Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik IEC-61000-3-2 welche ist die aktuelle Ausgabe?


von Alexander (Gast)


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Hi

Ich bin ein wenig verwirrt, wie man die ganzen verschiedenen 
Ausführungen der Richtlinien / Normen versteht.

Unser Produkt soll EMV seitig der Norm IEC 61000-3-2 entsprechen.

Soweit, so gut. Nun möchte ich diese Norm gerne kaufen, um die Grenzen 
einzusehen.

Allerdings bin ich unsicher, welche Version geltend ist. Ich sehe eine 
2018 Ausgabe mit einem 2020 Anhang, und eine 2019 Ausgabe. Aber 
anscheinend ist die 2014 Ausgabe die einzige, die "harmonisiert" ist und 
deshalb verwendet werden darf bezüglich EMV Zulassung?

https://webshop.ds.dk/da-dk/standard/ds-en-iec-61000-3-22019

"Bemærk: Denne standard er endnu ikke harmoniseret, og giver derfor ikke 
formodningsret. Indtil harmonisering af denne standard er opnået, kan 
følgende benyttes:

DS/EN 61000-3-2:2014"

Übersetzt: bisher ist nur die 2014 Version harmonisiert, alle aktuelle 
Ausgaben (2019 und 2020) sind nicht harmonisiert.

Mag mich jemand aufklären, wie die Zusammenhänge sind?

Vielen Dank,
Alexander

von Hans W. (Firma: Wilhelm.Consulting) (hans-)


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Mit harmonisierten Normen hast du die Konformitätsvermutung, falls alle 
Aspekte deines Produktes abgedeckt sind.

Aktuelle Liste findest du hier:
https://ec.europa.eu/growth/single-market/european-standards/harmonised-standards/electromagnetic-compatibility_en

Die dort angegeben Ausgabedaten bezieht sich auf die Cenelec Dokumente 
(https://www.cenelec.eu/).

Dummerweise haben die Mitgliedsstaaten teilweise andere Ausgabedaten 
(z.B. erscheinen die deutschen Übersetzungen etwas später). 
Üblicherweise steht am Deckblatt drauf, ob die im Mitgliedsland 
verwendete Ausgabe Änderungen zur EN enthält (die müsstest du 
berücksichtigen - kommt aber in der EMV so gut wie nie vor) und welche 
Cenelec Ausgabe zugrunde liegt.

Für die EMV brauchst du nur den Stand der Technik berücksichtigen.
Mindestanforderung ist die harmonisierte Ausgabe.

Ist dein Produkt nicht vollständig abgedeckt, musst du z.B. in den 
neueren Ausgaben nach Anforderungen suchen. Zumindest zu den Phänomenen, 
die in den Generics (61000-6-x Serie) beschrieben sind musst du 
Anforderungen haben (es sei denn, die Produkt Norm sagt explizit, dass 
du nichts einhalten musst).

Ich geh' normalerweise den pragmatischen Weg: Ich nehme die neueste für 
die Prüfung und liste die Änderungen zur harmonisierten auf.
Normalerweise ergibt sich aus der Änderung automatisch auch eine 
Begründung, warum die neueren Anforderungen sinnvoller sind.

Nach ein paar Jahren, wenn dann die neuere Ausgabe harmonisiert ist, 
musst du normalerweise ohnehin die Änderungen heraus suchen und ggf. 
nachprüfen.

So umgehst du das und hast länger Ruhe :)

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von Carsten S. (dg3ycs)


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Hi,

Alexander schrieb:
> Allerdings bin ich unsicher, welche Version geltend ist. Ich sehe eine
> 2018 Ausgabe mit einem 2020 Anhang, und eine 2019 Ausgabe. Aber
> anscheinend ist die 2014 Ausgabe die einzige, die "harmonisiert" ist und
> deshalb verwendet werden darf bezüglich EMV Zulassung?

Das ist nicht ganz so trivial...
Aktuell ist die EN IEC 61000-3-2:2019
(Egal ob da jetzt DIN, DS oder welcher (EU-nationaler) Vorsatz vorsteht)
Diese basiert auf der IEC-61000-3-2:2018

Harmonisiert ist die EN IEC 61000-3-2:2014
(Für die noch eine Übergangsfrist bis Anfang Q1/2022 gilt)

Welche der Normen du nun Anwenden musst/kannst hängt jetzt davon ab nach 
welcher Richtlinie / welchen Richtlinien die Geräte in den Verker 
gebracht werden sollen und dann ggf. welches 
Konformitätsbewertungsverfahren (Anhang II) dabei zum Einsatz kommen 
soll.

Stichworte: Konformitätsvermutung vs. notified Body

Im Normalfall ist man beim Verfahren über den notified Body "freier" in 
der Wahl nach welchen Standrd man sich richtet als bei der 
Markteinführung über die Konformitätsvermutung, wo man BEI DEN MEISTEN 
PRODUKTRICHTLINIEN strikt die harmonisierten Normen anwenden MUSS.
Dafür ist das Verfahren über den NB komplexer und vor allem sehr viel 
TEURER (das war ja das Problem bei Auslaufen der Übergangsfrist zur 
RED. Die Übergangsfrist drohte auszulaufen, es gab aber keine Liste der 
harmonisierten Normen. Damit wären nur noch Geräte Marktfähig gewesen 
die über das Verfahren mittels NB in den Markt gebracht worden wären. 
Vom Finanzeinsatz abgesehen vor allem Problematisch das die NBs schon 
vorher durch die Umstellung bei den bisherigen Kunden bereits ziemlich 
Über... ÄH Ausgelastet waren.

Es gibt aber Ausnahmen bei Verpflichtung zur strikten Anwendung der 
HArmonisierten Normen: In der EMV Richtlinie ist eine solche Ausnahme 
beispielsweise enthalten.
Wenn man da von der harmonisierten Norm abweichen will, dann muss man 
begründen wie man die grundlegenden Anforderungen trotzdem einhalten 
will. Inkl. der angewandten technischen Standards.

IMHO sollte es somit also ausreichen wenn man bei der technischen 
Dokumentation Erklärt das man statt die harmonisierte Norm ´:2014 
anzuwenden auf den überarbeiteten AKTUELLEN Standard ´:2019 zurückgreift 
der vermutlich in zukunft harmonisiert wird und in jeder hinsicht den 
aktuellen Stand der Technik wiederspiegelt.
Wodurch davon ausgegangen werden kann das die Grundlegenden 
Anforderungen der Richtlinie eingehalten werden.

So würde ICH es zumindest machen wenn ich vor dem Problem stehen "würde" 
;-).

BTW: Wenn es nur um die Grenzwerte geht: Hier im Forum wurde schon öfter 
mal der WEbshop der Normenstelle eines der baltischen Staaten 
veröffentlicht. Dort sind die meisten EN Normen in englischer Sprache 
und ERHEBLICH günstiger als beim DIN oder dem dänischen Shop erhältlich.
Teilweise 1/3 bis 1/4 des Preises!
In den meisten Fällen unerheblich, da die Differenz des Zahlbetrages im 
Rauschen untergeht und selbst bei normalerweise des englischen gut 
mächtigen Personen der Zeitvorteil beim lesen und verstehen der 
Muttersprachlichen Norm die paar Euro mit der ZEit überwiegt.

Aber wenn man mit Budgetvorgaben zu kämpfen hat oder bei kleineren 
Betrieben wo man die Norm nur braucht um mal ein paar Grenzwerte zu 
haben und nicht als "echte Arbeitsnorm", dann kann das schon Sinn 
machen.

Oder jemand hat die Norm vorliegen und kann mal nachsehen wenn du genau 
sagst WAS du brauchst.

Gruß
Carsten

P.S.: Zur Einordnung
Die (Mit-)Arbeit an Konformitätsbewertungsverfahren, gehörte bei meinem 
bisherigen AG (Büro letzten Freitag geräumt...) zu meinen Aufgaben, und 
wird wohl auch ab Morgen bei meinem neuen AG zu den Aufgaben gehören...

von Hans W. (Firma: Wilhelm.Consulting) (hans-)


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Carsten S. schrieb:
> Im Normalfall ist man beim Verfahren über den notified Body "freier" in
> der Wahl nach welchen Standrd man sich richtet als bei der
> Markteinführung über die Konformitätsvermutung, wo man BEI DEN MEISTEN
> PRODUKTRICHTLINIEN strikt die harmonisierten Normen anwenden MUSS.

Das interessiert mich jetzt (ich bin im Bereich EMV in der IEC und 
Cenelec involviert - es interessiert mich daher wirklich!).

MD, LVD, EMCD und RED sind mir gut bekannt.
Überall hast du in den allermeisten Fällen die Möglichkeit alles selbst 
zu machen (selbst in der RED brauchst du für EMV nichts harmonisiertes).

Ich bin daher eigentlich davon ausgegangen, dass das der Normalfall ist 
und nur eher spezielle Dinge wie Medizinprodukte einen NB brauchen...

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von Carsten S. (dg3ycs)


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Hi,

Hans W. schrieb:
> MD, LVD, EMCD und RED sind mir gut bekannt.
> Überall hast du in den allermeisten Fällen die Möglichkeit alles selbst
> zu machen (selbst in der RED brauchst du für EMV nichts harmonisiertes).
>
> Ich bin daher eigentlich davon ausgegangen, dass das der Normalfall ist
> und nur eher spezielle Dinge wie Medizinprodukte einen NB brauchen...

Ich komme tatsächlich aus dem Bereich MD ;-)
(Produkte der Risikoklassen I, Im und IIa)

Daher muss ich bestimmte Diskussionen, die manche Marktteilnehmer in 
ihrem ganzen Berufsleben mit etwas Glück nie führen müssen, durchaus 
öfter bei den stichprobenartigen Prüfungen der Dokumente mal führen.

Ich denke das ein nennenswerter Teil des untenstehenden dir sicher 
bekannt ist, ich schreibe das jetzt nur etwas ausführlicher damit auch 
Dritte dem zumindest teilweise folgen können:

Du musst unterscheiden zwischen expliziten und impliziten 
regulatorischen Anforderungen:

Bei den MD ist die Beteiligung eines NB in der einen (QS) oder anderen 
Form (Baumusterprüfung) für alle Produkte mit einer Risikoklasse > I 
(also auch Im) EXPLIZIT in der Richtlinie vorgeschrieben.

In den anderen von dir zitierten Richtlinien ist die Beteiligung eines 
NB in der Norm nicht explizit gefordert. Aber wenn man von den 
harmonisierten Normen abweicht ergibt sich ein rechtssicherer Nachweis 
der Erfüllung der grundlegenden Anforderungen nur durch die Beteiligung 
eines NB.
Die Beteiligung des NB ergibt sich somit implizit durch die 
wirtschaftliche Notwendigkeit von Rechtssicherheit.

Es gibt die grundlegenden Anforderungen in den Normen die erfüllt werden 
müssen. Erst dann darf das Produkt in den Markt gebracht werden.
Die Einhaltung dieser grundlegenden Anforderungen muss im Zweifelsfall 
durch den Produzenten vollständig NACHGEWIESEN/BEWIESEN werden.

Zu jeder Anforderung gibt es dann die harmonisierten Normen mit deren 
Einhaltung man die Erfüllung der jeweiligen Anforderung sicherstellt.
Hat man zu jeder grundlegenden Anforderung die jeweils harmonisierten 
Normen im vorgegebenen Umfang vollständig angewendet löst das die 
"Konformitätsvermutung" aus.

Die Konformität des Produktes gilt als nachgewiesen so lange keine 
Abweichungen mit den harmonisierten Normen festgestellt wird.

Weicht man jetzt aber von den harmonisierten Normen ab, so muss bei 
Beanstandungen der Produzent nachweisen das die von ihm ergriffene 
Maßnahme (Konformität mit einer anderen Norm, andere Maßnahmen im 
Ergebnis eines entsprechenden Risk-Management Verfahrens) ebenso 
geeignet sind die Konformität mit den  grundlegenden Anforderungen 
sicherzustellen.

Und dieser Nachweis ist der Knackpunkt!
Denn dieser Nachweis kann nur über die vollständige Anwendung der 
harmonisierten Normen, die Einschaltung eines NB oder wenn es dann hart 
auf hart kommt durch die Einschaltung eines Sachverständigen in einem 
Gerichtsverfahren geführt werden.

In der Praxis hängt vieles natürlich auch davon ab "wie" man von den 
Anforderungen abweicht. Wendet man nur eine neuere Version der Norm an 
ist das noch relativ unkritisch, zumal diese ja in der Regel 
weitestgehende Übereinstimmung mit der Vorversion hat und die 
allermeisten Abweichungen zur Vorversion auch noch Verschärfungen sind 
(Übererfüllung der Anforderung).
Das gilt insbesondere für den Fall das die Möglichkeit des Verweises auf 
den einen oder anderen als dem jeweils aufgeführten harmonisierten 
Standard explizit in dem jeweils angewendeten 
Konformitätsbewertungsmodul aufgeführt ist. Das dürfte jede 
Aufsichtsbehörde zufriedenstellen und so gut wie jeder Anwalt in einem 
Schadensersatzprozess wird das als aussichtsloses Argument erkennen. 
(ISt aber nur meine persöhnliche Meinung)

Lässt man jedoch Teile der harmonisierten Norm weg oder weicht auf 
Standards aus die von den harmonisierten Abweichen hat man ein 
erhebliches Risiko. Sowohl im Bezug auf Haftungsfragen falls etwas mit 
dem Gerät passiert als auch wirtschaftliche Risiken im Bezug auf ein 
Vertriebsverbot (Kapitalvernichtung + Entsorgungskosten) oder wenn es 
ganz dick kommt sogar einem Produktrückruf. Das kann im schlimmsten Fall 
bei kleineren Firmen, selbst wenn die vorher finanziell kerngesund 
waren, bis zu einer Insolvenz führen.

OK, es gibt Fälle wo man nach einer Risikoabwägung dann doch zu dem 
Schluss kommen kann das eine Abweichung von den harmonisierten Normen 
notwendig/Sinnvoll ist, die Beteiligung eines NB aber nicht in Frage 
kommt.

Das kann z.B. ein Startup mit geringen Kapitalbestand und einer 
Haftungsbeschränkten Unternehmensform sein für deren neuartiges Produkt 
aber der Verstoss gegen bestimmte Normabschnitte, da diese Funktion 
bisher nicht berücksichtigt wurde, Funktionsimmanent ist.
Aber wehe wenn die Dokumentation, insbesondere zu der Risikobewertung, 
dann  auch nur leicht lückenhaft ist. Sobald es dann zu Zweifeln an der 
Konformität kommt, ggf. sogar ein Sicherheitsrisiko angenommen wird und 
sich der Verdacht auf grobe Fahrlässigkeit bei den Beteiligten erhärtet, 
dann könnte ein Durchgriff auf das Privatvermögen der Beteiligten nicht 
mehr ausgeschlossen sein.

Gruß
Carsten

: Bearbeitet durch User
von Hans W. (Firma: Wilhelm.Consulting) (hans-)


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Hi Carsten!

Zum "Glück" habe ich bisher diese Art von Produkten bisher nicht 
beackern dürfen... Interessant wär's/ist's trotzdem. :)
Bei Wasserstoff (ATEX) habe ich schonmal etwas in den heikleren Bereich 
reingeschnuppert. Bei der MD war nichts wirklich Kritisches dabei.

Bis auf Kleinigkeiten stimme ich dir jedenfalls zu.
Aber im Grunde würde ich dir auch dort nicht widersprechen, da du ja 
richtigerweise sagst, dass sehr vieles vom eigentlichen Produkt und der 
tatsächlichen Abweichung von der Norm abhängt.

Wie gesagt ist mein Bereich die EMV. Die MD kenne ich eigentlich nur 
deshalb, weil EMV bei der funktionellen Sicherheit ein Thema ist.

Es gibt auch einen weiteren Aspekt, bei dem ich einen NB hinzuziehen 
würde: hohe Stückzahlen!
Hast du einen Schadensfall (zu lesen: falls dein Produkt z.B. bei einem 
Brand irgendwo in irgendeinem Protokoll aufgelistet wird - auch wenn es 
nicht Schuld am Schaden ist) und steht deine NB Nummer am Gerät, bist du 
so zumindest bei der 1. "Erklärungsrunde" schonmal fertig.

Es gibt einfach eine gewisse Anzahl an Fällen bei denen die Arbeitszeit, 
die man zur Rechtfertigung seiner technischen Unterlagen investieren 
muss, die Kosten für den NB übersteigen.

Das selbige gilt für BNetzA, BAKOM,...
Auch wenn alles passt, die Stellungnahme muss trotzdem sauber abgegeben 
werden.
Mit einem NB reicht ein formloser Verweis auf den Bericht bzw. den NB 
selbst.

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von Alexander (Gast)


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Hi,

Nur ein kurzes Feedback für euch:
Ich habe eure Antworten gelesen und danke euch für eure Beiträge, kann 
aber erst morgen (Wochenende) den Inhalt so richtig verdauen.

Das Thema ist noch neu für mich.

Ich melde mich die nächsten Tage, sobald ich mich ein wenig mehr 
eingelesen habe.

Gruß,

von Helmut Kuntz (Gast)


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Die Beantwortung ist recht unkompliziert.

Bei der EMC-RL hat man im Gegensatz zur Funkrichtlinie mehr Freiheit 
bezüglich des Normenstandes.
Ab der als gültig gelisteten, älteste Normausgabe (aktuell Ausgabe 2014 
der EN) gilt die Konformitätsvermutung (Einhaltung der 
Konformitätsanforderungen).
Jüngere Normenstände dürfen ebenfalls verwendet werden, was man bei 
Neuentwicklungen natürlich machen sollte.
Ältere Stände als 2014 sind verfallen (ein Produkt welches nach einem 
älteren Stand qualifiziert ist, darf also nicht mehr neu in Verkehr 
gebracht werden).

Bei der EMC-RL ist bei Abweichungen vom gelisteten Ausgabestand (also 
Verwendung jüngerer Normenstände) keine Einschaltung eines Notified Body 
erforderlich. Diese Forderung gilt nur für die Funkrichtlinie.

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