Forum: HF, Funk und Felder Beliebiger Leitungsabschluss: HF- vs. NF Rechnung und Grenze zwischen beiden


von Andreas F. (andgset)


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Guten Abend zusammen,

gegeben sei der Leitungsbelag einer 1m langen Koaxleitung mit bekanntem 
Abschluss. Ich will nun die Impedanz am Leitungseingang wissen.

Die NF-Rechnung liefert für niedrige Frequenzen sinnvolle Ergebnisse, 
für hohe Frequenzen hingegen verschwindet die Resistanz und die Reaktanz 
explodiert.

Die HF-Rechnung, folgend aus der Leitungsgleichung, liefert für beide 
Fälle plausible Ergebnisse, die selbst bei f=0.001Hz noch gut mit denen 
der NF-Rechnung übereinstimmen.

Daher einige Fragen:

1) Es sieht für mich so aus, als ob die HF-Rechnung ohne Einschränkung 
auch bei NF anwendbar wäre. Ist das richtig so?

2) Wo ist die Grenze ab der die NF-Rechnung falsche Ergebnisse liefert? 
Falls die Behauptung unter 1) richtig wäre, würde das ja nahe legen, 
dass die NF-Rechnung immer eine Näherung (wenn auch eine sehr gute 
wäre).


3) Die Leitungsgleichungen lassen sich z.B. dadurch motivieren, dass man 
die "Bauteile", die den Leitungsbelag bilden infinitesimal klein macht. 
Was ist der Grund dafür, dass sich Bauteile in der Größenordnung der 
Wellenlänge plötzlich ganz anderst verhalten?

von Possetitjel (Gast)


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Andreas F. schrieb:

> 1) Es sieht für mich so aus, als ob die HF-Rechnung
> ohne Einschränkung auch bei NF anwendbar wäre. Ist
> das richtig so?

Soweit ich weiss: Ja.


> 2) Wo ist die Grenze ab der die NF-Rechnung falsche
> Ergebnisse liefert?

Wenn die Wellenlänge der Welle auf der Leitung (Verkürzungs-
faktor!) "allmählich" in die Größenordnung der Leitungslänge
kommt. Die Auffassungen schwanken von Autor zu Autor, aber
eine Leitung von lambda/20...lambda/10 ist allmählich schon
"elektrisch lang".


> Falls die Behauptung unter 1) richtig wäre, würde das ja
> nahe legen, dass die NF-Rechnung immer eine Näherung (wenn
> auch eine sehr gute wäre).

Richtig.

Die NF-Rechnung geht von konzentrierten Bauelementen aus,
d.h. sie vernachlässigt, dass die Lichtgeschwindigkeit
endlich ist und deswegen an unterschiedlichen Punkten im
Raum keine identischen Spannungen herrschen KÖNNEN, wenn
sich die Signale ändern. Die Ausbreitung der Änderung
braucht ihre Zeit; die NF-Rechung vernachlässigt dies.


> 3) Die Leitungsgleichungen lassen sich z.B. dadurch
> motivieren, dass man die "Bauteile", die den Leitungsbelag
> bilden infinitesimal klein macht.

Der Zugang ist gefährlich, denn...

> Was ist der Grund dafür, dass sich Bauteile in der
> Größenordnung der Wellenlänge plötzlich ganz anderst
> verhalten?

...er führt zu dieser Frage :)

Die Bauteile verhalten sich nicht "plötzlich" ganz anders.
Man könnte boshaft sagen: Es sind nicht die BAUTEILE, die
sich anders verhalten, sondern die VERBINDUNGSDRÄHTE zwischen
den Bauteilen -- oder eigentlich noch genauer: DER LEERE RAUM
zwischen den Bauteilen, d.h. der Abstand ist das Problem.

Der Begriff einer Spule verliert seinen Sinn, wenn die
einzelnen Windungen soweit voneinander entfernt sind, dass
der Strom eine nennenswerte Zeit von der ersten zur letzten
Windung braucht. Und er MUSS eine nennenswerte Zeit brauchen,
eben weil die Lichtgeschwindigkeit endlich ist.

Ebenso hat es keinen Sinn, von DEM Potenzial zu reden, auf
dem ein 10'000km langer Draht liegt, weil man bei allen
Schaltvorgängen dazusagen müsste, welche Stelle man
betrachtet: Anfang? Ende? Kilometer 3000?

Die Änderung im Verhalten ist nicht wirklich plötzlich;
es geht immer um die Relation "Wie schnell ändert sich
das Signal ZEITLICH?" und "Wie groß ist meine Anordnung
RÄUMLICH?". Die Verbindung zwischen beidem ist die
Lichtgeschwindigkeit.

HTH

von DH1AKF W. (wolfgang_kiefer) Benutzerseite


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Da ich heute einen Vortrag zu genau diesem Thema erleben konnte (Ludwig 
Niebel, Jena, DH8WN) ein paar ergänzende Bemerkungen:

- Auf einer Leitung findet nicht nur Energietransport statt, sondern 
damit verbunden entstehen elektromagnetische Wellen. Am Leitungsende 
findet Energieumwandlung statt, (wenn RL = Zl ist), zusätzlich kann noch 
Reflexion auftreten, (bei Rl <> Zl).
- Für die daraus resultierenden stehenden Wellen gilt die Beziehung
v = Lambda * f.
- Damit kann man den Term tan(beta * l) umformen in tan(2*pi*l/lambda).
   l/lambda ist ein entscheidender Faktor für den am Eingang der Leitung 
messbaren (oder berechenbaren) Wellenwiderstand Z. Es gibt also keinen 
abrupten, sondern einen fließenden Übergang von Leitungslänge Null zu 
größeren Längen.

Heute in Silberthal wurden uns die Vorgänge mit einem hervorragenden 
Simulationsprogramm veranschaulicht. Es heißt GeoGebra und ist für 
private Zwecke kostenlos erhältlich.

https://www.geogebra.org/?lang=de

von Marc Oni (Gast)


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DH1AKF K. schrieb:
> - Auf einer Leitung findet nicht nur Energietransport statt, sondern
> damit verbunden entstehen elektromagnetische Wellen.

Die Physiker wie auch Maxwell sehen das genau andersrum: Entlang einer 
Leitung pflanzt sich die Energie in Form einer elektromagnetische Welle 
fort, die wiederum die Ursache für Spannung und Strom auf der Leitung 
ist.

Die Impedanzverhältnisse am Eingang einer Leitung bilden sich aus der 
Superposition von Hin- und Rücklaufender Welle.

Hier auch eine eingängie Erläuterung zum Energiefluss auf Leitungen von 
Karl Fischer:

http://cq-cq.eu/DJ5IL_rt006.pdf

von Andreas F. (andgset)


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Possetitjel schrieb:
> Die NF-Rechnung geht von konzentrierten Bauelementen aus,
> d.h. sie vernachlässigt, dass die Lichtgeschwindigkeit
> endlich ist und deswegen an unterschiedlichen Punkten im
> Raum keine identischen Spannungen herrschen KÖNNEN, wenn
> sich die Signale ändern. Die Ausbreitung der Änderung
> braucht ihre Zeit; die NF-Rechung vernachlässigt dies.

Danke für die ausführliche Antwort, jetzt kann ichs begreifen.

Marc Oni schrieb:
> Hier auch eine eingängie Erläuterung zum Energiefluss auf Leitungen von
> Karl Fischer:

Hier gleich die nächste Frage:

Ich zitiere aus dem Artikel:
"Elektromagnetischer Energiefluss findet nicht in den Leitern selbst 
durch Spannung und Strom, sondern  ausschließlich  in  den  sie 
umgebenden
elektromagnetischen Feldern statt."

Das ließt sich so als wäre es ohne Einschränkung gültig, aber gilt das 
auch im Falle vom Gleichstrom?
Angenommen wir betrachten eine Koaxialleitung auf der Gleichstrom 
fließt, dann haben wir orthogonale H und E Felder. Man könnte nun auf 
die Idee kommen dass sie eine TEM-Welle unendlich großer Frequenz 
bilden. Mein Prof meine aber auf Nachfrage, dass trotzdem kein 
Poyntingvektor existiert, weil die beiden Felder nicht gekoppelt sind, 
sich also nicht gegenseitig erzeugen, was auch soweit einleuchted. Dann 
aber die Frage: Wie wird die Energie im Gleichstromfall transportiert? 
Kinetische Energie der Elektronen?

von Marc Oni (Gast)


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Andreas F. schrieb:
> Wie wird die Energie im Gleichstromfall transportiert?
> Kinetische Energie der Elektronen?

Wohl weniger kinetische Energie.

Machen wir ein Gedankenexperiment zu einem Stromkreis. Aus einer 
Stromquelle fließen Elektronen zu einer Lampe, durch diese hindurch (und 
bringen sie dadurch zum Leuchten) und zurück in die Stromquelle.

Wäre es kinetische Energie, die für den Energietransport verantwortlich 
ist, müssten nach der Lampe andere Elektronen oder Elektronen mit 
geringerer kinetischer Energie fließen. Denn die Elektronen  hätten ja 
einen Teil ihrer kinetischen Energie in der Lampe in thermische oder 
Lichtenergie umgewandelt und damit abgegeben.

Das dies nicht der Fall ist, ist wohl unstrittig

von Andreas F. (andgset)


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Marc Oni schrieb:
> Machen wir ein Gedankenexperiment zu einem Stromkreis.

Ich hab mir das ohne Draht gedacht: Elektronen bewegen sich "durch" den 
Widerstand und kollieren mit anderen Teilchen. Dabei geben sie Energie 
ab und werden langsamer. Händewedelnd, ich weiß.

Aber wenn es nicht die Kinetische Energie ist, was dann?

von Marc Oni (Gast)


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> Aber wenn es nicht die Kinetische Energie ist, was dann?

Feldenergie

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