Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Kondensator verändert Kapazität nach dem Nachlöten


von Mathias U. (munter)


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Hallo, ich traue mich fast gar nicht das Thema und die "Messungen" hier 
kundzutun, denn es könnte leicht ins Esotherische abdriften...

Folgende Situation:

Wir betreiben einen Load-Switch (TPS22944), der über ein einfaches 
RC-Glied verzögert eingeschaltet wird.

Das RC-Glied besteht aus:
R: 180k (0402, 1%)
C: 2µ2 (0402, Keramik, ±10%, X5R)

Das theoretische Tau = R * C = 396 ms

LC-Meter von Hameg.
Oszilloskop von Rigol.

IN der Schaltung gemessen hat der Kondensator eine Kapazität von 1,64 
µF, was einem Tau von 295 ms entspricht.
Nehme ich die e-Funktion mit dem Oszilloskop auf, dann "messe" ich ein 
Tau von 300 ms, passt also.

Löte ich nun aber den Kondensator aus und messe dessen Kapazität, dann 
liegt diese bei 2,27 µF.

Wieder eingelötet messe ich IN der Schaltung nun eine Kapazität von 2,09 
µF, was einem theoretischen Tau von 387 ms entspricht.
Nehme ich die e-Funktion mit dem Oszilloskop auf, dann "messe" ich ein 
Tau von 374 ms, passt also in etwa.

Nun die alles entscheidende Frage:

Warum hat sich die Kapazität IN der Schaltung gemessen durch das Aus- 
und wieder Einlöten nach oben hin verändert?
Oder warum ist die Zeitkonstante des RC-Gliedes durch den Bestücker 
eingelötet zunächst deutlichst vom theoretischen Wert weg? (295 ms zu 
396 ms)

Eine schlechte Lötstelle im Ursprungszustand würde doch eher einem 
zusätzlichen Widerstand entsprechen, der dann die Zeitkonstante nach 
OBEN verändern würde, oder?
Ich habe dieses Phänomen an mehreren Platinen reproduziert. Immer NACH 
dem Nachlöten verhält sich das RC-Glied wie gewünscht.

Hat jemand schon etwas ähnliches beobachtet?

von Jörg W. (dl8dtl) (Moderator) Benutzerseite


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Mathias U. schrieb:
> Warum hat sich die Kapazität IN der Schaltung gemessen durch das Aus-
> und wieder Einlöten nach oben hin verändert?

Schuss ins Blaue: Spannungen im Bauteil, bedingt durch die Art und 
Weise, wie es beim ersten Löten abgekühlt worden ist.

Diese hochpermeablen Keramiken sind für allerlei Dreckeffekte bekannt. 
Insbesondere sind sie stark piezoelektrisch (Mikrofonie bzw. Fiepen), 
und die Kapazität ändert sich stark mit einer angelegten Gleichspannung. 
Beides zusammen genommen, wäre es also nicht weiter verwunderlich, wenn 
sich die Kapazität auch durch irgendeine mechanische Vorspannung ändert.

ps: Wenn dem so ist, sollte sich die Kapazität auch durch kurzes 
Nachlöten mit einem Heißluftlötgerät erhöhen.

: Bearbeitet durch Moderator
von Mathias U. (munter)


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Hey,

danke. Eine mechanische Vorspannung, wieder eine Theorie, über die man 
nachdenken kann...

Tatsächlich kann ich die Kapazität auch (leicht) erhöhen, indem ich nur 
eine Seite des Kondensators nach der anderen nachlöte, statt Ihn mit der 
Entlötzange in einem Rutsch auszulöten...

Mathias

von Stone (Gast)


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Wie alt sind die Kondensatoren?
Wie lange ist das bestücken her?

Bei X5R gibt es eine Aging Rate X%/Decade Hour.
Die Uhr läuft nach der Produktion. Sagen wir du hast eine Aging Rate von 
5%/Decade Hour -> 1h nach der Produktion hast du 100% Kapazität.
10h nach der Produktion 95%
100h 90%
1000h 85%
10000h 80%
...

Temperaturen über 150°C hebt den Effekt wieder auf.

https://forum.digikey.com/t/ceramic-capacitor-aging-what-is-a-decade-hour/1170

http://www.kemet.com/Lists/TechnicalArticles/Attachments/198/2014-03%20Measure%20Capacitance%20of%20Class-II%20and%20Class-III%20Ceramic%20Capacitors.pdf

Gruß Matthias

von jemand (Gast)


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Keramische kondensatoren ändern ihre Kapazität beim Löten.
Habe ich auch schon festgestellt.

Grund:
Klasse-II-Kerkos altern, und der Lötvorgang (=Erwärmen über die 
Curie-Temperatur) setzt das zurück.

Man kann das beim Hersteller nachlesen:
https://www.murata.com/en-global/support/faqs/products/capacitor/mlcc/char/0006

Ich kenne das Problem von einem sehr alten Kerko-Sortiment (>20 Jahre), 
nur deshabl weiß ich das überhaupt. Dort hatten die 100n noch 83nF, nach 
dem Löten aber 97n. Da wundert man sich dann, und fragt nach.
Das ist das Schöne am Entwicklerjob. Selbst nach Jahren lernt man immer 
wieder neue Dinge über altbekannte Bauteile :-)

von Jens G. (jensig)


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Da gibt's paar Infos zum Temperaturverhalten beim Löten und Aging, 
gerade bei den Cs mit hoher Kapazitätsdichte:

https://ec.kemet.com/blog/what-ceramic-technologies-are-best-for-high-power-density-applications-part-1/

https://ec.kemet.com/blog/mlcc-dielectric-differences/

von Norby N. (Firma: neee) (schredderelch)


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Hi Moinsens :-))

Die "Kreiskapazitäten" könnten da auch eine Rolle spielen schon eine 
Dickere Lötung kann sich da bemerkbar machen ...

Bis dahin LG es vy 73s AR ...-.- :-)

von Egon D. (Gast)


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Mathias U. schrieb:

> Warum hat sich die Kapazität IN der Schaltung gemessen
> durch das Aus- und wieder Einlöten nach oben hin verändert?

Weil für Keramikkondensatoren mit hohem C/V-Verhältnis
sog. FERROELEKTRIKA als Dielektrikum zum Einsatz kommen.

Ferroelektrische Stoffe haben zwar den Vorteil einer sehr
hohen Dielektrizitätskonstante -- der Preis dafür ist aber,
dass sie praktisch jede denkbare Kreuzempfindlichkeit
aufweisen:

 - sie sind piezoelektrisch, d.h. die DK hängt vom
   mechanischen Druck ab

 - sie sind ferroelektrisch, d.h. die DK hängt sowohl
   von der aktuellen elektrischen Feldstärke wie auch
   von der vorher herrschenden Maximalfeldstärke ab
   (ferroelektrische Hysterese),

 - sie sind pyroelektrisch, d.h. die DK bzw. der Ladungs-
   zustand hängt von der Temperatur ab.

Deine Beobachtung ist also völlig normal, keine Esoterik :)

Das geht so weit, dass man von einem keramischen Ultraschall-
transducer nach dem Anlöten von Kontaktdrähten heftig eine
geballert bekommt. (Kein Märchen, selbst erlebt.)


Ach so: Das gilt NUR für den ganzen hochkapazitiven Kehricht.
Typ-I-Dielektrika (C0G/NP0) sind davon NICHT betroffen.

von Jörg W. (dl8dtl) (Moderator) Benutzerseite


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Egon D. schrieb:
> Typ-I-Dielektrika (C0G/NP0) sind davon NICHT betroffen.

Allerdings sind die mit 2,2 µF dann schon unhandlich groß und ganz 
gewiss nicht mehr in 0402 zu haben. :)

von Mathias U. (munter)


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Hallo,

vielen Dank für die informativen Links...
Das hört sich ja alles "furchtbar" an.
Wenn ich daran denke, wie viele Schaltpläne ich schon gesehen habe, in 
denen es um stabile Frequenzen geht und dann waren X7R oder X5R 
Kondensatoren drin...eieiei...

Also meine Platinen sind vor 6 Jahren entwickelt worden, ich denke auch 
in dem Zeitraum produziert. War alles vor meiner Zeit in der Firma.

Wenn ich allerdings die 5% / dekade annehme, dann scheint mir der 
Verlust der Kapazität von fast 25% innerhalb von 6 Jahren schon recht 
hoch.
(von 2,2 µF auf 1,64 µF)

Ich habe auch eine Platine vermessen, da hatte der besagte C eine 
Kapazität von 1,2 µF ... nach dem Auslöten waren es dann wieder 2,2 µF. 
Und das innerhalb von 6 Jahren. Da frage ich mich schon, wer den armen 
Kerl so gequält hat...

Das keramische Kondensatoren zu weilen in der Oper auftreten könn(t)en, 
habe ich selbst auch schon bemerkt, aber das das Altern SOO heftig 
ausfällt, ist erschreckend. (zumindest bei X5R und X7R)

Man lernt nie aus...
Danke nochmal!

von Egon D. (Gast)


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Jörg W. schrieb:

> Egon D. schrieb:
>> Typ-I-Dielektrika (C0G/NP0) sind davon NICHT betroffen.
>
> Allerdings sind die mit 2,2 µF dann schon unhandlich
> groß und ganz gewiss nicht mehr in 0402 zu haben. :)

Sicher, das ist richtig.

Allerdings hatte Oliver B. schon vor über zehn Jahren
den passenden Ausdruck dafür: Miniaturisierungswahn.

von Soul E. (Gast)


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Mathias U. schrieb:

> Wenn ich daran denke, wie viele Schaltpläne ich schon gesehen habe, in
> denen es um stabile Frequenzen geht und dann waren X7R oder X5R
> Kondensatoren drin...eieiei...

Stabil ist halt relativ. Für einen 555 ist das gut genug.

> Ich habe auch eine Platine vermessen, da hatte der besagte C eine
> Kapazität von 1,2 µF ... nach dem Auslöten waren es dann wieder 2,2 µF.
> Und das innerhalb von 6 Jahren. Da frage ich mich schon, wer den armen
> Kerl so gequält hat...

Vielleicht lag eine Gleichspannung an? Bei Polarisation des 
Dielektrikums sinkt die Kapazität deutlich ab.

von Harald W. (wilhelms)


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soul e. schrieb:

> Stabil ist halt relativ. Für einen 555 ist das gut genug.

Nun, m.W. hat ein 555 eine Stabilität von besser 1%. Der Rest der
Ungenauigkeit kommt von der Toleranz der verwendeten Bauelemente.

von Jens G. (jensig)


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>Das keramische Kondensatoren zu weilen in der Oper auftreten könn(t)en,
>habe ich selbst auch schon bemerkt, aber das das Altern SOO heftig
>ausfällt, ist erschreckend. (zumindest bei X5R und X7R)

Das sind dann Kapazitäten, die in der Oper auftreten ...

von Ach Du grüne Neune (Gast)


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Wie verhält es sich mit Sibatit- bzw. Vielschichtkondensatoren? Leiden 
die genauso stark unter Kapazitätsveränderung? Welcher Kondensatortyp 
(bis 100nF) verhält sich am stabilsten? Hat da jemand Erfahrung?

von Axel S. (a-za-z0-9)


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Ach Du grüne Neune schrieb:
> Wie verhält es sich mit Sibatit- bzw. Vielschichtkondensatoren?

Das sind am Ende die gleichen "Chips" wie die SMD-Bauform. Nur halt mit 
Beinchen dran und einer Kunstharzumhüllung.

> Leiden die genauso stark unter Kapazitätsveränderung?

Bei gleicher Kapazität kann man davon ausgehen, weil es dann das gleiche 
Dielektrikum sein wird.

> Welcher Kondensatortyp (bis 100nF) verhält sich am stabilsten?

Einer, bei dem das Dielektrikum stabil ist (du sagst leider nicht, 
"stabil" bezüglich welcher Einflußfaktoren). Keramik hat potentiell die 
größte Drift mit Temperatur und Spannung. Bei Folie sind die 
Unterschiede bezüglich dieser Parameter viel geringer.

Stabile Keramik (NP0 bzw. C0G) sehe ich bei Reichelt als Vielschicht 
bedrahtet bis 47nF. Für 100nF wirst du dann mit X7R oder Z5U Dielektrika 
leben müssen. Mit den bekannten schlechten Eigenschaften. Und ich sehe 
gerade, in 1206 SMD bekommst du bei Reichelt 100nF/25V auch als C0G. 
Kostet halt €0,74 statt €0,04 für X7R.

von Ach Du grüne Neune (Gast)


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Axel S. schrieb:
> in 1206 SMD bekommst du bei Reichelt 100nF/25V auch als C0G.
> Kostet halt €0,74 statt €0,04 für X7R.

Das ist eine Wertvolle Aussage. Danke

von Wolfgang (Gast)


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Mathias U. schrieb:
> IN der Schaltung gemessen hat der Kondensator eine Kapazität von 1,64
> µF, was einem Tau von 295 ms entspricht.

Nein, hat der Kondensator nicht.

Um beurteilen zu können, WAS du da gemessen hast, musst du das 
Ersatzschaltbild deiner Schaltung und das Messprinzip deines 
Kapazitätsmessgerätes kennen. Die Kapazität des Kondensators ist das mit 
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.

von Walter T. (nicolas)


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Axel S. schrieb:
> Das sind am Ende die gleichen "Chips" wie die SMD-Bauform. Nur halt mit
> Beinchen dran und einer Kunstharzumhüllung.

Ich hatte vor einigen Jahren ein Bild eines aufgeknackten bedrahteten 
100nF-Kondensators gesehen. Drinnen war ein 0805- oder 
0603-SMD-Kondensator.

von Hugo H. (hugohurtig1)


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https://multimetertests.de/kondensator-messen-mit-multimeter/

Wie kann ich denn erwarten, dass ein Kondensator in einer (unbekannten) 
Schaltung genau so reagiert, wie "pur" gemessen?

: Bearbeitet durch User
von asd (Gast)


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teste mal einen 2u2 mit X7R Keramik und v.a. einer größeren Bauform 
(1206 oder 1812 vielleicht, aber mindestens 0805) mit einer 
Spannungsfestigkeit mind. 3x so groß wie die verwendete Spannung. Ich 
vermute stark dass der sich der dann in deiner Timing Schaltung 
wesentlich harmloser verhält.

von Hp M. (nachtmix)


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Axel S. schrieb:
> Wie verhält es sich mit Sibatit- bzw. Vielschichtkondensatoren?

Nicht anders.
Si steht für eine Münchener Bank mit Elektronikbastelbude, und -batit 
meint Bariumtitanat, das  auch andere Hersteller für Klasse-2 
Dielektrika verwenden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bariumtitanat

von Hp M. (nachtmix)


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Egon D. schrieb:
> Das geht so weit, dass man von einem keramischen Ultraschall-
> transducer nach dem Anlöten von Kontaktdrähten heftig eine
> geballert bekommt. (Kein Märchen, selbst erlebt.)

Es gibt sogar schon recht lange kleine Röntgenstrahlungsquellen auf der 
Basis eines pyroelektrischen Elements, das abwechselnd geheizt und 
gekühlt wird.
Alles zusammen im TO-5 Gehäuse!

von Mathias U. (munter)


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Wolfgang schrieb:
> Mathias U. schrieb:
>> IN der Schaltung gemessen hat der Kondensator eine Kapazität von 1,64
>> µF, was einem Tau von 295 ms entspricht.
>
> Nein, hat der Kondensator nicht.
>
> Um beurteilen zu können, WAS du da gemessen hast, musst du das
> Ersatzschaltbild deiner Schaltung und das Messprinzip deines
> Kapazitätsmessgerätes kennen. Die Kapazität des Kondensators ist das mit
> an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.


Das mag sicher stimmen, aber wenn ich mit dem gleichen Messgerät und dem 
gleichen Kondensator einmal IN der Schaltung einen Wert messe, dann den 
C aus- und wieder einlöte und erneut (mit dem gleichen Messgerät) messe, 
dann ist zumindest doch die relative Änderung erkennbar. Das die 
absoluten Werte abweichen...ist für mich zunächst mal weniger wichtig.

Die Änderung war ja nur das Neu-Löten. (Mal vom Halten der Messspitzen 
abgesehen... :-) )

von Peter D. (peda)


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Mathias U. schrieb:
> Wenn ich daran denke, wie viele Schaltpläne ich schon gesehen habe, in
> denen es um stabile Frequenzen geht und dann waren X7R oder X5R
> Kondensatoren drin...eieiei...

Hast Du dafür mal Beispiele.
Im Audiobereich wird das keine Rolle spielen. Das Ohr ist ein sehr 
schlechtes Meßgerät und sehr schnell gewöhnt es sich an einen bestimmten 
Klang (das sogenannten Einspielen von Lautsprechern).
In Lautsprecherboxen werden oft bipolare Elkos als Frequenzweiche 
genommen und die haben auch recht hohe Toleranzen.

von Pandur S. (jetztnicht)


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Bei Kondensatoren sollte man erst mal den Anwendungszweck definieren. 
Will man zB Ladung laenger speichern, als Integrator, sollte man des 
geringen Leckstromes wegen auf Folien gehen.

Ein bekannter Spezialist has das mal auf die Spitze getrieben. Suche den 
Kondensatortyp mit minimalstem Leckstrom und wie misst man den. Das 
Ergebnis war dann ein Folienkondensator mit speziellem Dielektrikum, 
allenfalls Polypropylen, allenfalls Mylar. Der wird auf zB auf 50V 
aufgeladen, dann wird die Quelle angehaengt. Zum Messen wird ein JFet 
Sourcefolger verwendet, welcher auch auf 50V vorgespannt wird, 
angeschaltet. Das Ganze in getrockneter, thermostatisierter 
Stickstoffatmosphaere. So sampelt man alle Tage einmal die Spannung auf 
dem Kondensator. Nach mehreren Monaten war die Spannung noch nicht 
messbar eingebrochen.

von Oioioi (Gast)


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Sehr interessante Informationen!


Welche Geräte bzw. Systeme sind davon besonders betroffen?

Kann es dann auch vorkommen das angeblich defekte ausgetauschte Geraete 
zur Reparatur nur mal eben in die Klimabox gesteckt und aufgeheizt 
werden um wieder funktionsfähig gemacht zu werden?

von Markus N. (Firma: ---) (dlr)


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Ich kann die das Verhalten von MLCCs bestätigen. Bei mir geht es um 
Funksender, die ca. 15 bis 20 Jahre alt sind. Die Problematik hier ist, 
dass schon geringe Abweichungen zur Nichtfunktion führen, da die zu 
übertragende Signalsequenz dann falsch codiert wird.

Bei mit geht es allerdings nicht um Abweichungen im uF Bereich, sondern 
um Abweichungen im 0,1 bis 0,5 pF Bereich.

Leider ist es in meinem Fall so, dass die Lötstellen an Chips aufgrund 
mechanischer Belastung Risse bekommen und das die Taster verschleißen 
und dann prellen.

Natürlich kann ich die betroffenen Bauteile ersetzen, aber sobald ich 
sie mit Heissluft auslöte, haben die schon einen anderen Wert. Und wenn 
ich das neue Bauteil einlöte und nicht genau das Temperaturfenster 
treffe, hat es auch nicht den exakt benötigten Wert. D.h. manchmal 
funktioniert die Schaltung wie sie soll und dann wieder nicht.

Ich frage mich, wie und ob ich sowas mit manuellen Löten überhaupt in 
den Griff bekommen kann. Ich habe nur eine relativ einfache Lötstation. 
Bei meiner alten (nominal 35 W Lötkolben) hat das nachlöten eigentlich 
ganz gut funktioniert. Jetzt habe ich eine Neue (für die alte bekomme 
ich keine Ersatzteile mehr) und das nachlöten funktioniert gar nicht 
mehr. Löttemperatur messe ich mit Temperaturmessgerät – die ist so 
eingestellt, dass ich gerade etwas über dem Schmelzpunkt des Lötzinn 
liege, um die Bauteile so wenig wie möglich zu erhitzen. Ich verwende 
natürlich passendes Flux etc.

Wäre ein Reflow der gesamten Platine mit exakter Zeit- und 
Temperatursteuerung eine Möglichkeit? Die MLCC Hersteller geben die 
Parameter ja in den Datenblättern an. Leider habe ich kein Equipment, um 
das mal testen.

Hat jemand Tipps / Erfahrungswerte?

: Bearbeitet durch User
von ater erus (Gast)


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Altes 35W Gut, neues aber nicht? Brauchst du vielleicht laenger beim 
neuen? Ich wuerde an deiner stelle mehr Sorgen machen um die Zeit zum 
loeten und nicht so sehr die Temperatur. Gerade ueber dem Schmelzpunkt 
heist ja das man laenger braucht. Und je laenger desto tiefer die Waerme 
im Bauteil eindringt.

von Lurchi (Gast)


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Die meisten MLCC vertrage höhere Temperaturen beim löten recht gut. Die 
"besseren" mit soft termination sind ggf. etwas empfindlicher. Die 
Kondensatoren sind meist so klein, dass man über die Zeit nicht viel 
ausrichten kann. D.h. mit einem heißen Lötkolben kommt die Wärme innen 
an.

Die Veränderung der Kapazität gibt es vor allem bei X7R und ähnlichen 
Klasse 2 MLCCs. Da hilft auch vorsichtiges löten nichts. Die Erholung 
nach dem löten ist da normal, dazu kommt die Spannungsabhängigkeit.

Für Präzise Kapazität sollte es schon C0G/NP0 oder ähnliches sein. Da 
kann es über mechanische Spannungen einen kleinen Effekt geben. Schon um 
Risse zu vermeiden sollte man die Spannungen klein halten, d.h. nicht zu 
große, getrennte Pads, Biegebereiche am PCB vermeiden und auch eher 
große Bauformen wie 1206 wenn möglich vermeiden.

von Peter D. (peda)


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Markus N. schrieb:
> Abweichungen im 0,1 bis 0,5 pF Bereich.

Das würde ich dann als Designfehler bezeichnen.
So kleine Änderungen wirst Du schon durch die Menge des Lotes und die 
Form der Lötstelle haben. Du brauchst ein Abgleichelement zur Korrektur.

von Soul E. (Gast)


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Peter D. schrieb:

> So kleine Änderungen wirst Du schon durch die Menge des Lotes und die
> Form der Lötstelle haben. Du brauchst ein Abgleichelement zur Korrektur.

Oder eine Großserie, wie z.B. im Automobilbereich. Bei einem 
Funkschlüssel wäre individueller Abgleich unbezahlbar, da muss der 
Prozess stabil sein. Beim Einrichten entsteht natürlich Schrott, aber 
das ist in der Summe immer noch günstiger als später jede Platine 
nochmal anzufassen.

von Jörg W. (dl8dtl) (Moderator) Benutzerseite


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Soul E. schrieb:
> Bei einem Funkschlüssel wäre individueller Abgleich unbezahlbar, da muss
> der Prozess stabil sein.

Aber den legt man dann auch nicht so aus, dass es auf 0,5 pF ankommt.

von Harald W. (wilhelms)


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Ach Du grüne Neune schrieb:

> Welcher Kondensatortyp (bis 100nF) verhält sich am stabilsten?
> Hat da jemand Erfahrung?

Solche Information entnimmt man normalerweise dem Datenblatt des
jeweilogen Kondensators. Mit Erfahrung hat das wenig zu tun.

von Jörg W. (dl8dtl) (Moderator) Benutzerseite


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Harald W. schrieb:
> Solche Information entnimmt man normalerweise dem Datenblatt des
> jeweilogen Kondensators.

Harald, das war vor 1,5 Jahren.

von Ach Du grüne Neune (Gast)


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Harald W. schrieb:
> Mit Erfahrung hat das wenig zu tun.

Ja, aber damit nicht jeder ins Datenblatt schauen muss, kann man das 
doch hier erörtern. Dafür ist dieser Thread doch da!

Axel S. schrieb:
> Einer, bei dem das Dielektrikum stabil ist (du sagst leider nicht,
> "stabil" bezüglich welcher Einflußfaktoren). Keramik hat potentiell die
> größte Drift mit Temperatur und Spannung. Bei Folie sind die
> Unterschiede bezüglich dieser Parameter viel geringer.
> Stabile Keramik (NP0 bzw. C0G) sehe ich bei Reichelt als Vielschicht
> bedrahtet bis 47nF.

Und da habe ich nämlich schon die nächste Frage: Behalten NP0 
Kondensatoren auch nach 10 Jahren noch ihre Kapazität, oder unterliegen 
sie einem hohen Alterungskoeffizienten?

So wie ich das verstehe, sind NP0 Kondensatoren stabil gegen Temperatur- 
und Spannungsänderungen!

Aber auch gegen Alterung?

von Jörg W. (dl8dtl) (Moderator) Benutzerseite


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Ach Du grüne Neune schrieb:
> Behalten NP0 Kondensatoren auch nach 10 Jahren noch ihre Kapazität, oder
> unterliegen sie einem hohen Alterungskoeffizienten?

"Gefühlt" sind die sicher auch in dieser Hinsicht stabiler als ihre 
X-irgendwas-Kollegen – aber auch da braucht es wohl einen Blick ins 
Datenblatt in dem Moment, wo man sich auf die entsprechende Angabe 
verlassen möchte.

von Wolfgang (Gast)


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Markus N. schrieb:
> Bei mit geht es allerdings nicht um Abweichungen im uF Bereich, sondern
> um Abweichungen im 0,1 bis 0,5 pF Bereich.

Und wie groß ist die Kapazität bzw. wie hoch ist die relative 
Abweichungen?

von Werner H. (werner45)


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Also, meine ganz alten Keramikkondensatoren, Röhrchen oder Scheiben, 
halten ihre Kapazität auch nach Jahrzenten auf 0,5 pF ein, unabhängig 
von der NPx.

von Markus N. (Firma: ---) (dlr)


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Hallo,

vielen Dank für die vielen Antworten und Ideen.

ater erus schrieb:
> Altes 35W Gut, neues aber nicht? Brauchst du vielleicht laenger beim
> neuen? Ich wuerde an deiner stelle mehr Sorgen machen um die Zeit zum
> loeten und nicht so sehr die Temperatur. Gerade ueber dem Schmelzpunkt
> heist ja das man laenger braucht. Und je laenger desto tiefer die Waerme
> im Bauteil eindringt.

Altes ist 2 Jahre alt und natürlich temperaturgeregelt. Vom Design her 
aber älter. Sicher nicht zu vergleichen mit modernen Lötstationen von 
JBC o.ä. Importeur ist nicht in der Lage passende Ersatzteil zu liefern.

Ich verwende für die MLCCs ein relativ aggressives Flux, um zusätzlich 
die Temperatur runterzubekommen. Lötdauer zwischen 1 und 2 Sekunden. 
Nicht länger. Laut Datenblatt der meisten Hersteller sollte das beim 
Nachlöten in Ordnung sein. Zuviel Temperatur oder zu lange verändert 
definitiv den Kapazitätswert nachhaltig. D.h. auch nach einer langen 
Abkühlphase hat sich der Wert verändert.

Soul E. schrieb:
> Oder eine Großserie, wie z.B. im Automobilbereich. Bei einem
> Funkschlüssel wäre individueller Abgleich unbezahlbar, da muss der
> Prozess stabil sein. Beim Einrichten entsteht natürlich Schrott, aber
> das ist in der Summe immer noch günstiger als später jede Platine
> nochmal anzufassen.

Bereich wurde richtig erkannt. Hier geht es um Massenproduktion. Warum 
die die Schaltungen teilweise so idiotixxx ausgelegt haben, erschließt 
sich mir auch nicht. Vermutlich Rotstiftvorgaben.

Jörg W. schrieb:
> Aber den legt man dann auch nicht so aus, dass es auf 0,5 pF ankommt.

Schön wäre es. Man muss es aber auch in Summe sehen. Daher auch die Idee 
evtl. mal einen Reflow der gesamten Platine mit exakt definierter 
Temperatur, Dauer und Rampung zu versuchen, damit alle Bauteile die 
gleiche Wärme im gleichen Zeitfenster abbekommen. Ich weiß nicht, ob das 
sinnvoll ist oder nicht. Habe mit solchen Prozessen einfach keine 
Erfahrung.

Lurchi schrieb:
> Die Veränderung der Kapazität gibt es vor allem bei X7R und ähnlichen
> Klasse 2 MLCCs. Da hilft auch vorsichtiges löten nichts. Die Erholung
> nach dem löten ist da normal, dazu kommt die Spannungsabhängigkeit.

Die Erholung kann ich bestätigen. Man sollte gerade älteren MLCCs nach 
dem auslöten Zeit lassen. Die Werte verändern sich nach meiner Erfahrung 
noch etwas.

Harald W. schrieb:
> Solche Information entnimmt man normalerweise dem Datenblatt des
> jeweilogen Kondensators. Mit Erfahrung hat das wenig zu tun.

Ja, allerdings sind die Angaben der Hersteller unterschiedlich. Und wenn 
man nicht ganz genau weiß was von welchem Hersteller in welcher 
Spezifikation verbaut wurde, ist es nicht so ganz einfach.

von Wolfgang (Gast)


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Markus N. schrieb:
> Und wenn man nicht ganz genau weiß was von welchem Hersteller in welcher
> Spezifikation verbaut wurde, ist es nicht so ganz einfach.

Dann hat man schlicht und einfach ein ISO9000-Problem.

von Markus N. (Firma: ---) (dlr)


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Wolfgang schrieb:
> Dann hat man schlicht und einfach ein ISO9000-Problem.

Ja, bedingt. Es gibt bei älterer Elektronik auch Fälle, wo es den 
Hersteller nicht mehr gibt oder wo das Unternehmen aufgekauft wurde, 
etc. Und wenn Du keine Dokumentation hast und alles über Reverse 
Engineering läuft – und das ist bei den Sachen, die ich repariere leider 
der Fall – dann hilft Dir eine ISO Norm auch nix. ;) Aber grundsätzlich 
hast Du natürlich Recht.

: Bearbeitet durch User
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