Hallo,
ich habe eine (wahrscheinlich "blöde") Verständnisfrage zum Thema
Netzwerkanalyse.
Ein Zweitor (vereinfachte Messsituation dargestellt in der Grafik,
Messung an Tor 1, Empfang an Tor 2) wird mittels den Streuparametern
folgendermaßen beschrieben:
Daraus kann man nun die Messvorschrift für beispielsweise die Anpassung
an Tor 1 ableiten:
Man sieht klar, dass die Bedingung
erfüllt sein muss um
messen zu können. In der Praxis sollte es dann so sein, dass am Tor 2
während der Messung mit Stimulus am Tor 1 keine Welle reflektiert wird,
dieses Tor also perfekt abgeschlossen ist. Ansonsten würde ja die am Tor
2 reflektierte Welle durch das DUT zurückwandern, am Ende des Weges die
eigentliche Reflexion am Tor 1 überlagern, ein Teil wird wieder zurück
in das DUT reflektiert usw. ...
Nun frage ich mich, wie man einen solchen perfekt angepassten Empfänger
am messenden Tor 2 realisiert? Dieses Tor hat doch eine fixe Impedanz
von typischerweise 50 Ohm ... wie kann man also für willkürliche DUT's
über alle Frequenzen eine perfekte Anpassung an Tor 2 erhalten? Wird die
Anpassung an Tor 2 adaptiv eingestellt? Oder wird dies durch einen
anderen Trick im Post-Processing korrigiert?
Danke!
A. K. schrieb:> In der Praxis sollte es dann so sein, dass am Tor 2> während der Messung mit Stimulus am Tor 1 keine Welle reflektiert wird,> dieses Tor also perfekt abgeschlossen ist.
Richtig. Deswegen hat das Tor 2, wenn es als Empfänger geschaltet ist,
auch physikalisch möglichst genau die Systemimpedanz, also meistens 50
Ohm.
> Nun frage ich mich, wie man einen solchen perfekt angepassten Empfänger> am messenden Tor 2 realisiert? Dieses Tor hat doch eine fixe Impedanz> von typischerweise 50 Ohm ... wie kann man also für willkürliche DUT's> über alle Frequenzen eine perfekte Anpassung an Tor 2 erhalten? Wird die> Anpassung an Tor 2 adaptiv eingestellt? Oder wird dies durch einen> anderen Trick im Post-Processing korrigiert?
Die Abweichung des Reflexionsfaktors von Null des Tors 2, wenn es als
Empfänger arbeitet, ist Teil der üblichen Fehlermodelle, die in der
Netzwerkanalyse verwendet werden. Beim "klassischen" 12-Term Error Model
wird dieser Fehler normalerweise als Forward Load Match Error (ELF)
bezeichnet. Einen ähnlichen Fehler-Parameter gibt es auch im 8-Term
Error Model (wird normalerweise für vierkanalige Analyzer im
Zusammenhang mit TRL/LRL-Kalibrierung verwendet). Zusammen mit den
anderen Fehler-Parametern wird der ELF im Rahmen einer vollen
Zweiport-Kalibrierung ermittelt. Das kann z.B. die TOSM oder
UOSM-Kalibrierung sein. Wenn die Fehler-Parameter ermittelt sind, werden
mit diesen Messwerte korrigiert und damit auch gleichzeitig auf die
Kalibrierebene bezogen.
Hallo Mario,
vielen Dank! Das bringt mich schon mal ein Stück weiter. Durch die
Kalibrierung kann man also die Abweichungen der Empfängerlast zur
idealen Systemimpedanz korrigieren.
Aber eine Sache ist mir noch nicht ganz klar. Gibt es nicht
prinzipbedingt eine vom DUT abhängige Reflexion, auch wenn der Empfänger
tatsächlich ideal ist 50 Ohm hat (Grafik) ?
Beispielsweise, wenn das DUT ein elektrisch langes Stück 75 Ohm Leitung
ist und die Systemimpedanz 50 Ohm beträgt. Sieht die Welle dann nicht
zwei Stoßstellen? Eine beim Eintritt an Tor 1
und eine weitere beim Austritt an Tor 2?
Und müsste letztere nicht lt. der Messvorschrift verschwinden?
A. K. schrieb:> ieht die Welle dann nicht> zwei Stoßstellen?
Ja.
A. K. schrieb:> Und müsste letztere nicht lt. der Messvorschrift verschwinden?
Nein. Meiner Meinung nach gehört der Teil noch zum DUT. a2 verschwindet
ja.
(Das DUT hört erst nach dem Übergang zur 50Ohm Leitung auf)
A. K. schrieb:> Aber eine Sache ist mir noch nicht ganz klar. Gibt es nicht> prinzipbedingt eine vom DUT abhängige Reflexion, auch wenn der Empfänger> tatsächlich ideal ist 50 Ohm hat (Grafik) ?
Ich verstehe den Zusammenhang Deiner Frage nicht ganz. Gehst Du wie oben
von einem DUT mit zwei Ports aus, der an die beiden Ports des VNA
angeschlossen ist, und beziehst Du Dich auf die Messung von S_11? Wenn
der Port 2 ideal ist, dann gibt es, sofern S_21 ungleich Null ist, zwar
eine transmittierte Welle in den Port 2, aber diese wird im Port 2
vollständig absorbiert, wie Du in Deinem ersten Post schon richtig
erkannt hast.
> Sieht die Welle dann nicht> zwei Stoßstellen? Eine beim Eintritt an Tor 1> und eine weitere beim Austritt an Tor 2
Wenn der DUT die Leitung ist, liegt die Kalibrierebene aber jenseits der
Stoßstellen. D.h. der DUT ist nach wie vor eine Black Box mit zwei
Ports, welche durch ihre S-Matrix beschrieben wird, und die S-Parameter
beziehen sich auf die Ports. Unabhängig davon, wie die Box von innen
aussieht, und wie viele Stoßstellen etwa eine darin befindliche Leitung
hat. Oder anders ausgedrückt, was an der zweiten Stoßstelle der Leitung
in Deinem Beispiel reflektiert wird, zählt per Definitionem (aufgrund
der Lage der Kalibrierebenen) mit zu S_11.
Mario H. schrieb:> Gehst Du wie oben> von einem DUT mit zwei Ports aus, der an die beiden Ports des VNA> angeschlossen ist, und beziehst Du Dich auf die Messung von S_11?
Genau.
lalala schrieb:> Nein. Meiner Meinung nach gehört der Teil noch zum DUT. a2 verschwindet> ja.> (Das DUT hört erst nach dem Übergang zur 50Ohm Leitung auf)Mario H. schrieb:> Oder anders ausgedrückt, was an der zweiten Stoßstelle der Leitung> in Deinem Beispiel reflektiert wird, zählt per Definitionem (aufgrund> der Lage der Kalibrierebenen) mit zu S_11.
OK, dann ist es wohl Definitionssache. Und eigentlich muss man sich die
Kalibrier"ebene" als ein ideales Stück Leitung (Systemimpedanz)
vorstellen (Grafik), welches die beiden Stoßstellen (Ausgang DUT<->Z0,
Z0<->Empfänger) separiert?
In der Praxis ergibt sich das durch den Messaufbau, wo zwischen dem
Empfänger und dem DUT eine Leitung(smode) mit entsprechender
charakteristischer Impedanz (Koax TEM, Rechteckhohleiter TE_01,...)
geschaltet ist. Was am Ende dieser Leitung am Empfänger ankommt ist
"netto", also schon abzüglich der Reflexion am Übergang DUT<->Leitung
mit Systemimpedanz.
A. K. schrieb:> OK, dann ist es wohl Definitionssache. Und eigentlich muss man sich die> Kalibrier"ebene" als ein ideales Stück Leitung (Systemimpedanz)> vorstellen (Grafik), welches die beiden Stoßstellen (Ausgang DUT<->Z0,> Z0<->Empfänger) separiert?
In Deinem Beispiel mag man sich vorstellen, dass das 75
Ohm-Leitungsstück (DUT) über kurze (d.h. nicht-transformierende) 50
Ohm-Leitungsstücke angeschlossen ist, die bis zu den beiden
Kalibrierebenen führen, auf die sich die gemessene S-Matrix bezieht.
Lässt man die Länge dieser beiden Leitungsstücke gegen Null gehen,
fallen die Kalibrierebenen mit den Enden der 75 Ohm-Leitung zusammen.
Aber diese Vorstellung ist keineswegs zwingend.
Man kann in der Situation auch die gemessene S-Matrix des 75
Ohm-Leitungsstücks nachträglich auf eine andere Systemimpedanz
umrechnen, z.B. 75 Ohm. Die Reflexionen sind dann nicht mehr sichtbar
(S_11 und S_22 sind Null), und wenn die Leitung verlustfrei ist,
beschreibt ihre S-Matrix nur noch eine frequenzabhängige Phasendrehung.
> In der Praxis ergibt sich das durch den Messaufbau, wo zwischen dem> Empfänger und dem DUT eine Leitung(smode) mit entsprechender> charakteristischer Impedanz (Koax TEM, Rechteckhohleiter TE_01,...)> geschaltet ist.
Nicht unbedingt durch den Messaufbau. Man kann die Bezugsebene auch
nachträglich verschieben, um so z.B. Adapter, Leitungsstücke oder
Anpassnetzwerke herein- oder herauszurechnen. Das nennt sich Embedding
bzw. De-Embedding. Dazu muss man die S-Matrix des Netzwerks, um das man
verschiebt, kennen. Man sollte in dem Zusammenhang vielleicht eher von
Bezugsebene anstatt Kalibrierebene sprechen, da sich die tatsächliche
Kalibrierung der Messung nicht auf die Ebene beziehen muss, an der man
eigentlich interessiert ist, und auf die man die Messung beziehen will.
Da sich die ganze Angelegenheit mit Wellengrößen formulieren lässt
(einfallende und gestreute Wellen), spielt es keine Rolle, ob man mit
TEM-Wellen in einer koaxialen Geometrie zu tun hat, wo man auch Ströme
oder Spannungen betrachten kann, oder TE- bzw. TM-Wellen z.B. in
Hohlleitern, bei deinen es keine Ströme und Spannungen gibt.