Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Stromzähler: Messfehler durch Oberwellen


von Tilo R. (joey5337) Benutzerseite


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Hallo Forum,

ich hatte heute einen Termin mit einem Vertriebler, der eine 
Kompensationsanlage verkaufen will, die angeblich eine "fairere" Messung 
macht, mit theoretisch bis zu 28% Ersparnis.

Szenario ist ein Industriebetrieb mit Messung auf Mittelspannungseebene. 
Und die Behauptung ist jetzt, dass die vielen Oberwellen, verursacht 
z.B. durch Umrichter etc., die Leistungsmessung verfälschen.
Das Versprechen ist, mit einer intelligenten Kompensationsanlage und 
toller Steuerungstechnik die Oberwellen auszugleichen, und dadurch soll 
es zur Ersparnis kommen.

Jetzt frage ich mich: wie "schnell" messen denn die Zähler?
Im Gespräch wurde Kompensation "bis zur 9. Oberwelle" erwähnt.

Imho sind dass dann 9x50Hz = 450Hz. Ich kann mir kaum vorstellen dass 
elektronische Mittelspannungs-/Wandlerzähler weniger als 1kHz 
Samplingfrequenz haben. Und bei den Amplituden der Oberwellen kann ich 
mir auch nicht vorstellen, dass da richtig viel Fehler zusammen kommt.

Jetzt die Frage an die Profis: wie genau sind die Zähler?
Mit welchen Samplingfrequenzen wird da gearbeitet?

von hinz (Gast)


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Tilo R. schrieb:
> Mit welchen Samplingfrequenzen wird da gearbeitet?

"The ADE9000 offers an integrated flexible waveform buffer that stores 
samples at a fixed data rate of 32 kSPS or 8 kSPS, or a sampling rate 
that varies based on line frequency to ensure 128 points per line 
cycle."


Lasst euch kein Schlangenöl andrehen!

von Zählermonteur für Sondervertragskunden (Gast)


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Tilo R. schrieb:
> Jetzt frage ich mich: wie "schnell" messen denn die Zähler?

Aus Erfahrung als Zählermonteur kann ich dir sagen, dass das ein oder 
andere Modell da ein wenig höhere Verkehrsfehlergrenzen (VFG) aufweisen 
kann.

Die Rede ist hier von RLM, nicht SLP (Haushalt).

Aber 28% halte ich für maßlos übertrieben! Lass das mal 15% in der 
Spitze sein, wo der Zähler abweicht. Wir haben alle neu eingebauten 
Zähler (auch bei Turnuswechsel) trotz frischer Eichung vor Ort geprüft. 
Ich hatte nur einen der über den 6% VFG war. Die VFG lag schwankend 
zwischen -1% und +22%. Die kleine Firma (15 MA) hatte Schweißgeräte, die 
den cos Phi tatsächlich für wenige Sekunden auf 0,05 gezogen haben. Ich 
wollte dann nochmal mit einem Kollegen hin, weil ich dachte ich wäre zu 
blöd das Messgerät zu bedienen. Sowas extremes hatte ich bisher nur 
einmal in 10 Jahren. Alle anderen Messungen laufen im Mittel ohne 
Probleme oder nennenswerte Abweichung.

Kompensation macht in der Mittelspannung aber durchaus Sinn. Die 
wenigsten Schaltanlagen können größere Blindströme schalten.

von Helge (Gast)


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hinz schrieb:
> 128 points per line cycle
60Hz x 128 = 7680 Messungen pro Sekunde. Abtastraten von 1.000-5.000 
Messungen pro Sekunde sind realistisch. Die idR auftretenden Meßfehler 
kannst du mit einem simplen Netzfilter umgehen. OK simpel aber groß..

Kompensation spart dir nicht wegen Meßfehlern Geld, sondern weil du 
keine Blindleistung mehr bezahlen mußt. Der Vertriebler gehört geschult 
oder gefeuert.

von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


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hinz schrieb:
> Lasst euch kein Schlangenöl andrehen!

Das vermute ich auch.

Früher, als die Wirkleistung kWh 10 Pfennig kostete, die Blindleistung 
kVAh 2 Pfennige, rentierte es sich eine 
Blindleistungskompensationsanlage einzubauen. Das waren ein paar 
Kondensatoren um die induktive Blindleistung vieler Asynchronmotore zu 
kompensieren.

Moderne Zähler können auch die Verzerrungsblindleistungen messen.

Daher würde ich erst einmal auf detaillierte Stromrechnung schauen, ob 
das aufgesplittet ist. Wenn das nicht so ist, würde ich nachsehen, 
welche Pauschalen dort angenommen wurden und die Tarifalternativen 
ansehen.

von Hp M. (nachtmix)


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Dieter D. schrieb:
> Moderne Zähler können auch die Verzerrungsblindleistungen messen.

...und manche machen dabei grausame Fehler.

Offenbar, weil die Entwickler der Firmware so manche Eigenheiten des 
Wechselstroms nicht verstanden haben:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Smart-Meter-messen-oft-falsch-3644942.html

von Wühlhase (Gast)


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Das wollte ich auch gerade einwerfen...

Das Problem ist viel weniger die Abtastrate der AD-Wandler in den 
Meßgeräten, sondern die Signalverarbeitung dahinter. Und da sind dann - 
Eichung hin oder her - absurde Meßfehler möglich und leider auch 
toleriert.

Das Hauptproblem ist, wie so oft, daß eine "Normsituation" vorgegeben 
ist, diese genormte Situation in der Realität so jedoch nicht vorkommt.
Schau dir z.B. mal den Stromverlauf eines modernen Leuchtmittels an: die 
Stromaufnahme hat so rein gar nichts mehr mit einem Sinus zu tun. Nach 
Normen und Vorschriften ist das völlig ok, da es ja nur ein 
Kleinverbraucher von ein paar wenigen zehn Watt ist, so ein kleines 
Dingelchen geht im Rauschen aller anderen Verbraucher (Kaffeemaschine, 
Wasserkocher, Warmwasseraufbereitung, Maschinen, ...) völlig unter. 
Dummerweise ist es eben nicht nur EIN solches Kleinteil, sondern Scharen 
davon.

Wenn die Zählernorm jetzt aber nur Blindleistung und Messung bei 50Hz 
verlangt und der Zähler bei einer entsprechenden linearen Last das 
erwartete Ergebnis liefert, dann hat es die Prüfung bestanden und 
bekommt seinen Eichstempel.

Jetzt müssen Zähler natürlich billig sein. Das darf nix kosten, die 
Energiewende ist ja teuer genug. Ein vernünftiges Meßgerät zu bauen, 
erfordert aber auch Leute die ein bisschen was können. Solche Leute 
kosten. Auch das Meßgerät muß ein bisschen was können: Wenn man nur z.B. 
bis zur zehnten Oberwelle messen wollen würde, bräuchte man riesige 
Vorfilter (teuer), oder man filtert höhere Frequenzen, muß dafür aber 
mehr rechnen (auch teuer).
Also macht man nur das, was gefordert ist, und zwar so, daß es nix 
kostet. Und dann stell dir vor, du hast noch nie etwas von Fourier 
gehört, dir mit Arduino etwas Programmieren beigebracht und kriegst von 
deinem Chef den Auftrag, so einen Zähler zu konstruieren.
Das dabei nichts Brauchbares rauskommt - wen interessierts...

Ich muß an dieser Stelle allerdings noch einwerfen, daß das gesagte eher 
für Niederspannungszähler gilt. Ich habe keine Ahnung, ob 
Mittelspannungszähler ähnlich schlecht konstruiert werden. Einerseits 
gibt man bei Mittelspannung sowieso mehr Geld aus, andererseits scherrt 
man sich eigentlich nur auf Niederspannungsebene um Oberwellen und 
ähnlichem Unbill. Auf Versorgungsnetzebene ist immer alles symmetrisch 
belastet und sinusförmig (denkt man jedenfalls).


Und um zu deiner Kompensationsanlage zurückzukommen:
ein paar dicke Kondensatoren in die Anlage gehängt, können das durchaus 
besser machen. Dann fließen die Oberschwingungsströme da hindurch und 
nicht mehr am Zähler vorbei. Ob du davon profitierst oder nicht, hängt 
hauptsächlich davon ab wie netzverträglich deine Verbraucher bereits 
sind.

Außerdem:
Meines Wissens nach geht es bei Mittelspannungskompensation allerdings 
tatsächlich eher darum, Blindleistung zu sparen und nicht um 
Netzfilterung. Das sollte bei euch aber eigentlich bekannt sein, wenn 
ihr Mittelspannungskunde seid.

Beitrag #6642716 wurde vom Autor gelöscht.
von hot rod (Gast)


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Wühlhase schrieb:
> Außerdem:
> Meines Wissens nach geht es bei Mittelspannungskompensation allerdings
> tatsächlich eher darum, Blindleistung zu sparen und nicht um
> Netzfilterung. Das sollte bei euch aber eigentlich bekannt sein, wenn
> ihr Mittelspannungskunde seid.

Völlig Unterschiedliche Probleme (und Lösungen).

Aber gibt Kombis: In 1 Gehäuse / gemeinsam verkauft in 2en.

(Parallel-)Kompensation macht man m.W. mit Cs ("kVAr-rated")
- Oberwellenfilterung kann auf diverse Weise erfolgen.

von Tilo R. (joey5337) Benutzerseite


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Vielen dank für die Rückmeldungen.
Ich sehe mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass das nicht annähernd 
so viel bringen kann wie versprochen.

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