Ich hätte eine relativ grundlegende Frage zum Thema reale Operationsverstärker. Und zwar geht es darum was passiert, wenn ich nicht mehr von einer unendlich hohen Leerlaufverstärkung ausgehe. Wenn ich das richtig verstanden habe dann ist die Leerlaufverstärkung der Quotient aus Ausgangsspannung ein Eingangsdifferenzspannung. Also kann ich, wenn ich von einer endlichen Verstärkung ausgehe, plötzlich nicht mehr die idealisierte Annahme treffen, dass die Differenzeingangsspannung gleich null ist. Wir haben in der Vorlesung immer per Superposition zuerst die idealisierte Schaltung berechnet, dann die Auswirkung der Bias Ströme und dann den Anteil der Offsetspannung. Ist die Offsetspannung dann der Anteil, der mir quasi die nicht idealisierte Leerlaufverstärkung einbringt oder haben die zwei Sachen nichts miteinander zu tun? Und muss ich bei der Berechnung der Bias Ströme auch auf die endliche Verstärkung Rücksicht nehmen? Ich hoffe ich konnte meine Verwirrtheit einigermaßen verständlich ausdrücken und wäre über jede Hilfe dankbar.
Jocobes S. schrieb: > Ist die Offsetspannung dann der Anteil, der mir quasi > die nicht idealisierte Leerlaufverstärkung einbringt oder haben die zwei > Sachen nichts miteinander zu tun? Beide sind unabhängig voneinander, und beide tragen ihren Teil dazu bei, dass die Differenzspannung am Eingang von 0 abweicht. Jocobes S. schrieb: > Und muss ich bei der Berechnung der > Bias Ströme auch auf die endliche Verstärkung Rücksicht nehmen? Nö, die endliche Leerlaufverstärkung spielt bei der Betrachtung des input bias stroms keine Rolle. Die verschiedenen nichtidealen Eigenschaften, die du aufgezählt hast, werden alle unabhängig voneinander berechnet und dann überlagert. Die Spannungsverstärkung der Schaltung spielt hingegen schon eine Rolle, weil der Offset und evtl. der Spannungsfehler durch den input bias strom mitverstärkt werden.
Danke für die rasche Antwort! Achim S. schrieb: > Nö, die endliche Leerlaufverstärkung spielt bei der Betrachtung des > input bias stroms keine Rolle. Die verschiedenen nichtidealen > Eigenschaften, die du aufgezählt hast, werden alle unabhängig > voneinander berechnet und dann überlagert. Also heißt das Superposition mit Stromquellen für Bias Ströme und Spannungsquelle am Eingang füpr die Differenzspannung? Wie nehm ich dann aber die endliche Leerlaufverstärkung da mit rein?
Der Unterschied "endliche" zu "unendliche" Leerlaufverstärkung dürfte Dein geringstes Problem sein, weil die allermeisten Anwendungen gar nicht im "Leerlaufbetrieb" also ohne Gegenkopplungsnetzwerk auskommen. Ist der OP beispielsweise für 10dB Spannungsverstärkung beschaltet, so wird die bias-Strom(differenz) real mit diesen 10dB verstärkt am Ausgang erscheinen der Verstärkungsverlust der "nur" endlichen Leerlaufverstärkung tritt aber nicht mehr in Erscheinung. Desweiteren: Jeder AC-Verstärker hat ein bestimmtes maximales gain-bandwith-product, hat er mehr Verstärkung, dann liefert er dafür weniger Bandbreite und umgekehrt. Ein theoretischer Betrieb mit unendlich hoher Verstärkung hätte demnach auch eine sehr niedrige höchste Ausgangsfrequenz, nämlich nahe Null. Auch daher kommt das in der Praxis kaum vor.
Nichtverzweifelter schrieb: > Ein theoretischer Betrieb mit unendlich hoher Verstärkung Das hat der TO ja offenbar nicht vor. Sondern er möchte wissen, wie sich die endliche Leerlaufverstärkung auf den (normalen) Betrieb mit Rückkopplung auswirkt. (im Vergleich zu anderen, nichtidealen Eigenschaften des OPV) Jocobes S. schrieb: > Wie nehm ich dann > aber die endliche Leerlaufverstärkung da mit rein? Wie gesagt: du nimmst sie gar nicht mit rein. Sondern du kannst sie für sich allein genommen berechnen und dann ebenfalls überlagern. Nehmen wir den nicht-invertierenden Verstärkung, der mit dem Faktor k_r zurückgekoppelt ist ( k_r=R1/(R1+R2) ). Beim idealen OPV ist die Spannungsverstärkung dieser Schaltung A_U = 1/k_r und die Differenzspannung am Eingang ist U_d=0. Beim OPV mit endlicher Leerlaufverstärkung A_L ist die Spannungsverstärkung etwas reduziert: A_U=1/(k_r+1/A_L). Bei niedrigen Frequenzen und üblichen Verstärkungsfaktoren der Schaltung geht das aber immer in der Toleranz der Rückkopplungswiderstände unter. Die Differenzspannung am Eingang ist dann nicht mehr U_d=0 sondern U_d = U_A/A_L = A_U/A_L*U_E (U_A: Ausgangsspannung U_E: Eingangsspannung) Wenn du zwischen den beiden Eingängen des OPV nachmisst, wird dieses U_d zusätzlich zur Offsetspannung sichtbar. Interessant ist die Betrachtung der endlichen Leerlaufverstärkung aber kaum bei niedrigen Frequenzen sondern bei höheren Frequenzen, wenn die Leerlaufverstärkung entsprechend abnimmt. Wenn du z.B. Filter entwirfst wird es für deren tatsächliche Übertragungsfunktion interessant, wie viel Schleifenverstärkung bei den interessanten Frequenzen noch "übrig" ist. Und die Schleifenverstärkung sinkt, wenn die Leerlaufverstärkung sinkt.
Achim S. schrieb: > Beim OPV mit endlicher Leerlaufverstärkung A_L ist die > Spannungsverstärkung etwas reduziert: A_U=1/(k_r+1/A_L). Bei niedrigen > Frequenzen und üblichen Verstärkungsfaktoren der Schaltung geht das aber > immer in der Toleranz der Rückkopplungswiderstände unter. Wie kommst du zu dieser Spannungsverstärkung? Du hast oben geschrieben nach Überlagerungsprinzip? Das ist nämlich leider genau der Punkt an dem ich hänge. Setz ich da irgendwo eine Spannungsquelle hin? Achim S. schrieb: > Interessant ist die Betrachtung der endlichen Leerlaufverstärkung aber > kaum bei niedrigen Frequenzen sondern bei höheren Frequenzen, wenn die > Leerlaufverstärkung entsprechend abnimmt. Wenn du z.B. Filter entwirfst > wird es für deren tatsächliche Übertragungsfunktion interessant, wie > viel Schleifenverstärkung bei den interessanten Frequenzen noch "übrig" > ist. Und die Schleifenverstärkung sinkt, wenn die Leerlaufverstärkung > sinkt. Ganz schön komplex das alles, immer diese Faust momente wenn man neue Dinge lernt ;)
Diagramme der open-loop-gain über der Frequenz fndest Du in den Datenblättern jedes Herstellers, quasi eine Standardangabe. Den Gleichspannungsfehler am Ausgang kriegt man kleiner, wenn das Gegenkopplungsnetzwerk für Gleichstrom unterbrochen wird. Die übliche Gegenkopplung besteht zunächst mal aus einem Widerstands-Spannungsteiler. Unterbricht man diese Spannungsteilung für reine Gleichspannung durch Einfügen eines Kondensators bei dem Teilerwiderstand Richtung Masse, dann wird die eingestellte Verstärkung für reine Gleichspannungen gleich eins. Der Op damit vom Verstärker (seiner DC-bias an den Eingängen) zum simplen Nur-noch-Folger, der DC Offset am Ausgang wird also nicht wesentlich grösser als am Eingang vorhanden. Weiteste Verbreitung in der Praxis.
Jocobes S. schrieb: > Wie kommst du zu dieser Spannungsverstärkung? Du hast oben geschrieben > nach Überlagerungsprinzip? Das ist nämlich leider genau der Punkt an dem > ich hänge. Setz ich da irgendwo eine Spannungsquelle hin? Die Quelle gehört nicht irgendwo hin. Oben hatte ich geschrieben, dass es bei dieser Formel um einen nicht-invertierenden Verstärker geht, bei dem die Signalquelle am Plus-Eingang liegt. Die endliche Leerlaufverstärkung ergibt für deine Verstärkerschaltung einen Verstärkungsfehler (keinen Offsetfehler). Der Fehlerbeitrag hängt also von der Eingangsspannung U_E ab. Den Fehlerbeitrag kannst du also jeweils nur für einen bestimmten Wert von U_E angeben, wohingegen z.B. ein konstanter Offsetfehler in erster Näherung unabhängig von U_E wäre. (Wobei bei vielen rail to rail OPV die Offsetspannung nicht konstant ist sondern auch wieder deutlich von der Eingangsspannung abhängt). Ich hab dir im Anhang mal die Herleitung der oben genannten Formel skizziert. Wie schon gesagt: für statische Fehler betrachtet man das praktisch nie, weil der kleine Verärkungsfehler in den Widerstandstoleranzen untergeht. Dass man eine Signalverstärkung verwendet, die bei DC nahe an die Leerlaufverstärkung ranreicht, kommt praktisch nie vor. Deshalb ist für die Betrachtung der DC-Fehler der Spannungsoffset und ggf. der input bias strom sehr viel wichtiger. Interessant kann es bei höheren Frequenzen werden, weil dort die kritische Konstellation (A_U(f) in der Größenordnung von A_D(f) ) ggf. erreicht werden kann. Also wenn man eine frequenzabhängige Rückkopplung und die frequenzabhängige Leerlaufverstärkung in die Formel einsetzt. Wenn du z.B. einen aktiven Bandpass baust und die Dämpfung der hohen Frequenzen irgendwann nicht mehr so dolle ist, weil die Schleifenverstärkung (aufgrund der sinkenden Leerlaufverstärkung) bei diesen Frequenzen zu klein wird.
Wow, danke für ausführliche Erklärung und die beigelegte Rechnung, das macht Sinn jetzt. Einmal muss ich noch lästig sein: Achim S. schrieb: > Dass man eine Signalverstärkung > verwendet, die bei DC nahe an die Leerlaufverstärkung ranreicht, kommt > praktisch nie vor. Deshalb ist für die Betrachtung der DC-Fehler der > Spannungsoffset und ggf. der input bias strom sehr viel wichtiger. Warum ist, wenn die gewählte Signalverstärkung deutlich unter der Leerlaufverstärkung liegt die betrachtung der endlichen Leerlaufverstärkung nicht relevant? Da hab ich nicht ganz folgen können. edit: Noch was ist aufgekommen. Wenn ich jetzt zum Beispiel deinen nicht invertierenden Verstärker durchrechne, mit Bias Strömen, Offset, etc., brauche ich dann die Differnezspannug UD bei jedem Superpositionsschritt oder nur bei betrachtuing der Eingangsspannung?
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Jocobes S. schrieb: > Warum ist, wenn die gewählte Signalverstärkung deutlich unter der > Leerlaufverstärkung liegt die betrachtung der endlichen > Leerlaufverstärkung nicht relevant? Da hab ich nicht ganz folgen können. Schau dir nochmal die letzte Formel meiner Herleitung an (in diesem Beitrag nochmal angehängt): wenn 1/A_D viel kleiner ist als R1/(R1+R2), dann spielt es in der Addition im Nenner keine Rolle mehr. Bei "üblichen" Spannungsverstärkungen und niedrigen Frequenzen (wo A_D noch nicht stark abgesunken ist), ist das typisch der Fall (die Toleranzen der Widerstände haben dann einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Formel als der Term 1/A_D, der geht in der Berechnung unter). Jocobes S. schrieb: > edit: > Noch was ist aufgekommen. Wenn ich jetzt zum Beispiel deinen nicht > invertierenden Verstärker durchrechne, mit Bias Strömen, Offset, etc., > brauche ich dann die Differnezspannug UD bei jedem Superpositionsschritt > oder nur bei betrachtuing der Eingangsspannung? Ich fürchte, ich verstehe nicht wirklich, was diese Zusatzfrage genau meint. Deswegen versuche ich es mal mit einer "allgemeinen" Antwort. Üblicherweise zerlegt man bei der Fehleranalyse die möglichen Fehler in einzelne Bestandteile und betrachtet diese für sich. Für die statische Abweichung von der gewünschten Ausgangsspannung meinetwegen den Offset und die bias-Ströme des OPV (samt Innenwiderstand der Signalquellen). Für den Verstärkungsfehler die Widerstandstoleranzen und meinetwegen die endliche Leerlaufverstärkung. Fürs Rauschen die spekralen Rauschleistungsdichten von OPV und von den Widerständen. Für Linearität/Verzerrungen die eventuell im Datenblatt gefundenen Angabe zu THD... bei einer bestimmten Anwendung. ..... Klar kann man auch versuchen, alle möglichen Fehlereffekte "auf einmal parallel" zu betrachten. Das wird dann aber sehr aufwändig und ist oft eher eine Sache von Monte Carlo Simulationen als von einer exakten Berechnung auf Papier.
Achim S. schrieb: > Schau dir nochmal die letzte Formel meiner Herleitung an (in diesem > Beitrag nochmal angehängt): wenn 1/A_D viel kleiner ist als R1/(R1+R2), > dann spielt es in der Addition im Nenner keine Rolle mehr. Ah perfekt, macht Sinn, danke Dir! Achim S. schrieb: > Ich fürchte, ich verstehe nicht wirklich, was diese Zusatzfrage genau > meint. Deswegen versuche ich es mal mit einer "allgemeinen" Antwort. Im Prinzip wollte ich genau was du vorgeschlagen hast, die einzelnen Fehlerquellen aufteilen. Ich hab das so gelernt, dass man für die endliche Leerlaufverstärkung eine Spannung Ud einzeichnet die eben nicht mehr 0V ist. Die Frage ist ob ich das per Superposition so behandeln kann, dass ich eben einmal meine Ausgangsspannung infolge der Eingagsspannung und dem Ud ausdrücke und dann bei der seperaten Betrachtung der Auswirkung der Biasströme auf den Ausgang wieder davon ausgehe, dass die Differenzspannung 0V beträgt. Ein Kollege hat das nämlich so gerechnet, dass er die Differenzspannung ungleich null bei jedem Superpositionsschritt mitgeschleft hat und für mich macht das so eigentlich keinen Sinn.
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