Forum: HF, Funk und Felder Frage zu S-Parameters


von Georg (Gast)


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Hallo,

ich habe eine Verständnisfrage zu S-Parametern:
In Wikipedia steht 
(https://de.wikipedia.org/wiki/Streuparameter#Allgemeines), dass die 
einfallenden und auslaufenden Wellen wie folgt definiert sind:

und

Das verstehe ich soweit auch, aber meine Fragen sind nun:
1) sind
 und
 komplexe Größen oder ist es nur der Betrag der Spannung bzw. des 
Stromes?
2) sind die Beträge von sind
 und
, also sind
 und
 die Effektivwerte oder die Spitzenwerte der Spannung bzw. des Stromes?

Vielleicht gibt es ja jemand wissendes hier, der etwas Licht ins Dunkel 
bringen kann?
Vielen Dank im Voraus!

Gruß,
Georg

von Georg (Gast)


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Ohnein, die Formel sind ja voll durcheinander... tut mir Leid, ich 
hoffe, ich wisst trotzdem was gemeint ist. Wie kann ich das korrigieren?

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Ich glaube, um das zu erklären muss man etwas ausholen:

Die Aussagen im Wikipedia-Artikel gelten im Zusammenhang mit TEM-Wellen 
auf Leitungen. Das setzt insbesondere voraus, dass es eine TEM-Mode auf 
der betrachteten Leitung gibt und man somit an jedem Ort Strom und 
Spannung definieren kann (für Hohlleiter gilt das z.B. nicht); 
S-Parameter sind aber durchaus allgemeiner.

Die Orts- und Zeitabhängigkeit von Spannung u(z,t) und Strom i(z,t) auf 
einer solchen Leitung folgt dem Gleichungssystem
wobei R,G, C und L Leitungsparameter sind. Wenn man nun Orts- und 
Zeitabhängigkeit separiert, d.h.
mit den komplexen ortsabhängigen Amplituden U(z) und I(z), vereinfacht 
sich das zu
Eine allgemeine Lösung davon ist
mit der Ausbreitungskonstanten γ, die man mithilfe des Gleichungssystems 
durch die Leitungsparameter ausdrücken kann. Die Lösung ist eine 
Überlagerung aus einer in positive z-Richtung laufenden Welle mit 
Amplitude U_+, und einer in negativer z-Richtung laufenden Welle mit 
Amplitude U_-; analog für I_+ und I_-. Aus dem Gleichungssystem bekommt 
man dann den Zusammenhang
wobei Z die Leitungsimpedanz ist, und die Näherung für große ω gilt. 
Ferner sieht man, dass
also
diesen Zusammenhang brauchen wir gleich.

Hat man nun ein n-Tor mit derartigen Leitungen an den Toren, und läuft 
am Tor Nummer i die Welle mit komplexer Amplitude U_i+ ein (positive 
z-Richtung wird als einfallend gezählt), und läuft die Welle mit 
komplexer Amplitude U_i- aus, so ist der S-Matrixelement S_ij definiert 
als

Das beantwortet nun Deine Fragen: Die S-Parameter sind primär nicht 
durch die am Tor anliegenden Spannungen bzw. Ströme definiert, sondern 
durch die komplexen Amplituden der einfallenden bzw. auslaufenden Wellen 
inkl. ihrer Phasenlage am Ort des Tores. D.h. U_i- und U_i+ sind wie 
oben komplexe Größen.

Ob nun
sich auf den Scheitelwert oder den Effektivwert beziehen, ist reine 
Konvention und für die Definition der S-Parameter als Quotienten der 
Amplituden von Wellen irrelevant.

Den Zusammenhang mit den im Wikipedia-Artikel erwähnten Wellengrößen 
bekommt man folgendermaßen: Sind die Tore i und j ohne Beschränkung der 
Allgemeinheit bei z=0, so gilt mit dem oben hergeleiteten Zusammenhang
womit der S-Parameter durch die Spannungs- und Stromamplituden (inkl. 
Phasen, d.h. die Größen sind komplex) an den Toren ausgedrückt ist, wie 
im Wikipedia-Artikel. Der Zähler des linken Bruchs ist dann bis auf 
einen Faktor 1/sqrt(Z) per Definition die Wellengröße (wave quantity, 
keine Ahnung, wie das auf Deutsch heißt) b_j, und der Nenner a_i, d.h.

: Bearbeitet durch User
von Volker M. (Gast)


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Ich würde empfehlen, zum Verständnis der S-Parameter mal kurz die Ströme 
und Spannungen zu vergessen und sich auf die Formulierung über Wellen 
einzulassen. Das macht es mMn deutlich einfacher, den Umgang mit 
S-Parametern zu verstehen.

Eine brauchbare Darstellung wäre sowas hier in Kapitel 2:
http://wwwlehre.dhbw-stuttgart.de/~srupp/DHBW_Lab_NT/LNT_V8_S_Parameter.pdf

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Volker M. schrieb:
> Ich würde empfehlen, zum Verständnis der S-Parameter mal kurz die Ströme
> und Spannungen zu vergessen und sich auf die Formulierung über Wellen
> einzulassen. Das macht es mMn deutlich einfacher, den Umgang mit
> S-Parametern zu verstehen.

Richtig, deswegen habe ich das ja auch so länglich aufgeschrieben und 
hergeleitet, wie man von der Definition mit Wellengrößen zu der 
Darstellung mit Strömen und Spannungen am Tor kommt. Letzteres setzt 
voraus, dass solche Größen überhaupt existieren, wie bei TEM-Moden.

Mario H. schrieb:
> Ob nun Ui+,Ui−,Ii+,Ii−
> sich auf den Scheitelwert oder den Effektivwert beziehen, ist reine
> Konvention und für die Definition der S-Parameter als Quotienten der
> Amplituden von Wellen irrelevant.

Dazu noch eine Anmerkung: Wenn man mit u(z,t) und i(z,t) wie oben 
anfängt, beziehen sich die komplexen Amplituden U(z) und I(z) zunächst 
auf die Scheitelwerte. Mit den Wellengrößen
ist dann
wobei P_i- und P_j+ die Leistungen der aus- und einlaufenden Wellen in 
Port i und j sind. Nimmt man Effektivwerte in der obigen Definition von 
b_i und a_j, dann fällt der Faktor 2 weg. Die Definition der S-Matrix 
ist davon aber unabhängig.

von Weg mit dem Troll (Gast)


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Uebertranungsfunktionen sind bekannt ?
Nun, die S-Parameter sind verallgemeinderte Uebertragungsfunktionen.

S21 ist die bisherige Uebertragungsfunktion, S12, die inverse, auf die 
andere Seite rein, S11 ist das Eintorverhalten. Was kommt am Eingnagstor 
zurueck, S22 dasselbe fuer's Ausgangstor. Was kommt dort zurueck.

Und ja, natuerlich sind diese Funktionen komplexwertig.

von Georg K. (georg94)


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Hallo Mario und Volker,

Danke für die hilfreichen Antworten, das hat mir sehr weiter geholfen. 
Mein Problem war, dass ich zwar die hin- und rücklaufenden 
Spannungswellen z.B. von der Telegraphegleichung 
(https://de.wikipedia.org/wiki/Leitungsgleichung) kannte, es aber nicht 
geschnallt habe, dass gilt:
. Die letzten beiden Gleichheitszeichen habe ich nicht gesehen/gewusst. 
Danke, jetzt habe ich richtig was gelernt!

Eine Frage hätte ich noch, nicht zu den S-Parametern direkt, sondern zu 
den Leistungswellen
 die Mario oben eingeführt hat, im Fall dass an Tor 1 stimuliert wird (= 
Quelle mit Innenwiderstand Ri angeschlossen). Welche Bedeutung haben 
diese Leistungswellen auf die, im Innenwiderstand Ri und der Quelle 
selbst, umgesetzte Leistung? Wenn ich das richtig verstehen, dann ist 
P_1+ die Leistungswelle die von der Quelle in das Tor hineinläuft und 
P_1- die am Tor reflektierte Leistungswelle die dann zur Quelle 
zurückläuft und ihre Leistung wird im Innenwiderstand "verheizt"?
Wie kann man die Verlustleistung in Ri durch P_1+ und P_1- ausdrücken?

: Bearbeitet durch User
von Volker M. (Gast)


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Mario H. schrieb:
> Richtig, deswegen habe ich das ja auch so länglich aufgeschrieben und
> hergeleitet, wie man von der Definition mit Wellengrößen zu der
> Darstellung mit Strömen und Spannungen am Tor kommt. Letzteres setzt
> voraus, dass solche Größen überhaupt existieren, wie bei TEM-Moden.

Ja, du hast meine Bewunderung für den Umgang mit dem Formeleditor hier, 
aber didaktisch fand ich es ungeschickt (unnötig) so weit auszuholen.

Man könnte auch einfach daran erinnern, daß S-Parameter das LINEARE 
Verhalten des Netzwerks beschrieben und insoweit der Wert von Strom bzw. 
Spannung nicht relevant ist. Es kommt definitionsgemäß pegelunabhängig 
das gleiche Ergebnis heraus, also egal ob man mit Effektivwert oder 
Spitzenwert rechnet.

Georg K. schrieb:

> im Fall dass an Tor 1 stimuliert wird (=
> Quelle mit Innenwiderstand Ri angeschlossen). Welche Bedeutung haben
> diese Leistungswellen auf die, im Innenwiderstand Ri und der Quelle
> selbst, umgesetzte Leistung? Wenn ich das richtig verstehen, dann ist
> P_1+ die Leistungswelle die von der Quelle in das Tor hineinläuft und
> P_1- die am Tor reflektierte Leistungswelle die dann zur Quelle
> zurückläuft und ihre Leistung wird im Innenwiderstand "verheizt"?
> Wie kann man die Verlustleistung in Ri durch P_1+ und P_1- ausdrücken?

Die an der Last reflektierte Welle läuft zurück zur Quelle. 
Mehrfachreflektion lassen wir mal weg, die Quelle sei an die Leitung 
angepasst.
Je nach Länge der Leitung ergibt sich eine bestimmte Phasenlage der 
reflektierten Welle und daraus eine komplexe Lastimpedanz, die auf die 
Quelle wirkt und die Verlustleistung in der Quelle bestimmt.

Du wirkst bemerkt habe, daß ich mit keinen Wort auf LEISTUNGSwellen 
eingeganzen bin. Bei den S-Parameter arbeiten wir mit Spannungswellen, 
das exotische Konzept der Leistungwellen erzeugt auch beim 
fortgeschrittenen HF-Fachpublikum regelmässig lebhafte Diskussionen.

Bezogen auf deine Fragestellung: Bei Totalreflektion an der Last ist 
|S11|=1, aber ob die rücklaufende Welle an deinem Generator zu einem 
Kurzschluß, Leerlauf oder einer anderen induktiven/kapazitiven Last 
führt hängt dann auch von der Leitungslänge ab. Entsprechend gibt's auch 
keine allgemeingültige Antwort.

von Volker M. (Gast)


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Ergänzung: Um das resultierende S11 am Ort der Quelle in die Leitung hin 
zu berechnen muß also auch die Leitung mit ihren S-Parametern 
berücksichtigt werden. Das ist soweit auch einfach.

Ich wollte darstellen, daß anschauliche Überlegungen zu 
"Leistungswellen" kein geeignetes Konzept sind, um deine Fragestellung 
zu beantworten.

von Mario H. (rf-messkopf) Benutzerseite


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Volker M. schrieb:
> aber didaktisch fand ich es ungeschickt (unnötig)

Wie bekommt man denn den Zusammenhang zwischen den Spannungen und 
Strömen am Tor und den ein- und auslaufenden Wellen ohne Verwendung der 
Leitungsgleichung?

> Man könnte auch einfach daran erinnern, daß S-Parameter das LINEARE
> Verhalten des Netzwerks beschrieben und insoweit der Wert von Strom bzw.
> Spannung nicht relevant ist.

Das ist richtig. Wobei ich eher sagen würde, dass wenn das Netzwerk 
linear ist, dann der Pegel der Anregung nicht relevant ist. Mann kann 
z.B. S_21 durchaus auch in Abhängigkeit des Pegels der Anregung am Tor 1 
darstellen und dem Ergebnis nichtlineare Eigenschaften wie den 
Kompressionspunkt entnehmen. Machen neuzeitliche VNA auch automatisch.

Georg K. schrieb:
> Leistungswellen

Die Leistungen P_1+ und P_1- sind einfach die Leistungen der ins Tor 1 
ein- und auslaufenden Wellen. Der Grund für die Einführung der 
Wellengrößen a_j und b_i ist, dass der Zusammenhang
gilt, d.h. man bekommt aus a_j und b_i einfach die Leistungen der 
zugehörigen Wellen. Das hätte ich wohl dazu sagen sollen, ansonsten ist 
die Existenz der a_j und b_i etwas unmotiviert, da für die Definition 
der S-Matrix nicht erforderlich. Siehe 
Beitrag "Re: Frage zu S-Parameters".

> Welche Bedeutung haben
> diese Leistungswellen auf die, im Innenwiderstand Ri und der Quelle
> selbst, umgesetzte Leistung?

Wie Volker ja schon sagte gibt es in diesem Bild zunächst einmal nur das 
Objekt mit den n Toren, bei dem ein Tor mit einer Welle beaufschlagt 
wird, und das diese dann reflektiert, absorbiert und an den anderen 
Toren transmittiert. Eine Quelle ist nicht Gegenstand der Definition der 
S-Parameter. Man kann allerdings mithilfe der S-Parameter eines n-Tores 
berechnen, was in verschiedenen an das n-Tor angeschlossenen Quellen 
oder Lasten passiert.

Der Zusammenhang der Impedanz Z_i des Tores i mit S_ii ist allerdings 
einfach gegeben durch

von Pandur S. (jetztnicht)


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Das Ganze ist viel einfacher wie es erscheint. Einfach mal die 
Definitionen anschauen.

Dann muss man noch wissen das ein Reflexionsfaktor bedeutet.

von Georg K. (georg94)


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Hallo zusammen,

Danke für die weiteren Erläuterungen. Ich bin nun etwas schlauer und 
muss jetzt in der Praxis weitere Erfahrungen mit S-Parametermessungen 
sammeln. Bei konkreten Problemen würde ich dann wieder hier im Forum 
fragen.

Die Erklärungen waren aber hilfreich, vor allem war es gut, dass Mario 
so tief ins Detail gegangen ist.

Viele Grüße,
Georg

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