Forum: Ausbildung, Studium & Beruf Was spricht gegen Grundlagenforschung?


von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Hallo,

ich habe einige Bewerbungen an Unternehmen und Behörden geschrieben. 
Eigentlich sieht es relativ gut aus, dass ich genommen werde. Die 
Bezahlung und Arbeitsinhalt sind aber eher, naja, völlig uninteressant. 
Das ist eher sowas, was man die nächsten 20 Jahre macht und sich nicht 
weiterentwickelt.

Ich habe dann noch einige Bewerbungen an Forschungszentren und 
Universitäten geschrieben. Da sieht es schon deutlich besser aus: 
bessere Bezahlung, interessant (Grundlagenforschung in der KI), 
Promotionsmöglichkeit, relativ freie Zeiteinteilung, Home-Office. Da 
sieht die Tendenz im Bewerbungsprozess auch relativ gut aus. Offenbar 
sind einige der Institute so organisiert, dass es sogar mehr als eine 
Person gibt, welche sich mit dem Thema auskennt. Ich hatte eine 
Bewerbung abgeschickt und am nächsten Morgen bereits die Einladung zum 
Vorstellungsgespräch.

Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung? Die Stellen sind 
zwar rar, aber es gibt insbesondere in Westdeutschland relativ wenige 
Bewerber. Liegt das nur an der Befristung?

von Im Konzern (Gast)


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Normalerweise ist die Bezahlung auch eher was für Idealisten.

von Horizonterweiterung (Gast)


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Stefan H. schrieb im Beitrag
> Ich hatte eine
> Bewerbung abgeschickt und am nächsten Morgen bereits die Einladung zum
> Vorstellungsgespräch.
> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung?

Die 'Grundlagenforschung' in der KI wurde spätestens vor 20 Jahren 
abgeschlossen. Was jetzt als Forschung verkauft wird, ist lediglich 
Marktadaption unter neuen Buzzwords.

von Bürovorsteher (Gast)


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> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung?
Die unterirdische Bezahlung, was aber ersteinmal egal sein dürfte.
Nach der Einstellung kann dir niemand verbieten, etwas besseres zu 
suchen.

von Michael Gugelhupf (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Das ist eher sowas, was man die nächsten 20 Jahre macht und sich nicht
> weiterentwickelt.

Das man nicht 20 Jahre bleiben muss sondern man einfach wieder wechseln 
kann ist dir schon klar? Arbeitsverträge werden nicht in Blut und dem 
Verkauf der Seele an den Teufel besiegelt.

> Ich habe dann noch einige Bewerbungen an Forschungszentren und
> Universitäten geschrieben.

Hast du in einem anderen Thread nicht gejammert dass du aus dem 
Forschungssumpf raus möchtest? So von wegen keine Zukunft und keine 
Promotionsstelle?

> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung? Die Stellen sind
> zwar rar, aber es gibt insbesondere in Westdeutschland relativ wenige
> Bewerber. Liegt das nur an der Befristung?

Die Bezahlung ist schlecht, die Befristung ist der Killer. Geplante 
Arbeitslosigkeit nach typisch zwei Jahren. Statt sich in Ruhe aus 
ungekündigter Stellung bewerben zu können hat man den Zeitdruck im 
Nacken.

von Personaler2020 (Gast)


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Michael Gugelhupf schrieb:
> Die Bezahlung ist schlecht, die Befristung ist der Killer. Geplante
> Arbeitslosigkeit nach typisch zwei Jahren. Statt sich in Ruhe aus
> ungekündigter Stellung bewerben zu können hat man den Zeitdruck im
> Nacken.

Und deswegen lade ich so gerne WiMis zum Vorstellungsgespräch für eine 
Stelle in unsrer Klitsche ein. Aufgrund ihrer schlechten 
Verhandlungsposition kriegt man die ja so billig und ich kann diese 
Einsparung dann als Grund für meine eigene Gehaltserhöhung vorweisen.

von MaWin (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung

Beamtenähnliches Arbeitsumfeld. Projekte müssen beantragt werden. Ebrn 
oft Befristung und miese Bezahlung. Auch gibt es nur wenige Orte an 
denen man das machen kann. Dein KI mit HimeIffuce ist eher die Ausnahme.

Aber msch,cwenn du willst.

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Michael Gugelhupf schrieb:
> Das man nicht 20 Jahre bleiben muss sondern man einfach wieder wechseln
> kann ist dir schon klar?

Wenn man sich aber ein Karrieredowngrade einlässt, also deutlich weniger 
Bezahlung. Dann ist es sicher schwer wieder hochzukommen.

Michael Gugelhupf schrieb:
> Hast du in einem anderen Thread nicht gejammert dass du aus dem
> Forschungssumpf raus möchtest? So von wegen keine Zukunft und keine
> Promotionsstelle?

Da habe ich mich wohl falsch ausgedrückt. Mich haben nur die 
Rahmenbedingungen angekotzt: Man darf den Quellcode nicht mit anderen 
Forschern austauschen. Auch Literaturhinweise darf ich Leute, die auf 
dem gleichen Gebiet arbeiten nicht geben. Es gibt Mobbing unter den 
Professoren, die am selben Projekt arbeiten. Für Lehre ist kein Geld da, 
also werden Projektmitarbeiter dafür abgezogen. Eigentlich findet keine 
Forschung statt, sondern nur simulierte Produktentwicklung. Es gibt 
keine Zusammenarbeit, sondern eher ein Gegeneinander. - Und mir wurde 
gesagt, das sei überall so oder woanders sogar noch viel schlimmer!

MaWin schrieb:
> miese Bezahlung

Wieso soll die Bezahlung mies sein? - sozialvers. Brutto:    59644.71 €

Viele Firmen in der Umgebung zahlen deutlich schlechter. Teilweise 
zahlen hier einige nur 30k€/a bei 40h/Woche, aber auch nur dann wenn man 
mindestens 5 Jahre Erfahrung mit Java, C#, C++, PHP, Python, NodeJS, 
AMQP, SonarQube, GraphQL, Apache Flink, Salt, div. Datenbanken, 
Tensorflow, PyTorch, Keras, usw. hat..

von Melder (Gast)


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> sozialvers. Brutto:    59644.71 €

Das ist fuer einen (an High-End) entwickelnden Ingenieur in
der Industrie auch eher nuex.

> Java, C#, C++, PHP, Python, NodeJS, AMQP...

Solche Softwarekasper laufen ja auch genug rum.
Deren Arbeitsergebnisse sind von ihrer theoretischen Sicht
auf die Welt gepraegt. Ein Ingenieur wuerde dafuer haeufig
das Wort: Schrott gebrauchen.

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Melder schrieb:
>> sozialvers. Brutto:    59644.71 €
>
> Das ist fuer einen (an High-End) entwickelnden Ingenieur in
> der Industrie auch eher nuex.

Das "High-End" ist doch hier entscheidend, warum setzt du das in 
Klammern. Klar gibt es für einige Leute deutlich höhere Gehälter.

Melder schrieb:
> Solche Softwarekasper laufen ja auch genug rum.
> Deren Arbeitsergebnisse sind von ihrer theoretischen Sicht
> auf die Welt gepraegt. Ein Ingenieur wuerde dafuer haeufig
> das Wort: Schrott gebrauchen.

Ist Software wirklich generell theoretisch und generell Schrott?

Was gibt es denn konkretes, was nicht "Schrott" ist und wo wirklich viel 
besser (wie viel) bezahlt wird? Damit meine ich tatsächlich eine real 
bessere Bezahlung, nicht diese 
90+/h-pro-Woche-ich-brauche-keinen-Urlaub-Jobs.

von Horizonterweiterung (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Die Stellen sind
> zwar rar, aber es gibt insbesondere in Westdeutschland relativ wenige
> Bewerber. Liegt das nur an der Befristung?

Nun ja, Befristung spricht gegen Pläne langfristige Finanzierung 
(Hausbau). Welche Bank gewährt einen 10 Jahres Kredit, wenn nur eine 
Beschäftigung für die nächsten 24 Monate gesichert ist?!

Und oft wird die Zeit an einer Uni zur Ausbildung, aber nicht zur 
Berufserfahrung gezählt. Insbesonders hinsichtlich dem Erwerb von 
Leadership/Führungserfahrung.
Weil einen studentischen/wissenschaftlichen Mitarbeiter kann man nicht 
auf die gleiche Weise 'motivieren' wie einen angestellten 
Industriemitarbeiter.
Erstere sind gewöhnt an 'Dienst nach Vorschrift aka 'Stunden abreißen', 
während Letztere auch mal auf unerwartete Extraaufgaben (Altlasten, 
Showstopper, 'rettungsaktionen') reagieren müßen.

Ein Institutsjob gilt daher oft nur als Option zum 'Überwintern' in 
Krisenzeiten.

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Horizonterweiterung schrieb:
> Weil einen studentischen/wissenschaftlichen Mitarbeiter kann man nicht
> auf die gleiche Weise 'motivieren' wie einen angestellten
> Industriemitarbeiter.

Wie motiviert man die jeweilige Gruppe den? Und warum steht 'motivieren' 
in Anführungszeichen?

> Erstere sind gewöhnt an 'Dienst nach Vorschrift aka 'Stunden abreißen',
> während Letztere auch mal auf unerwartete Extraaufgaben (Altlasten,
> Showstopper, 'rettungsaktionen') reagieren müßen.

Das stimmt so nicht. Ich kenne WiMa, die viele Extraaufgaben wahrnehmen 
und sich wirklich einsetzen.

Aber, wenn das die allgemeine Situation ist, was machen dann die Leute 
mit intrinsischer Motivation? Also die, die sich wirklich für 
Grundlagenforschung interessieren?

In der Industrie werden solche Stellen eher selten sein und wenn es sie 
gibt, dann darf nicht publiziert werden. Man hat beim Wechsel nichts 
vorzuweisen.

Im ÖD werden Forschung und Lehre irgendwie ein wenig arrogant als unnütz 
abgetan. Da dreht sich alles um Projektanträge, Scheinkooperation, also 
alles was nach außen hin gut aussieht. Professoren halten keine 
Vorlesungen mehr, weil sie ja schließlich dafür - nach ihrer Aussage - 
kein Geld bekommen. Sie stehen zwar im Vorlesungsplan, weil es 
Vorschrift ist. Die Vorlesungen halten jedoch Mitarbeiter.

von Chef vong KMU (Gast)


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Melder schrieb:
> Solche Softwarekasper laufen ja auch genug rum.
> Deren Arbeitsergebnisse sind von ihrer theoretischen Sicht
> auf die Welt gepraegt. Ein Ingenieur wuerde dafuer haeufig
> das Wort: Schrott gebrauchen.

Ein Ingenieur würde mir erst mal ein paar Maxwell Gleichungen 
hinschreiben und mir erzählen wie viel er doch gelernt hat im Studium 
während mein Java Entwickler die Software schon fertig gemacht hat!!

von Melder (Gast)


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> während mein Java Entwickler die Software schon fertig gemacht hat!!

Diese Javakasper schreiben einen solchen Schrott, der erstmal
100 Gig Errorlog mit Stacktraces fuellt und nach Stunden dann
vielleicht so etwas wie eine brauchbare Ausgabe oder UI anzeigt.
Wenn dein Javakasper das besser kann. Pures Glueck.

Der Ingenieur loest davon unbeeindruckt seine Aufgabe.
Wenn es sein muss mit dem Taschenrechner!

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Melder schrieb:
> Diese Javakasper schreiben einen solchen Schrott, der erstmal
> 100 Gig Errorlog mit Stacktraces fuellt und nach Stunden dann
> vielleicht so etwas wie eine brauchbare Ausgabe oder UI anzeigt.

Wenn der "Javakasper" seinem Vorgesetzten sagt: "Da muss ich noch einige 
Unittests hinzufügen und alle Sonderfälle abdecken.", bekommt er sicher 
die Antwort: "Fehlerfreie Software gibt es sowieso nicht und wenn der 
Dreck abstürzt können wir unseren Kunden bald wieder ein Update 
verkaufen. Das sind zwei Fliegen mit einer Klappe: Kosten in der 
Entwicklung gespart und dann noch viel Geld für Updates und Support 
einstreichen."

von G.Ast (Gast)


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Können Sie auch in Java programmieren?
Klar, wenn Sie die Reisekosten übernehmen.

Vielen Dank, wir melden uns.

von Claus W. (Gast)


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Grundlagenforschung war in Deutschland und Österreich in den 20-ger 
Jahren. Seitdem wurde zwar auch viel erfunden, aber seltsame Sachen:

- AIDS kam mit der Verfügbarkeit von modernem Labor-Equipment auf ...
- Atomkern-Quarks, Photonen und Neutrinos, nur als Indizien sichtbar
- Wasserstoffautos mit Energieverlust von 75%
- Klimagas CO2 mit Luftanteil von 1 tausendstel sowie dessen Besteuerung
- Rentnersyndrom als psychische Erkrankung
- Statistiken über Tumorheilung
- Harvard-Hirntod für die Organentnahme
- Landen auf Mond und Mars

Seitdem die Atombombe fertig ist, arbeiten viele Physiker in ganz 
anderen Gebieten als in der Physik: Banken, Unix-Admin, Politiker, 
Embedded-Kontroller, Physik Museum Schloss Freudenberg in Wiesbaden. 
Während man viel Fantasie für die Anwendung der Physik braucht (alles 
ist schon entdeckt) so scheint die Ausbildung der Physiker doch ihren 
Ausstoß nicht zu senken, Lehrkräfte sind reichlich vorhanden und warten 
auf der Nachrückliste. Bei meinem eigenen Beruf (Informatiker) sieht es 
nicht besser aus. Eher schlimmer: Deutschland importiert diese Produkte 
nur. Wäre vielleicht mal eine Idee: Erfinderplattform. Was könnte man 
erfinden: Ein Geschäftsmodell um Firmen wie www.bundestag.de, 
www.xing.com oder www.opel.de von IPV4 auf IPV6 mit Freelancerprojekten 
umzustellen. Da sollte man am besten Vorkasse anbieten. Auch 
www.monster.de: Zeigt ein lila  Untier das den Bewerber einschüchtert 
(nenne mir zwei Schwächen) und wendet selbst nur IPV4 an.

von ExForscher (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung? Die Stellen sind
> zwar rar, aber es gibt insbesondere in Westdeutschland relativ wenige
> Bewerber. Liegt das nur an der Befristung?

Die Befristung.
Die Bezahlung.
Publizieren ist brotlos.
Grundlagenforschung ist hart.
Man kann jahrelang das "falsche" erforschen.
Die Befristung.
Die nervigen Nebentätigkeiten (Projektakquise/Betreuungen).
Die eingeschränkten Mittel.
Die fehlenden Fördermittel für eigene Ideen.
Die Bürokratie.
Nannte ich schon Befristung?

von Pandur S. (jetztnicht)


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> Seitdem die Atombombe fertig ist, arbeiten viele Physiker in ganz
anderen Gebieten als in der Physik: Banken, Unix-Admin, Politiker,
Embedded-Kontroller, Physik Museum Schloss Freudenberg in Wiesbaden.
Während man viel Fantasie für die Anwendung der Physik braucht (alles
ist schon entdeckt)

Ein unlimitierter Schwätzer..

von Jemin K. (jkam)


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Da ich unter anderem auch im akademischen Bereich unterwegs bin, kann 
ich Dir sagen, was gegen Wissenschaft sprechen KANN. Ob das für Dich so 
ist, mag fraglich sein:

- Jobs sind befristet. Unbefristete Stellen sind Einhörner. Solange Du 
nicht "drin" bleiben willst, ist das eventuell kein Problem
- Eine Doktorarbeit ist extrem stressig. So Bullshit wie Homeoffice 
kannst Du da, je nach Betreuer, vergessen. Du wirst Dich u.U. drei Jahre 
lang fragen, wieso Du so dumm warst, da mitzumachen. Das ist ein Risiko, 
aber nicht jeder ist unzufrieden.
- Die Forschung an sich ist vermutlich relativ nutzlos auf kurze Sicht, 
was einen jetzt nicht so zum Praxisspezialisten macht. Auch hier: muss 
nicht sein!
- Es wimmelt von Narzissten und psychopathisch veranlagten Chefs, denn: 
der (subjektiv) hohe Status der Jobs, insbesondere Professuren, zieht 
diese Leute magisch an. Zudem müssen sie im Prinzip nicht effizient 
sein. Nur "gut genug". Viel geht über Glück, Beziehungen und Blendwerk 
("Bullshit"). Woran ein Unternehmen in einem Jahr Pleite geht, das geht 
in der Wissenschaft jahrelang gut. Zustände, die fette Gerichtsprozesse 
in der Wirtschaft verursachen würden, sind kein Problem in der 
Wissenschaft.
Zudem grassiert Datenfälscherei und Schönrechnerei: am Ende steht ein 
Paper, kein Produkt wo ein Kunde testet ob es wirklich gut ist.


Suggested reading:
https://www.buzzfeed.com/de/pascalemueller/star-wissenschaftlerin-max-planck-gesellschaft-mobbing
https://www.zeit.de/2018/53/tania-singer-ruecktritt-empathie-meditationsforschung
https://blogs.sciencemag.org/pipeline/archives/2019/10/28/graduate-abuse
https://www.laborjournal.de/editorials/1580.php

*Nachtrag: Schöner Fall von einem Bekannten aus der Ecke 
Informatik/Mathe: seine Betreuerin hat ihn solange schikaniert, bis er 
zusammengebrochen ist und in die Psychiatrie kam. Danach verliert sich 
seine Spur. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Immer schön für die 
Angehörigen... Und er war kein Einzelfall im Bezug auf die Nervenklinik.
Anderer Fall von Kollegen: Arbeitsgruppe bekommen, Institut in 
Geldschierigkeiten gekommen, Mitarbeiter nach einem Jahr entgegen der 
Zusage nicht verlängert. Jetzt sitzt er allein im Labor und ist 
verzweifelt. Klagt er, gewinnt er in drei Jahren aber bis dahin ist 
seine Karriere durch.
Und noch zwei: Kollegin hat Stelle mit Mittelzusagen für Projekt 
bekommen. Gelder aus EU-Töpfen. Dann hat sich die Univerwaltung 
geweigert, ihre Bestellungen zu bearbeiten, da sie die Rechtsrisiken bei 
den strengen EU-Vergabekriterien nicht übernehmen wollten. Sie musste 
sich dann bei den Kollegen im Umfeld durchschnorren. Nach drei Jahren 
wurde es besser.
Anderer Kollege: Stellenzusage mit Mitarbeiterstellen bekommen, 
zusätzlich "Labore" für die Arbeiten. Hinterher: Stellen sind bereits 
mit existierenden Leuten besetzt, oder halbe Stellen. Hat ja keiner 
gesagt, dass es volle wären oder er frei einstellen dürfte. Die Labore 
stellten sich dann als vollkommen leer heraus. Laboreinrichtung? Hat ja 
keiner zugesagt... Aus Drittmitteln darf man aber keine Einrichtung 
kaufen, sondern nur Projektkosten. Arschkarte.
Und so könnte ich jetzt bis morgen früh weitermachen. Zum Schluss noch 
schönes Beispiel aus der KI: Kollege, Professur bekommen, ein paar 
Stellen, alles reibungslos. (Vorteil da ist: die Leute brauchen nur nen 
PC und nen Tisch mit Stuhl...)

: Bearbeitet durch User
von Jemin K. (jkam)


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Horizonterweiterung schrieb:
> Nun ja, Befristung spricht gegen Pläne langfristige Finanzierung
> (Hausbau). Welche Bank gewährt einen 10 Jahres Kredit, wenn nur eine
> Beschäftigung für die nächsten 24 Monate gesichert ist?!

Habe ich auch gedacht, ist momentan aber meist nicht mehr so. Wenn es 
branchentypisch ist und man nicht grad auf einjährigen Verträgen 
rumeiert.

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Aber muss es denn überall so schlecht laufen?

Mir ist halt intrinsische Motivation wichtig. Ich will gerne auf Arbeit 
gehen und etwas schaffen und weiterkommen.

Ich habe bisher auch einige Berichte frei erfunden, für andere 
Mitarbeiter.

In der privaten Wirtschaft ist die Bezahlung oft deutlich schlechter. Es 
ist stressiger und es gibt zu wenige interessante Stellen, in denen ich 
genommen würde. Bei den interessanten Firmen (Telekom, T-Systems) klappt 
die Bewerbung nicht. Es gibt kaum spannende Tätigkeiten. Das meiste Zeug 
ist irgendwelcher Dienstleistungskram, völlig unspektakulär. Da kommt 
einfach keine intrinsische Motivation auf.

von Jemin K. (jkam)


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Also die intrinsische Motivation meiner Doktoranden lässt meist so nach 
einem halben Jahr nach. Dann folgt das Tal der Tränen, dann wird es 
wieder besser. Sehe ich bei vielen. Wenn Forschung besser zahlt, Du die 
Aufgabe cool findest, ja dann mach es einfach! Notfalls kannst Du Dich 
immer noch wegbewerben! Es läuft nicht immer so schlecht. Sei aber 
unbedingt auf der Hut, mit wem Du Dich einlässt. Frage unbedingt die 
Mitarbeiter in Abwesenheit des Chefs, welchen Führungsstil er hat, was 
sie sich am meisten als Verbesserung wünschen würden etc. (Keine plumpen 
Fragen, wenn der richtig fies ist, traut sich keiner offen zu reden).
Wichtig auch: wie viele seiner Doktoranden sind je fertig geworden? Wie 
lange hat es gedauert, wie hoch war die Abbrecherquote?

von Michael Gugelhupf (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Mir ist halt intrinsische Motivation wichtig. Ich will gerne auf Arbeit
> gehen und etwas schaffen und weiterkommen.

Du suchst Ausreden warum du aus dem akademischen Zirkus nicht heraus in 
die reale Welt willst.

> In der privaten Wirtschaft ist die Bezahlung oft deutlich schlechter.

Das ist einfach Blödsinn. In mehrfacher Hinsicht.

Die Bezahlung für fähige Ingenieure in der Industrie ist deutlich besser 
als der Schmarn nach TV-L.

Geld ist extrinsische Motivation. Warum reitest so drauf rum wenn dir 
intrinsische Motivation so wichtig ist? Was soll's, sogar wenn die erste 
Stelle in der Wirtschaft etwas unterbezahlt ist? Entweder gibt es eine 
Gehaltserhöhung oder du wechselst bei Gelegenheit.

> Es
> ist stressiger

Ja, in der Industrie muss man manchmal für sein Geld arbeiten.

> und es gibt zu wenige interessante Stellen, in denen ich
> genommen würde.

Ja, so ist das, wenn man im akademischen Freizeitpark abhängt. Wenn man 
da wirklich raus will, dann muss man eventuell etwas weiter unten 
anfangen und sich hocharbeiten. Man bekommt es nicht gemalt.

> Bei den interessanten Firmen (Telekom, T-Systems)

Mehr als dass ich dir da widersprechen würde möchte ich nicht sagen.

> Es gibt kaum spannende Tätigkeiten. Das meiste Zeug
> ist irgendwelcher Dienstleistungskram, völlig unspektakulär.

Ja und? Man kann es trotzdem gut und richtig machen. Fast alle 
Ingenieursjobs sind so. Man betriebt keine Wissenschaft sondern setzt 
Wissenschaft in Produkte um, und wenn es ein Kanaldeckel ist.

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Michael Gugelhupf schrieb:
> Du suchst Ausreden

Ja, das kann sein. Bei mir ist Erwerbstätigkeit ziemlich stark mit Angst 
und Depression verbunden. Es ist vor allem die Angst vor der Tretmühle, 
der Lethargie, dem Leistungsdruck und evtl. Schikanen.

Michael Gugelhupf schrieb:
> Die Bezahlung für fähige Ingenieure in der Industrie ist deutlich besser
> als der Schmarn nach TV-L.

Das mag sein. Für unfähige Ingenieure (wie mich) aber eben nicht. Ich 
muss froh sein, wenn ich in der Industrie einen Kaffee-Koch-Job bekomme.

Wo sollte ich mich denn bewerben?

von Arno (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> Was spricht eigentlich gegen (Grundlagen-)Forschung? Die Stellen sind
> zwar rar, aber es gibt insbesondere in Westdeutschland relativ wenige
> Bewerber. Liegt das nur an der Befristung?

...und am Gehalt (teilweise wirklich, teilweise eingebildet). Ich mein, 
ein Einstieg von ca. 50-52k€/Jahr (TVöD E13.1/TV-L E13.1) ist in 
München, Stuttgart oder Hamburg verdammt wenig, in Rostock oder Kiel gar 
nicht verkehrt und irgendwo am Ende der Welt in Görlitz oder Leer 
wahrscheinlich schon ganz gut.

Und viele wollen ein Ergebnis ihrer Arbeit sehen. Eins, das man anfassen 
und verkaufen kann, kein Paper.

Zudem hat man bei öffentlichen Arbeitgebern immer die generellen 
Nachteile großer Arbeitgeber mit am Hacken. Unflexibel, reglementiert, 
zu Tode verwaltet... Probleme, die ein Siemensianer, Postler oder Bahner 
sicher auch kennt.

Wovor ich dich allerdings explizit warnen möchte: 
"Promotionsmöglichkeit" steht zwar gern dran, hat aber in der Praxis 
keinen Wert. Zumindest in den Ingenieurwissenschaften gibt es zwei 
Varianten:

- Halbe Stelle mit Promotionsmöglichkeit - inklusive Promotion voll 
arbeiten, halb bezahlt werden, Promotion dauert 4 Jahre
- Volle Stelle mit Promotionsmöglichkeit - voll arbeiten, Promotion 
eventuell in der Freizeit machen, dauert 6-10 Jahre

Und achte auf Zeiterfassung. 80% der Wissenschaftler in meinem 
Bekanntenkreis arbeiten mehr als im Arbeitsvertrag steht - mit 
Zeiterfassung haben sie wenigstens eine Chance auf Freizeitausgleich 
oder Bezahlung der Überstunden.

MfG, Arno

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Arno schrieb:
> ...und am Gehalt (teilweise wirklich, teilweise eingebildet). Ich mein,
> ein Einstieg von ca. 50-52k€/Jahr (TVöD E13.1/TV-L E13.1) ist in
> München, Stuttgart oder Hamburg verdammt wenig, in Rostock oder Kiel gar
> nicht verkehrt und irgendwo am Ende der Welt in Görlitz oder Leer
> wahrscheinlich schon ganz gut.

In Sachsen haben viele Ingenieure und Informatiker deutlich weniger. 
Teilweise sind es 30k€/Jahr. In meiner Umgebung sind es höchstens 10% 
der Ingenieure/Informatiker, die mehr verdienen als TVL 13.

Wenn ich die relativ hohen Gehälter hier lese (>90k€/Jahr), dann oft nur 
im Zusammenhang mit Automobilkonzern, Standort München und "Überstunden 
mit dem Gehalt abgegolten".

Arno schrieb:
> Und viele wollen ein Ergebnis ihrer Arbeit sehen. Eins, das man anfassen
> und verkaufen kann, kein Paper.

Oder selbst nutzen. Ich will halt am Ende auch ein öffentliches 
GitHub-Repo haben. Idealerweise (Hilfs-)Software etc., welche auch 
andere Forscher nutzen.

Arno schrieb:
> Zudem hat man bei öffentlichen Arbeitgebern immer die generellen
> Nachteile großer Arbeitgeber mit am Hacken. Unflexibel, reglementiert,
> zu Tode verwaltet... Probleme, die ein Siemensianer, Postler oder Bahner
> sicher auch kennt.

Das stimmt zum Teil. Ich habe aber bei den Vorstellungsgesprächen auch 
anderes gehört. Wenn der Vorgesetzte engagiert ist, sorgt er dafür, dass 
die Freiheiten vorhanden sind.

Arno schrieb:
> Wovor ich dich allerdings explizit warnen möchte:
> "Promotionsmöglichkeit" steht zwar gern dran, hat aber in der Praxis
> keinen Wert.

Oft müssen im Arbeitsvertrag 30% der Zeit für die Promotion vorgesehen 
sein. Allerdings sollte es das Thema auch hergeben. Wenn man zu viele 
Themen in den Projekten bearbeiten muss, dass man die Punkte nur abhaken 
kann, ohne sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen, wird das nichts.

Leider fehlt oft das Bedürfnis, sich mit der Sache an sich zu befassen. 
Es geht immer nur darum: Welches Verhalten eines Menschen gibt Hinweise 
auf die Intention? Und dafür wird einfach "irgend ein Neuronales Netz 
genommen und mal schnell ein paar Daten reingeworfen". Es interessiert 
sich keiner für den internen Aufbau und die Zusammenhänge. - Dadurch 
ergibt sich keine Forschungsfrage für KI-Forschung, wenn die KI nur die 
Bildverarbeitung übernimmt.

von Bachus (Gast)


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> Wo sollte ich mich denn bewerben?
Beim Psychiater

von Qwertz (Gast)


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Stefan H. schrieb:
> In Sachsen haben viele Ingenieure und Informatiker deutlich weniger.
> Teilweise sind es 30k€/Jahr.

Die meinen dann aber das Nettoeinkommen oder wollen dich auf den Arm 
nehmen.

Stefan H. schrieb:
> Wenn ich die relativ hohen Gehälter hier lese (>90k€/Jahr), dann oft nur
> im Zusammenhang mit Automobilkonzern, Standort München und "Überstunden
> mit dem Gehalt abgegolten".

Nö, die gibt es auch ohne die drei genannten Randbedingungen. IG Metall 
Disneyland mit 40h-Vertrag genügt.

von Sebastian S. (amateur)


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Ich denke, das ist eine Frage der Einstellung!
Da gibt es etliche Pferdefüße!

Klar, dass der Verdienst nicht überragend ist, siehst Du schon im 
Arbeitsvertrag. Klar, dass die Zeit meist beschränkt ist steht auch 
dort. Von den vielen, unbezahlten Überstunden, steht da aber nichts. 
Höchstens verklausuliert: Sind nicht vorgesehen. Aber Du darfst gerne 
länger da bleiben.

Aus meiner Sicht ist aber der größte Nachteil: In dem zugehörigen 
Indianerstamm gibt es nur einen Häuptling. Der hat immer recht - sogar 
wenn er Unrecht hat und geht was schief, so sind praktisch immer die 
anderen daran schuld.
Ist der Häuptling umgänglich, so kommt das ganze einem Lottogewinn 
gleich (wenn auch nicht im monetären Sinne). Ist er es nicht, so kannst 
Du Dir nur durch eine Kündigung helfen und Dir bei der Gelegenheit auch 
gleich Deinen Werdegang versauen.

von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Stefan H. schrieb:
> Oder selbst nutzen. Ich will halt am Ende auch ein öffentliches
> GitHub-Repo haben. Idealerweise (Hilfs-)Software etc., welche auch
> andere Forscher nutzen.

Wieso sollte ich so jemanden einstellen und dem auch noch Geld dafuer 
zahlen?
Da bin ich doch lieber "anderer Forscher" und nutze sein GitHub-Repo 
einfach so read-only ;-)

SCNR,
WK

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Dergute W. schrieb:
> Wieso sollte ich so jemanden einstellen und dem auch noch Geld dafuer
> zahlen?
> Da bin ich doch lieber "anderer Forscher" und nutze sein GitHub-Repo
> einfach so read-only ;-)

Weil der Arbeitgeber eben Enthusiast ist. Es soll Menschen geben, welche 
wirklich Interesse an der Sache haben und etwas beitragen wollen. 
Außerdem bringt es Reputation.

Einige der AG, bei denen ich mich beworben habe, unterstützen sogar 
dieses Vorgehen.

von Dergute W. (derguteweka)


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Stefan H. schrieb:
> Es soll Menschen geben, welche
> wirklich Interesse an der Sache haben und etwas beitragen wollen.

Ja, klar. Es soll auch Einhoerner geben, die Regenboegen furzen 
koennen...

SCNR,
WK

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Dergute W. schrieb:
> Ja, klar. Es soll auch Einhoerner geben, die Regenboegen furzen
> koennen...

Eigentlich bin ich ja hier für das Verbreiten negativer Botschaften 
zuständig, aber diesmal muss ich das Gegenteil tun:

https://nextcloud.com/de/jobs/
https://www.hzdr.de/db/!Publications?pNid=head&pSelMenu=0&pSelTitle=19331
https://www.tu-chemnitz.de/informatik/KI/projects/ANNarchy/
https://github.com/tine20/tine20
https://github.com/ansible/awx

: Bearbeitet durch User
von Dergute W. (derguteweka)


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Ja und? Wenn das alles sooo toll ist, warum machste dann hier trotzdem 
alle paar Tage einen neuen Jammer- und Winselthread auf?

SCNR,
WK

von Stefan H. (Firma: dm2sh) (stefan_helmert)


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Dergute W. schrieb:
> Ja und? Wenn das alles sooo toll ist, warum machste dann hier trotzdem
> alle paar Tage einen neuen Jammer- und Winselthread auf?

Das liegt einfach an meiner Persönlichkeit. Ich bin jemand, der sich 
jammer- und winselmäßig fühlt. Ich bin Deutscher, also habe ich ein 
Recht auf Angststörungen und depressive, negative Gedanken. Damit 
erfülle ich nicht nur die Rolle eines Pessimisten, sondern auch die 
eines Realisten. ;)

Beitrag #6161536 wurde von einem Moderator gelöscht.
von Todd (Gast)


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Deine mudda spricht gegen Grundlagenforschung digga.

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