Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Phasenreserve und Amplitudenreserve, was sagt uns das?


von Max M. (max_m1)


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Hallo,

Ich habe eine kurze Verständnisfrage:

Angenommen ein Regelkreis hat eine bestimmte Phasenreserve und 
Amplitudenreserve.

Was versteht man genau unter großer Phasenreserve? Hat die Phasenreserve 
etwas mit der Zeitkonstante z.d. eines Elektromotors zu tun? Also wenn 
ich einen trägen Elektromotor verwende sinkt die Phasenreserve weil 
dieser länger zum Anlaufen braucht? Ist die Phasenreserve somit eng mit 
der Zeitkonstante des Systems gekoppelt?

Bzgl. Amplitudenreserve hab ich das hier gefunden: Ist der Faktor, mit 
dem der statische Übertragungsfaktor des offenen Regelkreises 
multipliziert werden muss, damit der zugehörige geschlossene Regelkreis 
am Stabilitätsrand liegt. (Quelle: 
https://www.hawe.com/de-de/fluidlexikon/amplitudenreserve/).

Um das wievielfache kann man nun die Verstärkung erhöhen bis das System 
zu Schwingen anfängt? Um den Faktor der Amplitudenreserve?
Heißt das dass man quasi dem Soll-Zustand (= Regelkreiseingang) maximal 
mit dem Faktor der Amplitudenreserve multiplizieren darf bevor das 
System instabil wird?

Ich weiß wie man diese Stabilitätskriterien bestimmt, aber so Ganz hab 
ich nicht verstanden für was die eigentlich gut sein sollen und wie man 
diese Bewertet.

Vielleicht hat jemand Lust und kann mir etwas auf die Sprünge helfen.
Vielen Dank.

: Verschoben durch Moderator
von Alexander (Gast)


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Moin Max,
Max M. schrieb:
> Ich habe eine kurze Verständnisfrage:
Kenne ich nur zu gut aus der Regelungstechnik :)
> Angenommen ein Regelkreis hat eine bestimmte Phasenreserve und
> Amplitudenreserve.
Okay
> Was versteht man genau unter großer Phasenreserve?...
Grundsätzlich:
Sowohl Phasen- als auch Amplitudenreserve befassen sich ausschließlich 
mit dem dynamischen (Stabilitäts-)Verhalten von Regelkreisen. Auf die 
Phasenreserver bezogen:
Je mehr Phasenreserve, desto langsamer die Regelung, aber desto 
stabiler. Umgekehrt kann man sagen, dass eine geringere Phasenreserve 
die Regeldynamik verbessert (Störgrößen werden schneller ausgeregelt, 
nach nem Sprung nähert sich die Ausgangsgröße schneller an die 
Führungsgröße etc.), aber leider leichter instabil werden kann (neigt 
zum Schwingen).
> Bzgl. Amplitudenreserve hab ich das hier gefunden: Ist der Faktor, mit
> dem der statische Übertragungsfaktor des offenen Regelkreises
> multipliziert werden muss, damit der zugehörige geschlossene Regelkreis
> am Stabilitätsrand liegt. (Quelle:
> https://www.hawe.com/de-de/fluidlexikon/amplitudenreserve/).
Schön umformuliert. Und was genau besagt der Text?
> Um das wievielfache kann man nun die Verstärkung erhöhen bis das System
> zu Schwingen anfängt? Um den Faktor der Amplitudenreserve?
> Heißt das dass man quasi dem Soll-Zustand (= Regelkreiseingang) maximal
> mit dem Faktor der Amplitudenreserve multiplizieren darf bevor das
> System instabil wird?
Meines Wissens nach wird hauptsächlich die Phasenreserve genommen, um 
den Regler und die Stabilität des Regelkreisen zu bestimmen. Dann wird 
im zweiten Schritt geschaut, ob genug Amplitudenreserve vorhanden ist.
> Ich weiß wie man diese Stabilitätskriterien bestimmt, aber so Ganz hab
> ich nicht verstanden für was die eigentlich gut sein sollen und wie man
> diese Bewertet.
Instabilität ist niemals gewünscht. Stell dir vor, du stehst unter der 
Dusche, und das Wasser wechselt ständig zwischen Eiskalt und kochend 
heiß. Wäre nicht so toll ,oder? :)
Insofern muss man den Regler so auslegen, dass das System stabil ist, 
und dem Sollwert folgt. Und die Stabilitätskriterien geben dir 
Informationen darüber, ob das Wasser in deiner Dusche der Einstellung 
folgt, oder ob das System instabil ist und entsprechend zwischen Eiskalt 
und kochend heiß hin- und her schwingt.
> Vielleicht hat jemand Lust und kann mir etwas auf die Sprünge helfen.
> Vielen Dank.
Falls noch Fragen offen sind, nur zu.

Cheers,

von Paul B. (paul_baumann)


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Alexander schrieb:
> Instabilität ist niemals gewünscht. Stell dir vor, du stehst unter der
> Dusche, und das Wasser wechselt ständig zwischen Eiskalt und kochend
> heiß. Wäre nicht so toll ,oder? :)

Merke: Wer sich mit Regeleungstechnik befasst, muß abgebrüht sein.
:)
MfG Paul

von cassini (Gast)


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Die Phasenreserve bezeichnet den Betrag des Phasenwinkels des 
geschlossenen Regelkreises der - bei der Frequenz, bei der Verstärkung 1 
vorliegt - noch zu 180° (=Schwingbedingung) fehlt. Also, wenn der 
Regelkreis bei der Frequenz, bei der die Verstärkung 1 ist, noch 150° 
Phasenverschiebung aufweist, dann hat er eine Phasenreserve von 30° (was 
im allgemeinen schon recht wenig ist).

Die Amplitudenreserve ist (1 minus) der Verstärkung des Regelkreises bei 
der Schwingbedingung, also wenn die Phasenverschiebung 180° beträgt. 
Wenn der Regelkreis bei Schwingbedingung eine Gesamtverstärkung kleiner 
1 besitzt, kann er sich auch nicht aufschwingen.

Man auch an der Phasenreserve abschätzen, wie das Einschwingverhalten 
bei Führungsprüngen und bei Störgrößenbeaufschlagen aussieht.

Bei Störgrößen ist allgemein eine geringere Phasenreserve erforderlich 
als bei Führungssprüngen.

Ermittelt wird Phasenreserve durch Ablesen aus dem Bode-Diagramm des 
Regelkreises. (Zumindest zu meiner Zeit. Vllt. gibts heute auch 
modernere Methoden.)

Gruß cassi

von cassini (Gast)


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Max M. schrieb:
> Hat die Phasenreserve
> etwas mit der Zeitkonstante z.d. eines Elektromotors zu tun? Also wenn
> ich einen trägen Elektromotor verwende sinkt die Phasenreserve weil
> dieser länger zum Anlaufen braucht? Ist die Phasenreserve somit eng mit
> der Zeitkonstante des Systems gekoppelt?

Ja und nein.

Der Begriff Phasenreserve macht nur in geschlossenen Regelkreisen (also 
mit Rückkopplung) Sinn. Ein Motor hat zwar eine Zeitkonstante -  er 
lässt sich ja mit einem PT-1 Glied recht gut beschreiben - aber die 
Phasenreserve kommt erst dann ins Spiel, wenn der Motor einen Regler 
vorgeschaltet bekommt und durch Messung und Rückspeisung  der 
Motordrehzal ein geschl. Regelkreis entsteht.

Wenn allerdings in einem bestehenden Regelkreis ein kleiner Motor (= 
schnelle Zeitkonstante) durch einen großen (=langsame Zeitkonstante) 
ersetzt wird, dann sinkt die Phasenreserve tatsächlich, denn durch die 
große Zeitkontstante des Motor "rutscht" das Phasendiagramm im 
Bodediagramm noch links (hin zu niedrigen Frequenzen) und reduziert die 
Phasenreserve. In diesem Fall müßte man den Regler ebenfalls "langsamer" 
machen um wieder Phaseneserve zu gewinnen, oder die Gesamtverstärkung 
reduzieren, was eben auch Phasenreserve generiert.

von Max M. (max_m1)


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Guten Abend,

erstmal vielen Dank für eure große Anteilnahme. Freut mich sehr.

cassini schrieb:

> Wenn allerdings in einem bestehenden Regelkreis ein kleiner Motor (=
> schnelle Zeitkonstante) durch einen großen (=langsame Zeitkonstante)
> ersetzt wird, dann sinkt die Phasenreserve tatsächlich, denn durch die
> große Zeitkontstante des Motor "rutscht" das Phasendiagramm im
> Bodediagramm noch links (hin zu niedrigen Frequenzen) und reduziert die
> Phasenreserve. In diesem Fall müßte man den Regler ebenfalls "langsamer"
> machen um wieder Phaseneserve zu gewinnen, oder die Gesamtverstärkung
> reduzieren, was eben auch Phasenreserve generiert.

Sehr gutes Beispiel!
Kann man eigentlich mit dem "Wert an sich" etwas anfangen? Z.b. eine 
Phasenreserve von 30 Grad ist gleichzusetzen mit einer um 30*X Sekunden 
längeren Anlaufzeit oder ist das nicht so einfach in einer Formel 
beschreibbar?

> , oder die Gesamtverstärkung
> reduzieren, was eben auch Phasenreserve generiert.

Die Gesamtverstärkung verringern, dass wäre in diesem Fall z.B. die 
Spannung verringern? Weniger Motorspannung--> Motor wird träger ?

Gibt es vielleicht auch ein ähnliches anschauliches Praxisbeispiel für 
die Amplitudenreserve?
Stimmt diese Vermutung von mir:
Elektromotor A hat mehr Innenwiderstand als Elektromotor B. In einen 
geschlossenen Regelkreis zur Drehzahlregelung weißt somit Elektromotor A 
weniger Amplitudenreserve (Bei gleicher Eingangsspannung) auf?

: Bearbeitet durch User
von A. S. (Gast)


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Die Reserven haben in erster Näherung NICHTS mit dem Motor zu tun, 
sondern mit dem geschlossenen Regelkreis, d.h. Motor+(Sensor+)Regler, 
also mit der Abstimmung des Reglers auf den Motor.

Die "Trägheit" des Motors bestimmt, wie schnell er Änderungen folgen 
kann. Z.B. beim Sprung von 0% zu 99% Drehzahl. Trotzdem betreibt man 
verschieden träge Motoren mit ähnlichen (oder gleichen) Phasenreserven.

Von daher lässt die Angabe einer Phasen/Amplitudenreserve für sich 
alleine keine Rückschlüsse auf ein Zeitverhalten zu.

Das Problem bei 180° Phasenverschiebung (=0° Phasenreserve) musst Du Dir 
irgendwie aus Deinen Unterlagen verinnerlichen. In dem Fall schwingt das 
ganze System von selbst, weil sich die Schwingungen dieser Frequenz 
"aufschaukeln". Nehmen wir an es schwingt nur minimal, kaum sichtbar, 
und der IST-Wert ist gerade minimal zu klein. Dann wird der 
Regler-Vorgabewert minimal erhöht. Diese Erhöhung wird aber (leider) 
erst wirksam, wenn das System schon minimal über dem Soll-Wert ist. Da 
die Verstärkung hier >1 ist, wird die neue Abweichung ein wenig höher 
sein, es schaukelt sich auf.

Zwar ist die Verstärkung bei 0° Phasenreserve nominell =1, so dass 
Schwingungen erst kurz darüber sich aufschaukeln, spielt hier keine 
Rolle. Ob 1kHz oder 1.0001kHz ist egal. Es reicht schon, dass 
Schwingungen nicht mehr gedämpft werden.

von cassini (Gast)


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Max M. schrieb:
> Die Gesamtverstärkung verringern, dass wäre in diesem Fall z.B. die
> Spannung verringern? Weniger Motorspannung--> Motor wird träger ?

Nehmen wir folgendes Beispiel:
Ein Motor mit 100V Nennspannung soll bei 1000U/min betrieben werden. Ein 
Drehzahlsensor liefert bei 1000U/min ein Signal von 1V (das ist der 
Ist-Wert) . Der Sollwert muss dann auch bei 1V liegen, wir wollen ja 
1000 u/min.

Im Einschaltmoment (Motor steht) ist dann Fehler =  Soll  - Ist  = 1V 
(Istwert ist 0, da der Motor steht).

(nur nebenbei : Fehler = e(t), Soll = w(t), Ist = y(t) )

Mit dieser Fehlergröße steuere ich meinen Regler (= Regelverstärker, 
oder Regelfilter) an. Ich kann jetzt z.b. aus 1V Fehlersignal 100V 
Ansteuerspannung machen, z.B. mit einem Verstärker. Wenn der Motor bei 
100V mit der Drehzahl 1000U/min läuft, dann wäre die Verstärkung im 
regeltechnischen Sinne 1 (in Worten eins). Und das obwohl wir im Regler 
selbst die Spannung um den Faktor 100 verstärkt haben...

Die Verstärkung ist deshalb 1, weil ein Fehler von 100% eine Änderung 
der Ansteuerspannung (und damit der Drehzahhl) von 100% bewirkt.

Würde jetzt der Regler so ausgelegt, dass bei 1V Fehler 200V 
Ansteuerspannung erzeugt würde, dann wäre die Verstärkung des geschl. 
Kreises 2. Gleiches würde gelten, wenn der Drehzahlgeber statt 
1V/1000U/min 2V/1000U/min liefern würde. Oder es würde ein Motor 
verwendet, der schon bei 50V Spannung 1000U/min macht.


Das wäre jetzt der einfachste denkbare Regler, ein P-Regler mit der 
Verstärkung eins. Du siehst vermutlich selbst, dass der Motor in einer 
solchen Konfiguration nie auf Solldrehzahl kommt, da das mit steigender 
Drehzahl kleiner werdende Fehlersignal dem Motor die Ansteuerspannung 
abklemmt. Mit Verstärkung 2 würde er näher an die Solldrehzahl 
herankommen, sie aber dennoch nicht erreichen. Zur vollständigen 
Eliminierung der Regelabweichung, muss ein I-Regler integriert werden. 
Dieser alleine hat aber 90° Phasenverschiebung, klaut Dir also gleich 
mal  Phasenreserve, (die man sich mit Tricks aber auch wieder 
zurückholen kann)

von ETStudent (Gast)


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Was ist hier mit der schwingbedingung bei 180 Phasenverschiebung 
gemeint?
Ein PT2 Glied mit 0<D<1 bspw. ist auch mit anderen Phasenverschiebungen 
am schwingen, Phasenverschiebung ändert sich mit Stärke der Anregung.

Ich verstehe nicht wieso die -180 Phasenverschiebung der relevante Wert 
bei Nyquist bzw Phasenreserve sind.

Konkret bedeutet 180 Grad Phasenverschiebung ja einfach, dass die 
Ausgangsschwingung genau entgegengesetzt zur Eingangsschwingung 
verläuft.
Wenn ich jetzt die Phase weiter verschiebe wird es für eine Verstärkung 
von 1 instabil, wieso?
Bei 360 Grad Phasenverschiebung liegt Mitkopplung vor, da kann ich es 
direkt verstehen dass das System für Verstärkungen >1 aufschaukeln 
würde.
Oder auch wenn man das System nahe der Eigenfrequenz anregt -> Resonanz.

Was hat es nun mit den -180 Grad auf sich?
Ich finde im gesamten Internet keine Erklärung dazu, es wird überall 
einfach hergenommen.
Bin ich zu blöd?

von Kybernetiker (Gast)


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@Vorposter du hast da einen Denkfehler.

Zuallererst: Die Gegenkopplung wird bei einer Phasenverschiebung von 180 
Grad zu einer Mitkopplung, nicht 360.
Eine Phasenverschiebung von 180 Grad entspricht der Spiegelung eines 
Wertes an der Ordinate bzw. entspricht einfach einem Vorzeichenwechsel!

Die Regelabweichung im geschlossenen Kreis errechnet sich zu e=w-y, ist 
y nun 180 Grad phasenverschoben wird aus der Regelabweichung e = w+y, 
die Gegenkopplung ist nun eine Mitkopplung. Schickt man diese 
Regelabweichung nun in den offenen Kreis Go kommt es bei einer 
Kreisverstärkung >=1 zu einer kontinuierlichen Aufschaukelung (instabil 
bei >1) bzw. konstanten Dauerschwingung (Grenzstabil bei =1)der 
Ausgangsgröße y.
Daher kommt die Forderung, dass für übertragungsstabilität das 
Amplitudenverhältnis bzw. der Amplitudengang bei -180 Grad 
Phasenverschiebung <1 sein muss.
Das dämpft die durch e=w+y entstehende Mitkopplung.
Daher ist die Amplitudenreserve derjenige Faktor, um den man die 
Kreisverstärkung erhöhen kann bis Grenzstabilität Eintritt.

Umgekehrt betrachtet kann man nun sagen, dass wenn man das 
Amplitudenverhältnis auf 1 fixiert der Abstand - bei dieser Frequenz ω 
(Durchtrittsfrequenz) - zwischen der tatsächlichen Phasenverschiebung 
und der kritischen Phasenverschiebung -180 Grad genau der Phasenreserve 
entspricht.
Die Phasenreserve ist also der Winkel um den man die Phase - bei fest 
gehaltenen Amplitudenverhältnis von 1 - weiter verschieben kann, bis 
Grenzstabilität durch die Mitkopplung entsteht.

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