmten Stellen die Rede.

von Helmut S. (helmuts)


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Am Anfang ist phi positiv und A >1. Das ist überhaupt kein Problem. Das 
ist weit weg von -180°. Du sollst nirgends 360° addieren!
Schau dir das Gleiche im Nyquist-Diagramm an. Die Forderung A<1 bei 
-180° bedeutet, dass man den Punkt -1 im Nyquist-Diagramm nicht 
einschließen darf sondern man muss rechts von dem Punkt -1,0 die 
"x-Achse schneiden". Sicher hast du auch davon schon gehört.

: Bearbeitet durch User
von Michael W. (Gast)


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Helmut S. schrieb:
> Das
> ist weit weg von -180°

Ich weiß was du sagen willst, aber "weit weg" ist kein mathematisch 
präziser Begriff.

Ich verstehe nicht, weshalb ich nicht nach Belieben 360° addieren oder 
subtrahieren darf. Die Lage am Einheitskreis ist doch, worauf es ankommt 
- oder ? Wenn du die arctan Funktion hinschreibst, so darfst du nicht 
vergessen, dass die Umkehrfunktion zum Tangens eben nicht eindeutig ist, 
und man sich in der Ingenieursmathematik auf Intervalle 0...360° oder 
-180°...180° geeinigt hat.

Wieso sage ich einmal bei Schaltung A eine Phase ist +135° und einmal 
bei B -225°, obwohl es die GLEICHEN Punkte am Einheitskreis sind.

Aus der Magengrube kann ich deinen Argumentationen folgen (ich habe es 
ja so gelernt und praktiziert), jedoch vermisse ich ein mathematisch 
eindeutiges Rezept. Vvn der Herleitung ganz zu schweigen: wo wird die 
Methode mittels Bode Diagramm hergeleitet? Ich muss zugeben dass ich 
hier nicht fündig geworden bin.

Mit dem Nyquist Diagramm habe ich ja auch kein Problem, die Herleitung 
des Kriteriums geht über den Satz von Cauchy, wo immer es um 
Winkel-ÄNDERUNEN geht. Die Voraussetzungen dafür sind hier auch 
sorgfältiger zu untersuchen (z.B. muss man die Anzahl der Pole wissen, 
usw).

von Helmut S. (helmuts)


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> Ich verstehe nicht, weshalb ich nicht nach Belieben 360° addieren oder
subtrahieren darf.

Weil das keinen Sinn macht. Im Nyquist-Diagramm bist du dann wieder 
genau am gleichen Punkt.

> Wieso sage ich einmal bei Schaltung A eine Phase ist +135° und einmal
bei B -225°, obwohl es die GLEICHEN Punkte am Einheitskreis sind.

Sicher nicht, wenn es um Stabiltätskriterien geht. Wer sagt das und bei 
welchen 2 Schaltungen.

von Michael W. (Gast)


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Helmut S. schrieb:
> Weil das keinen Sinn macht.

auch das ist kein mathematisch präziser Begriff. Ich will es 
MATHEMATISCH eindeutig fomuliert und bewiesen haben, so wie das Nyquist 
Kriterium eindeutig ist: Hier wird die Phasenänderung als Integral 
definiert - es geht daher immer um ÄNDERUNGEN entlang einer Cauchy 
Kontur. Den Beweis kann man verstehen, wenn man über die Grundlagen der 
Funktionentheorie ein wenig Bescheid weiß.

Ich vermute, dass es auch bei der Anwendung des Bode Diagramms irgendwo 
um versteckte Änderungen geht, habe das aber noch nie gefunden. Ich 
schleppe dieses Gefühl des Unbehagens nun schon fast 40 Jahre mit mir 
herum , habe es aber immer verdrängt. Jetzt will ich mir Gewissheit 
verschaffen und mit der Vergangenheit aufräumen.

Ich gebe zu dass das sehr theorielastig ist, ich bin aber halt 
Mathematiker ...

> bei welchen 2 Schaltungen.

Einmal z.b. ein Tiefpass höherer Ordnung (z.B. n > 2), das andere mal 
die von mir oben zitierte Übertragungsfunktion.

> Sicher nicht, wenn es um Stabiltätskriterien geht.

dann müsste das aber im Stabilitätskriterium nach BODE irgendwie 
greifbar sein. Wo? Vielleicht kenne ich nur Versionen, die unvollständig 
formuliert sind...

von Lutz V. (lvw)


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Michael, zunächst:
Ich verstehe Deine Bedenken - und diese sind vollkommen berechtigt, 
denn:
Man darf das BODE-Diagramm für Stabilitätsbetrachtungen nicht 
„bedenkenlos“ anwenden.
Das heißt: Es gibt Funktionen für die Schleifenverstärkung L(s), bei 
denen die „vereinfachte Form“ des Stabilitätskriteriums nicht angewendet 
werden darf.

Andererseits ist das BODE-Diagram ja weiter nichts als die getrennte 
Darstellung von Betrag und Phase aus dem Nyquist-Diagramm - beihaltet 
also exakt die gleichen Informationen. Und damit liefert es auch die 
gleichen Stabilitätsinformationen wie das Nyquist-Diagram. Es kommt nur 
darauf an, das Kriterium in der richtigen Form auf das BODE-Diagramm zu 
übertragen.

Und im vorliegenden Fall darf das "vereinfachte" Kriterium nicht 
angewendet werden, da die 0dB-Linie von der Betragsfunktion zweimal 
geschnitten wird.
Vielmehr muss das Kriterium in seiner allgemeinen Form angewendet 
werden, welches - auf das BODE-Diagrammm übertragen - für den 
vorliegenden Fall lautet:

"Der geschlossene Kreis ist dann stabil, wenn im BODE-Diagramm für die 
Funktion L(jw)(Produkt der Übertragungsfunktionen der Kette)die im 
Bereich |L(jw)| > 0dB auftretenden Übergänge des PHASENGANGS durch die 
180-Grad-Linie folgende Bedingung erfüllen:  S(+) = S(-)     .
Dabei ist S(+) die Zahl der Phasenübergänge mit positiver und S(-) mit 
negativer Steigung.
Voraussetzung: L(s) hat keine Pole mit positivem Realteil, was ja 
zumeist erfüllt ist (offenen Kette stabil).

Im vorliegenden Fall ist S(+)=S(-)=0 und das Stabilitätskriterium also 
erfüllt.

Zur Verdeutlichuing: Stellt man sich ein kompliziertes System vor, bei 
dem L(s) die negativ-reelle Achse links vom kritischen Punkt schneidet 
(Phase -180, Betrag>1), dann verlangt das Kriterium einen zweiten 
Schnittpunkt mit der Achse in der anderen Richtung (Rückkehr in den 3. 
Quadranten), damit der Punkt “-1“ nicht umschlossen wird. Also 
S(+)=S(-)=1. Klingt doch logisch, oder?
Ich hoffe, dass Dir das ein wenig weiter hilft. Wenn ich das noch sagen 
darf: Ich begrüße Deinen Wunsch nach Exaktheit auch in der 
Ausdrucksweise - das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um 
Missverständnisse zu vermeiden.

von Michael W. (Gast)


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Lutz V. schrieb:

> "Der geschlossene Kreis ist dann stabil, wenn im BODE-Diagramm für die
> Funktion L(jw)(Produkt der Übertragungsfunktionen der Kette)die im
> Bereich |L(jw)| > 0dB auftretenden Übergänge des PHASENGANGS durch die
> 180-Grad-Linie folgende Bedingung erfüllen:  S(+) = S(-)     .
> Dabei ist S(+) die Zahl der Phasenübergänge mit positiver und S(-) mit
> negativer Steigung.
> Voraussetzung: L(s) hat keine Pole mit positivem Realteil, was ja
> zumeist erfüllt ist (offenen Kette stabil).

Danke - nach dem hab ich gesucht.
Das ist eine eindeutige Formulierung wo man auch die Freiheit bezüglich 
der Phasenwahl modulo 360° bedenkenlos anwenden kann.

Vielen Dank, das bringt mich weiter!

von Lutz V. (lvw)


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Michael - vielleicht noch einmal zusammengefasst:

(1) Das "vereinfachte" Stabilitätskriterium im BODE-Diagramm (definiert 
über Phasen- bzw. Verstärkungsreserve) darf angewendet werden unter den 
folgenden drei Voraussetzungen:
* Die Übertragungsfunktion der offenen Kette L(s) ist stabil (keine Pole 
in der rechten Halbebene);
* Die Betragsfunktion schneidet die 0-dB-Linie nur einmal;
* Die Phasenfunktion schneidet die 180-Grad-Linie nur einmal.

Eine weitere Vereinfachung (ohne Kenntnis des Phasengangs) ist erlaubt, 
sofern die Funktion L(s) ein Mindestphasen-System darstellt (keine 
Allpass-Elemente enthält). In diesem Fall ist die Stabilität des 
geschlossenen Systems gegeben, wenn die Abnahme der Betragsfunktion 
|L(jw)| beim Durchgang durch die 0-dB-Linie zahlenmäßig geringer ist als 
40dB/Dekade.

(2) Andernfalls ist das allemeine Stabilitätskriterium nach Nyquist 
(bzw. die Adaption für das BODE-Diagramm) anzuwenden.

von Etrick (Gast)


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Rechne doch mit dem Überlagerungssatz. Oder simuliere die Schaltung mit 
deinen gegebenen Werten.

Gruß

Achim

von Etrick (Gast)


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