Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Sensor ASIL B Dekomposition


von etk55257 (Gast)


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Guten Tag,

eine Frage an die Leute mit FuSi Erfahrung.

Angenommen eine Anwendung soll nach ASIL B(D) entwickelt werden und die 
Kernkomponente der Anwendung ist ein Sensor, welcher Messwerte sammelt 
und an einen Controller zur Auswertung weitergibt.

Ist nun kein Sensor verfügbar, der für eine ASIL B Anwendung geeignet 
ist, können dann hierfür zwei identische QM Sensoren verwendet werden?
Die Messwerte der beiden Sensoren können dann vom Controller auf 
Plausibilität geprüft werden.
Abhängig der Sensorwerte kann ein Safety Goal verletzt werden.
Also Dekomposition von einem ASIL B Sensor auf zwei QM Sensoren?

Vielen Dank.

von Thomas V. (thomas_v70)


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Wen zwei identische Sensoren verbaut sind, die in Kombination ein Signal 
in ausreichender Güte bereitstellen können, warum wird dann noch ein 
dritter Sensor verbaut?

Das macht für mich jetzt einfach keinen Sinn für Daten die es schon gibt 
noch einen weiteren Sensor einzusetzen.

: Bearbeitet durch User
von ich (Gast)


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Wenn du eine Methode hast den commen cause failure zu vermeiden, gehen 
auch zwei ASIL A (D) Sensoren.

von Chris (Gast)


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Nicht mit identischen Sensoren. Können ja beiden zur gleichen Zeit den 
gleichen falschen Wert anzeigen, weil in beiden der gleiche Fehler ist. 
Dann nützt die Plausibilisierung nichts. Wenn dann zwei verschiedene 
Sensoren die am besten unterschiedlich funktionieren.

von Anja (Gast)


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ich schrieb:
> Wenn du eine Methode hast den commen cause failure zu vermeiden, gehen
> auch zwei ASIL A (D) Sensoren.

Dabei aber auch an die Versorgung denken.
-> 2 unabhängige / überwachte Sensor-Versorgungen
-> 2 getrennte Masse-Pins (Leitungsabfall).

Ein common cause Fehler könnte auch ein Kurzschluß zwischen beiden 
Signal-Leitungen sein. -> in der Regel werden unterschiedliche 
Kennlinien für die beiden Sensoren verwendet um diesen Fehler erkennen 
zu können. -> meistens sind keine 100% identischen Sensoren möglich.

Natürlich müssen neben der Plausibilität auch alle Einzelfehler sowohl 
auf der Versorgung als auch auf der Signal-Leitung erkannt werden 
können.
(Leitungsabfall, Kurzschluss gegen Masse, Kurzschluss gegen Batterie)
Dto für Leitungsabfall Masse.
Die erkannten Einzelfehler erfordern geeignete Ersatzreaktionen 
(Sicherheitsziel) des Systems.

Gruß Anja

von Martin L. (maveric00)


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Hallo,

hier geht aber einiges Durcheinander:

1.) Es gibt erst einmal keinen "ASIL B" oder "ASIL QM" Sensor, es sei 
denn, er ist als Safety Element Out Of Context (SEOOC) mit ASIL B 
qualifiziert worden (eher selten).

2.) Es gibt Sicherheitsziele, die hier mit ASIL B(D) erfüllt werden 
müssen. Dazu wird eine (oder mehrere) Sicherheitsfunktion entwickelt, 
die (zusammen) die Anforderungen des Sicherheitszieles erfüllen 
muss/müssen.

3.) Bestandteil dieser Anforderungen sind Aussagen zur kritischen 
Fehlerrate, zur Latentfehlererkennung und zum diagnostischen 
Deckungsgrad. Dazu sieht die ISO 26262-2011 zwei verschiedene Methoden 
vor, die man wahlweise anwenden kann: Entweder eine 
Einzelfehlerbetrachtung, oder die Bestimmung der Metriken für das 
Gesamtsystem.

4.) Wenn die entsprechenden Fehlerraten eingehalten werden, kann auch 
ein einfacher einzelner Sensor Bestandteil eines ASIL B, C oder 
D-Systems sein.


Erschwerend kommt hier in diesem Fall allerdings hinzu, dass das 
Gesamtsystem die Anforderungen des übergeordneten 
ASIL-D-Sicherheitsziels erfüllen muss; damit dürfte die 
Einzelfehlerbetrachtung nahezu ausgeschlossen sein. Dies liegt daran, 
dass im Gegensatz zur IEC 61508 bei der ISO 26262 zum Schluss immer das 
Gesamtsystem betrachtet wird. Eine einfache Substitution (2* ASIL A oder 
QM für ein ASIL B) ist ohne zusätzliche Nachweise nicht zulässig.

Geht man davon aus, dass die Dekomposition korrekt durchgeführt wurde, 
müssten Dir also von Deinem Auftraggeber Grenzwerte für die kritische 
Fehlerrate, die Latentfehlermetrik und den diagnostischen Deckungsgrad 
vorgegeben worden sein (denn nur so kann er sicherstellen, dass die 
Gesamtfehlerraten und Diagnosemöglichkeiten den ASIL D-Anforderungen 
entspricht).

Falls Du diese Grenzwerte nicht hast, frag nach - später könnte es sonst 
zu Überraschungen kommen: ASIL B erlaubt z.B. 100 FIT; es kann aber 
sein, dass andere Teilsysteme ähnliche Systemfehler erzeugen könnten und 
schon schrumpft Dein "Etat" auf 50 oder 30 FIT.


Als Größenordnung: Die Gesamtfunktion ASIL D darf höchstens 10 kritische 
Fehler alle 10^9 Stunden aufweisen (10 Failures in Time, FIT), bei einer 
Diagnoseabdeckung von 99%. Dein Teilsystem (ASIL B) darf irgendwo bis 
100 kritische Fehler alle 10^9 Stunden bei einer Diagnoseabdeckung von 
mehr als 90% aufweisen. Der Anteil der diagnostizierbaren Latentfehler 
darf dabei nicht unter 60% liegen.

Diese Fehlerraten und Diagnosemöglichkeiten muss nun Dein System 
bereitstellen. Wie das geschieht, hängt ganz von den verwendeten 
Komponenten ab. Es müssen z.B. nicht zwangsweise alle Einzelfehler 
erkannt werden, wenn z.B. der Einzelfehler nicht zu einem kritischen 
Ausfall führt oder so selten vorkommt, dass er die kritische Fehlerrate 
nicht über die Grenze erhöht (und es noch genügend andere 
diagnostizierte kritische Fehler gibt, so dass mindestens 90% der 
kritischen Fehler erkannt werden).

Wird z.B. ein Sensor mit hochwertigen Diagnosemöglichkeiten verwendet 
(z.B. eine "intelligente" Hall-Zelle wie die Melexis MLX90372), dann 
wird keine zusätzliche Redundanz benötigt (die Melexis-Zelle ist sogar 
als SEOOC ASIL-C-Qualifiziert).


Wird hingegen nur ein einfaches Reed-Relais verwendet, so wird man 
mehrfache Redundanzen benötigen (deutlich mehr als 2 Sensoren), um die 
Anforderungen zu erfüllen.

Zum Schluss musst Du dann noch die entsprechenden Nachweise führen, d.h. 
eine vollständige quantitative Fehlerbetrachtung mit einer FTA oder 
einer FMEDA durchführen und die entsprechenden Metriken bestimmen. Dazu 
musst Du die Ausfallraten jedes einzelnen Fehlermodes kennen oder (über 
etablierte Standardwerte) abschätzen. Auch das ist nicht ganz trivial - 
ich hab' schon einmal über ein Jahr mit einem Zulieferer über seine FTA 
diskutiert, bis sie keine offensichtlichen Fehler mehr aufwies. 
Wohlgemerkt: der Zulieferer gehört zu den ganz großen 
Automotive-Electronics-Zulieferern.

Damit komme ich zu einem weiteren Problem von Dir: Die Norm schreibt 
vor, dass nur Mitarbeiter an Sicherheitsthemen arbeiten dürfen, die 
entsprechende Kenntnisse haben. Damit darfst Du zum jetzigen Zeitpunkt 
aber nicht ohne "Aufsicht" an diesem Thema arbeiten, da Deine Frage 
zeigt, dass Du die entsprechenden Kenntnisse nicht besitzt. Tust Du es 
trotzdem, kannst Du Dich in die persönliche Haftung begeben (straf- und 
zivilrechtlich). Frage also Deinen Chef nach einer entsprechenden 
Fortbildung.


Schöne Grüße,
Martin

P.S.: Verweigert Dein Chef die Fortbildung, begibt er sich in die 
persönliche Haftung...

von Chris (Gast)


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Martin L. schrieb:
> Eine ganze Menge, als dass man hier Sinnvoll zitieren könnte

Aber Danke für den ausführlichen Beitrag. Den Fand auch ich interessant 
und Aufschlußreich, obwohl ich die Frage ja gar nicht gestellt habe.

von Dieter W. (dds5)


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Martin L. schrieb:
> ... 100 kritische Fehler alle 10^9 Stunden ...

10^9 Stunden wären 114000 Jahre - ist irgendwie nur schwer vorstellbar.

von Soul E. (Gast)


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Dieter W. schrieb:
> Martin L. schrieb:
>> ... 100 kritische Fehler alle 10^9 Stunden ...
>
> 10^9 Stunden wären 114000 Jahre - ist irgendwie nur schwer vorstellbar.

Das können auch 114000 verkaufte Fahrzeuge sein, bei denen es hundert 
potentiell tödliche Unfälle pro Jahr gibt. Klingt schon anders, oder?

von Dieter W. (dds5)


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Danke für das anschauliche Beispiel. Genau der Bezug hat mir gefehlt.

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