Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Gehäuse Kunststoff oder Metall


von M. W. (mw73)


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Hallo Zusammen,

Ich bin für meine uC-Anwendung auf der suche nach einem passenden 
Gehäuse. Dabei geht es mir hauptsächlich ums Material. Bevorzugen würde 
ich wegen der leichteren Bearbeitung zwar Kunststoff, jedoch befindet 
sich in unmittelbarer Nähe zur Schaltung ein Drehstrommotor (Abstand ca. 
0,5 Meter) weshalb ich eher aufgrund beserer Abschirmung ein 
Metallgehäuse bevorzugen würde, oder gibt es geeignete Maßnahmen für ein 
Kunststoffgehäuse. Reichelt bietet neben Kunststoff sehr viel 
Alu-Gehäuse an. Ich habe schon einige Beiträge gelesen, es gibt aber 
sehr viel unterschiedliche Meinungen. Was würdet ihr mir denn raten?

Grüße Markus.

von Stefan F. (Gast)


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Mach Dir um die elektromagnetischen Wellen durch die Luft keine Sorgen. 
Die AVR Mikrocontroller sind robust und zuverlässig. Wenn da etwas 
stört, kommt es durch die Kabel rein.

Kleiner Tipp: Beschalte den Reset Pin mit einem Pull-Up Widerstand 
(maximal 12kΩ) und mit einem 100nF Kondensator nach GND. Damit er nicht 
als Antenne wirkt. Der Reset Eingang reagiert manchmal viel 
empfindlicher, als normale I/O Pins. Siehe Spannungspegel im Datenblatt.

von Gerhard O. (gerhard_)


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Solange die Elektronik industriell gehärtet ist und die LP entsprechend 
mit Masseflächen oder Multilayer mit internen Masseflächen und VCC 
Layern ausgestattet ist, geht das schon.

Was meine ich nun mit "gehärtet"?

Gehärtet in diesen Zusammenhang bedeutet, daß alle Verbindungen zu oder 
von der externen Beschaltung von den empfindlichen Kontroller genügend 
durch geeignete Schaltungsmaßnahmen isoliert sind.

Das wird oft mit Opto Isolatoren, entsprechende Schutzbeschaltung und 
Tiefpassfilterung der uC Eingänge, Relais, SSRs, manchmal auch Trafos, 
Stromwandler und noch viele andere Möglichkeiten.

Die wichtigste Regel bei uC ist: "Kein uC Pin darf ungeschützt die 
Leiterplatte verlassen." Ich kann nicht genug unterstreichen wie wichtig 
das ist. Auch ist es wichtig mit niederohmigen Pullups oder Pulldowns zu 
arbeiten. Die 50KOhm eines AVRs sind gegen Störeinflüsse viel zu 
hochohmig. Nach Möglichkeit jeden Eingang mit RC Glieder und TVS Dioden 
absichern.

Auch das Design der Stromversorgung bedarf sorgfältiger Überlegung um 
Transienten den Weg in die Schaltung zu versperren. Es darf nicht 
passieren, daß Schaltnetzteile auf externe Störungen reagieren. Meist 
verwendet man geeignete Multi-Element Netzfilter um das Netzteil 
ausreichend zu schützen.

Bei ungeschützten Laboraufbauten reichte oft das in der Nähe liegende 
Kabel einer Weller Magnastat Lötstation um beim Abschalten des 
Heizelements den uC zu beeinflussen bzw. resetten.

Das heißt, daß jede Verbindung zu und von der Bord industriell gehärtet 
sein muß. Eine einzige Verletzung dieser Regel führt zu EMP 
Empfindlichkeit die später zu unberechenbaren Problemen führen kann.

Das ganze Schaltungskonzept muß überlegt und jede Eventualität 
einkalkuliert werden. Nichts darf dem Zufall überlassen werden.

Natürlich kostet solche eine Vorgehensweise, viel Überlegung, Platz und 
Kosten.

Wenn Du diesbezüglich keine Unterlassungsfehler machst, wird es auch in 
einem Plastikgehäuse funktionieren. Besser ist immer ein Metallgehäuse. 
Metallgehäuse alleine sind allerdings auch keine Garantie für 
fehlerfreie, unbeeinflußte Operation. Auch dort müssen geeignete 
Schaltungsmaßnahmen für Schutz gegen externe Beeinflussung sorgen. 
Gerade dort sind für geeignete Filter Maßnahmen zu sorgen.

EMP Energie verhält sich wie Radiowellen hoher Energie. Diese Energie 
benimmt sich wie Wasser und fließt durch die kleinsten Löcher. Da HF 
durch den Skin Effekt immer auf den Aussenflächen von Leitern fließt, 
muß man alles machen um dieser Energie keine Passage ins Innere des 
Gerätes zu verschaffen. Jede Steuerverbindung nach Innen muß HF mäßig so 
gefiltert werden, daß die HF Energie nicht durch den Kontaktverbindung 
ins Innere des Gehäuses geraten darf und nach aussen weiterfließen kann. 
Jede Pssage von HF von aussen nach Innen kann sich katastrophal 
auswirken. Das ist ähnlich wie beim Design von Meßsendern wo auch alle 
Verbindungen zu den HF Teilen extensiv gefiltert werden müssen. (siehe 
das Innere von R&S Meßsender und Synthesizer Konstruktionen. Das geht 
mit multiplen CLC Filtern geeigneter Konstruktion und Bemessung. 
Zusätzlich können Ferrithülsen helfen. Es kann manchmal schwierig sein 
zu bestimmen wie viel Schutz in der betreffenden Anwendung notwendig 
ist. Bei hohen Motorleistungen muß man meist sehr hohen Aufwand treiben.

Um alles richtig zu machen braucht man viel Erfahrung, viele 
praxisgerechte App Notes der Hersteller zu studieren und tun was geraten 
wird und nicht denken, als sparsamer Entwickler brauche ich mich nicht 
daran zu halten. Das könnte nämlich ins Auge gehen.

Industrielles Geräte- und Schaltungsdesign ist eine Multi-Disziplin 
Angelegenheit die alles von HF bis SW umspannt und bedarf holistischen 
Ansatzes. Auch ist es notwendig und nützlich die relevanten EN 6.... EMV 
Standards und deren Meßmethoden zu studieren und kennen. Auch Kenntnis 
einiger militärischen Standards ist manchmal extrem nützlich. Test 
Objekte in den abgeschirmten EMV Labors werden dort nicht nur für Geräte 
Emmissionen evaluiert sondern auch starken Störsignalen zur 
Susceptibility Empfindlichkeits Evaluierung ausgesetzt.

: Bearbeitet durch User
von Harald W. (wilhelms)


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Markus W. schrieb:

> jedoch befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Schaltung
> ein Drehstrommotor (Abstand ca. 0,5 Meter)

Wenn es sich um einen normalen Asynchronmotor ohne Frequenzwandler-
Betrieb handelt, ewrzeugt der so gut wie keine Störungen.

von MaWin (Gast)


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Markus W. schrieb:
> Ich habe schon einige Beiträge gelesen, es gibt aber sehr viel
> unterschiedliche Meinungen. Was würdet ihr mir denn raten

Gehäuse bei Pollin kaufen.

Alu ist halt teurer aber robuster. Man muss wissen ob es einen das Wert 
ist.

In Plasgik kann.man auch nachträglich eine Abschirmung aus Weissblech 
bauen, wenn die eigene Schaltung zu emofindlich ist.

Ein Drehstrommotor stört eher wenig, bürstenbehaftete Motoren sind dabei 
kritischer.

von Gerhard O. (gerhard_)


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Beim Abschalten induktiver Lasten, auch bei den o.g. Motortypen 
entstehen je nach Zeitpunkt und augenblicklicher Spannung mehr oder 
weniger große vagabundierende Spannungspitzen mit beträchtlicher 
Ausgleichs Energie, die sich auf die Umgebung störend auswirken können.
Deshalb weisen Motorschütze besondere Schaltkontakt Legierungen auf um 
mit der Funkenbildung fertig zu werden. Sie verhindern aber nicht die 
mögliche Entstehung dieser Spannungsspitzen. Man braucht sich nur daran 
zu erinnern zu was ein Magnastat Lötkolben imstande ist, an EMP Energie 
zu erzeugen. Auch RC Snubber Glieder sind nicht unbedingt eine 
"Wunderlösung". Wenn Elektronik in der Nähe ist, muß für ausreichende 
Entkopplung immer gesorgt werden. Sonst bleibt vieles dem Zufall 
überlassen.

: Bearbeitet durch User
von M. W. (mw73)


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Guten Morgen,

danke euch allen für eure Erklärungen, besonders Gerhard!
Da ich beim Design der Schaltung sehr viel Vorkehrungen bezüglich 
Filtermaßnahmen getroffen habe und auch hier im Forum öfters um Rat 
gefragt habe, möchte ich auch beim Gehäuse keinen Fehler machen und 
daher wird es auch ein Metall-Gehäuse werden.

Danke und LG
Markus

von Stefan F. (Gast)


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Markus W. schrieb:
> möchte ich auch beim Gehäuse keinen Fehler machen und
> daher wird es auch ein Metall-Gehäuse werden.

Dann informiere dich, welche Metalle was abschirmen können.

von Gerhard O. (gerhard_)


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von Klaus R. (klara)


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von M. W. (mw73)


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Danke nochmals an alle für die wirklich tollen Infos!

Grüße
Markus

von M. W. (mw73)


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...und ganz speziellen Dank an Gerhard!

Sowas ist nicht selbstverständlich!!

Danke und LG
Markus

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