Forum: HF, Funk und Felder Verständnisfrage Netzwerkanalyse


von A. K. (3ak)


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Hallo,

ich habe eine (wahrscheinlich "blöde") Verständnisfrage zum Thema 
Netzwerkanalyse.


Ein Zweitor (vereinfachte Messsituation dargestellt in der Grafik, 
Messung an Tor 1, Empfang an Tor 2) wird mittels den Streuparametern 
folgendermaßen beschrieben:




Daraus kann man nun die Messvorschrift für beispielsweise die Anpassung 
an Tor 1 ableiten:

Man sieht klar, dass die Bedingung
 erfüllt sein muss um
 messen zu können. In der Praxis sollte es dann so sein, dass am Tor 2 
während der Messung mit Stimulus am Tor 1 keine Welle reflektiert wird, 
dieses Tor also perfekt abgeschlossen ist. Ansonsten würde ja die am Tor 
2 reflektierte Welle durch das DUT zurückwandern, am Ende des Weges die 
eigentliche Reflexion am Tor 1 überlagern, ein Teil wird wieder zurück 
in das DUT reflektiert usw. ...

Nun frage ich mich, wie man einen solchen perfekt angepassten Empfänger 
am messenden Tor 2 realisiert? Dieses Tor hat doch eine fixe Impedanz 
von typischerweise 50 Ohm ... wie kann man also für willkürliche  DUT's 
über alle Frequenzen eine perfekte Anpassung an Tor 2 erhalten? Wird die 
Anpassung an Tor 2 adaptiv eingestellt? Oder wird dies durch einen 
anderen Trick im Post-Processing korrigiert?



Danke!

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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A. K. schrieb:
> In der Praxis sollte es dann so sein, dass am Tor 2
> während der Messung mit Stimulus am Tor 1 keine Welle reflektiert wird,
> dieses Tor also perfekt abgeschlossen ist.

Richtig. Deswegen hat das Tor 2, wenn es als Empfänger geschaltet ist, 
auch physikalisch möglichst genau die Systemimpedanz, also meistens 50 
Ohm.

> Nun frage ich mich, wie man einen solchen perfekt angepassten Empfänger
> am messenden Tor 2 realisiert? Dieses Tor hat doch eine fixe Impedanz
> von typischerweise 50 Ohm ... wie kann man also für willkürliche  DUT's
> über alle Frequenzen eine perfekte Anpassung an Tor 2 erhalten? Wird die
> Anpassung an Tor 2 adaptiv eingestellt? Oder wird dies durch einen
> anderen Trick im Post-Processing korrigiert?

Die Abweichung des Reflexionsfaktors von Null des Tors 2, wenn es als 
Empfänger arbeitet, ist Teil der üblichen Fehlermodelle, die in der 
Netzwerkanalyse verwendet werden. Beim "klassischen" 12-Term Error Model 
wird dieser Fehler normalerweise als Forward Load Match Error (ELF) 
bezeichnet. Einen ähnlichen Fehler-Parameter gibt es auch im 8-Term 
Error Model (wird normalerweise für vierkanalige Analyzer im 
Zusammenhang mit TRL/LRL-Kalibrierung verwendet). Zusammen mit den 
anderen Fehler-Parametern wird der ELF im Rahmen einer vollen 
Zweiport-Kalibrierung ermittelt. Das kann z.B. die TOSM oder 
UOSM-Kalibrierung sein. Wenn die Fehler-Parameter ermittelt sind, werden 
mit diesen Messwerte korrigiert und damit auch gleichzeitig auf die 
Kalibrierebene bezogen.

Beitrag #5699147 wurde vom Autor gelöscht.
von A. K. (3ak)


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Hallo Mario,

vielen Dank! Das bringt mich schon mal ein Stück weiter. Durch die 
Kalibrierung kann man also die Abweichungen der Empfängerlast zur 
idealen Systemimpedanz korrigieren.

Aber eine Sache ist mir noch nicht ganz klar. Gibt es nicht 
prinzipbedingt eine vom DUT abhängige Reflexion, auch wenn der Empfänger 
tatsächlich ideal ist 50 Ohm hat (Grafik) ?

Beispielsweise, wenn das DUT ein elektrisch langes Stück 75 Ohm Leitung 
ist und die Systemimpedanz 50 Ohm beträgt. Sieht die Welle dann nicht 
zwei Stoßstellen? Eine beim Eintritt an Tor 1
 und eine weitere beim Austritt an Tor 2?
 Und müsste letztere nicht lt. der Messvorschrift verschwinden?

von lalala (Gast)


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A. K. schrieb:
> ieht die Welle dann nicht
> zwei Stoßstellen?

Ja.

A. K. schrieb:
> Und müsste letztere nicht lt. der Messvorschrift verschwinden?

Nein. Meiner Meinung nach gehört der Teil noch zum DUT. a2 verschwindet 
ja.
(Das DUT hört erst nach dem Übergang zur 50Ohm Leitung auf)

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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A. K. schrieb:
> Aber eine Sache ist mir noch nicht ganz klar. Gibt es nicht
> prinzipbedingt eine vom DUT abhängige Reflexion, auch wenn der Empfänger
> tatsächlich ideal ist 50 Ohm hat (Grafik) ?

Ich verstehe den Zusammenhang Deiner Frage nicht ganz. Gehst Du wie oben 
von einem DUT mit zwei Ports aus, der an die beiden Ports des VNA 
angeschlossen ist, und beziehst Du Dich auf die Messung von S_11? Wenn 
der Port 2 ideal ist, dann gibt es, sofern S_21 ungleich Null ist, zwar 
eine transmittierte Welle in den Port 2, aber diese wird im Port 2 
vollständig absorbiert, wie Du in Deinem ersten Post schon richtig 
erkannt hast.

> Sieht die Welle dann nicht
> zwei Stoßstellen? Eine beim Eintritt an Tor 1
> und eine weitere beim Austritt an Tor 2

Wenn der DUT die Leitung ist, liegt die Kalibrierebene aber jenseits der 
Stoßstellen. D.h. der DUT ist nach wie vor eine Black Box mit zwei 
Ports, welche durch ihre S-Matrix beschrieben wird, und die S-Parameter 
beziehen sich auf die Ports. Unabhängig davon, wie die Box von innen 
aussieht, und wie viele Stoßstellen etwa eine darin befindliche Leitung 
hat. Oder anders ausgedrückt, was an der zweiten Stoßstelle der Leitung 
in Deinem Beispiel reflektiert wird, zählt per Definitionem (aufgrund 
der Lage der Kalibrierebenen) mit zu S_11.

von A. K. (3ak)


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Mario H. schrieb:
> Gehst Du wie oben
> von einem DUT mit zwei Ports aus, der an die beiden Ports des VNA
> angeschlossen ist, und beziehst Du Dich auf die Messung von S_11?

Genau.

lalala schrieb:
> Nein. Meiner Meinung nach gehört der Teil noch zum DUT. a2 verschwindet
> ja.
> (Das DUT hört erst nach dem Übergang zur 50Ohm Leitung auf)

Mario H. schrieb:
> Oder anders ausgedrückt, was an der zweiten Stoßstelle der Leitung
> in Deinem Beispiel reflektiert wird, zählt per Definitionem (aufgrund
> der Lage der Kalibrierebenen) mit zu S_11.

OK, dann ist es wohl Definitionssache. Und eigentlich muss man sich die 
Kalibrier"ebene" als ein ideales Stück Leitung (Systemimpedanz) 
vorstellen (Grafik), welches die beiden Stoßstellen (Ausgang DUT<->Z0, 
Z0<->Empfänger) separiert?

In der Praxis ergibt sich das durch den Messaufbau, wo zwischen dem 
Empfänger und dem DUT eine Leitung(smode) mit entsprechender 
charakteristischer Impedanz (Koax TEM, Rechteckhohleiter TE_01,...) 
geschaltet ist. Was am Ende dieser Leitung am Empfänger ankommt ist 
"netto", also schon abzüglich der Reflexion am Übergang DUT<->Leitung 
mit Systemimpedanz.

: Bearbeitet durch User
von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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A. K. schrieb:
> OK, dann ist es wohl Definitionssache. Und eigentlich muss man sich die
> Kalibrier"ebene" als ein ideales Stück Leitung (Systemimpedanz)
> vorstellen (Grafik), welches die beiden Stoßstellen (Ausgang DUT<->Z0,
> Z0<->Empfänger) separiert?

In Deinem Beispiel mag man sich vorstellen, dass das 75 
Ohm-Leitungsstück (DUT) über kurze (d.h. nicht-transformierende) 50 
Ohm-Leitungsstücke angeschlossen ist, die bis zu den beiden 
Kalibrierebenen führen, auf die sich die gemessene S-Matrix bezieht. 
Lässt man die Länge dieser beiden Leitungsstücke gegen Null gehen, 
fallen die Kalibrierebenen mit den Enden der 75 Ohm-Leitung zusammen. 
Aber diese Vorstellung ist keineswegs zwingend.

Man kann in der Situation auch die gemessene S-Matrix des 75 
Ohm-Leitungsstücks nachträglich auf eine andere Systemimpedanz 
umrechnen, z.B. 75 Ohm. Die Reflexionen sind dann nicht mehr sichtbar 
(S_11 und S_22 sind Null), und wenn die Leitung verlustfrei ist, 
beschreibt ihre S-Matrix nur noch eine frequenzabhängige Phasendrehung.

> In der Praxis ergibt sich das durch den Messaufbau, wo zwischen dem
> Empfänger und dem DUT eine Leitung(smode) mit entsprechender
> charakteristischer Impedanz (Koax TEM, Rechteckhohleiter TE_01,...)
> geschaltet ist.

Nicht unbedingt durch den Messaufbau. Man kann die Bezugsebene auch 
nachträglich verschieben, um so z.B. Adapter, Leitungsstücke oder 
Anpassnetzwerke herein- oder herauszurechnen. Das nennt sich Embedding 
bzw. De-Embedding. Dazu muss man die S-Matrix des Netzwerks, um das man 
verschiebt, kennen. Man sollte in dem Zusammenhang vielleicht eher von 
Bezugsebene anstatt Kalibrierebene sprechen, da sich die tatsächliche 
Kalibrierung der Messung nicht auf die Ebene beziehen muss, an der man 
eigentlich interessiert ist, und auf die man die Messung beziehen will.

Da sich die ganze Angelegenheit mit Wellengrößen formulieren lässt 
(einfallende und gestreute Wellen), spielt es keine Rolle, ob man mit 
TEM-Wellen in einer koaxialen Geometrie zu tun hat, wo man auch Ströme 
oder Spannungen betrachten kann, oder TE- bzw. TM-Wellen z.B. in 
Hohlleitern, bei deinen es keine Ströme und Spannungen gibt.

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