Hallo Forum, ich hatte heute einen Termin mit einem Vertriebler, der eine Kompensationsanlage verkaufen will, die angeblich eine "fairere" Messung macht, mit theoretisch bis zu 28% Ersparnis. Szenario ist ein Industriebetrieb mit Messung auf Mittelspannungseebene. Und die Behauptung ist jetzt, dass die vielen Oberwellen, verursacht z.B. durch Umrichter etc., die Leistungsmessung verfälschen. Das Versprechen ist, mit einer intelligenten Kompensationsanlage und toller Steuerungstechnik die Oberwellen auszugleichen, und dadurch soll es zur Ersparnis kommen. Jetzt frage ich mich: wie "schnell" messen denn die Zähler? Im Gespräch wurde Kompensation "bis zur 9. Oberwelle" erwähnt. Imho sind dass dann 9x50Hz = 450Hz. Ich kann mir kaum vorstellen dass elektronische Mittelspannungs-/Wandlerzähler weniger als 1kHz Samplingfrequenz haben. Und bei den Amplituden der Oberwellen kann ich mir auch nicht vorstellen, dass da richtig viel Fehler zusammen kommt. Jetzt die Frage an die Profis: wie genau sind die Zähler? Mit welchen Samplingfrequenzen wird da gearbeitet?
Tilo R. schrieb: > Mit welchen Samplingfrequenzen wird da gearbeitet? "The ADE9000 offers an integrated flexible waveform buffer that stores samples at a fixed data rate of 32 kSPS or 8 kSPS, or a sampling rate that varies based on line frequency to ensure 128 points per line cycle." Lasst euch kein Schlangenöl andrehen!
Tilo R. schrieb: > Jetzt frage ich mich: wie "schnell" messen denn die Zähler? Aus Erfahrung als Zählermonteur kann ich dir sagen, dass das ein oder andere Modell da ein wenig höhere Verkehrsfehlergrenzen (VFG) aufweisen kann. Die Rede ist hier von RLM, nicht SLP (Haushalt). Aber 28% halte ich für maßlos übertrieben! Lass das mal 15% in der Spitze sein, wo der Zähler abweicht. Wir haben alle neu eingebauten Zähler (auch bei Turnuswechsel) trotz frischer Eichung vor Ort geprüft. Ich hatte nur einen der über den 6% VFG war. Die VFG lag schwankend zwischen -1% und +22%. Die kleine Firma (15 MA) hatte Schweißgeräte, die den cos Phi tatsächlich für wenige Sekunden auf 0,05 gezogen haben. Ich wollte dann nochmal mit einem Kollegen hin, weil ich dachte ich wäre zu blöd das Messgerät zu bedienen. Sowas extremes hatte ich bisher nur einmal in 10 Jahren. Alle anderen Messungen laufen im Mittel ohne Probleme oder nennenswerte Abweichung. Kompensation macht in der Mittelspannung aber durchaus Sinn. Die wenigsten Schaltanlagen können größere Blindströme schalten.
hinz schrieb: > 128 points per line cycle 60Hz x 128 = 7680 Messungen pro Sekunde. Abtastraten von 1.000-5.000 Messungen pro Sekunde sind realistisch. Die idR auftretenden Meßfehler kannst du mit einem simplen Netzfilter umgehen. OK simpel aber groß.. Kompensation spart dir nicht wegen Meßfehlern Geld, sondern weil du keine Blindleistung mehr bezahlen mußt. Der Vertriebler gehört geschult oder gefeuert.
hinz schrieb: > Lasst euch kein Schlangenöl andrehen! Das vermute ich auch. Früher, als die Wirkleistung kWh 10 Pfennig kostete, die Blindleistung kVAh 2 Pfennige, rentierte es sich eine Blindleistungskompensationsanlage einzubauen. Das waren ein paar Kondensatoren um die induktive Blindleistung vieler Asynchronmotore zu kompensieren. Moderne Zähler können auch die Verzerrungsblindleistungen messen. Daher würde ich erst einmal auf detaillierte Stromrechnung schauen, ob das aufgesplittet ist. Wenn das nicht so ist, würde ich nachsehen, welche Pauschalen dort angenommen wurden und die Tarifalternativen ansehen.
Dieter D. schrieb: > Moderne Zähler können auch die Verzerrungsblindleistungen messen. ...und manche machen dabei grausame Fehler. Offenbar, weil die Entwickler der Firmware so manche Eigenheiten des Wechselstroms nicht verstanden haben: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Smart-Meter-messen-oft-falsch-3644942.html
Das wollte ich auch gerade einwerfen... Das Problem ist viel weniger die Abtastrate der AD-Wandler in den Meßgeräten, sondern die Signalverarbeitung dahinter. Und da sind dann - Eichung hin oder her - absurde Meßfehler möglich und leider auch toleriert. Das Hauptproblem ist, wie so oft, daß eine "Normsituation" vorgegeben ist, diese genormte Situation in der Realität so jedoch nicht vorkommt. Schau dir z.B. mal den Stromverlauf eines modernen Leuchtmittels an: die Stromaufnahme hat so rein gar nichts mehr mit einem Sinus zu tun. Nach Normen und Vorschriften ist das völlig ok, da es ja nur ein Kleinverbraucher von ein paar wenigen zehn Watt ist, so ein kleines Dingelchen geht im Rauschen aller anderen Verbraucher (Kaffeemaschine, Wasserkocher, Warmwasseraufbereitung, Maschinen, ...) völlig unter. Dummerweise ist es eben nicht nur EIN solches Kleinteil, sondern Scharen davon. Wenn die Zählernorm jetzt aber nur Blindleistung und Messung bei 50Hz verlangt und der Zähler bei einer entsprechenden linearen Last das erwartete Ergebnis liefert, dann hat es die Prüfung bestanden und bekommt seinen Eichstempel. Jetzt müssen Zähler natürlich billig sein. Das darf nix kosten, die Energiewende ist ja teuer genug. Ein vernünftiges Meßgerät zu bauen, erfordert aber auch Leute die ein bisschen was können. Solche Leute kosten. Auch das Meßgerät muß ein bisschen was können: Wenn man nur z.B. bis zur zehnten Oberwelle messen wollen würde, bräuchte man riesige Vorfilter (teuer), oder man filtert höhere Frequenzen, muß dafür aber mehr rechnen (auch teuer). Also macht man nur das, was gefordert ist, und zwar so, daß es nix kostet. Und dann stell dir vor, du hast noch nie etwas von Fourier gehört, dir mit Arduino etwas Programmieren beigebracht und kriegst von deinem Chef den Auftrag, so einen Zähler zu konstruieren. Das dabei nichts Brauchbares rauskommt - wen interessierts... Ich muß an dieser Stelle allerdings noch einwerfen, daß das gesagte eher für Niederspannungszähler gilt. Ich habe keine Ahnung, ob Mittelspannungszähler ähnlich schlecht konstruiert werden. Einerseits gibt man bei Mittelspannung sowieso mehr Geld aus, andererseits scherrt man sich eigentlich nur auf Niederspannungsebene um Oberwellen und ähnlichem Unbill. Auf Versorgungsnetzebene ist immer alles symmetrisch belastet und sinusförmig (denkt man jedenfalls). Und um zu deiner Kompensationsanlage zurückzukommen: ein paar dicke Kondensatoren in die Anlage gehängt, können das durchaus besser machen. Dann fließen die Oberschwingungsströme da hindurch und nicht mehr am Zähler vorbei. Ob du davon profitierst oder nicht, hängt hauptsächlich davon ab wie netzverträglich deine Verbraucher bereits sind. Außerdem: Meines Wissens nach geht es bei Mittelspannungskompensation allerdings tatsächlich eher darum, Blindleistung zu sparen und nicht um Netzfilterung. Das sollte bei euch aber eigentlich bekannt sein, wenn ihr Mittelspannungskunde seid.
Beitrag #6642716 wurde vom Autor gelöscht.
Wühlhase schrieb: > Außerdem: > Meines Wissens nach geht es bei Mittelspannungskompensation allerdings > tatsächlich eher darum, Blindleistung zu sparen und nicht um > Netzfilterung. Das sollte bei euch aber eigentlich bekannt sein, wenn > ihr Mittelspannungskunde seid. Völlig Unterschiedliche Probleme (und Lösungen). Aber gibt Kombis: In 1 Gehäuse / gemeinsam verkauft in 2en. (Parallel-)Kompensation macht man m.W. mit Cs ("kVAr-rated") - Oberwellenfilterung kann auf diverse Weise erfolgen.
Vielen dank für die Rückmeldungen. Ich sehe mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass das nicht annähernd so viel bringen kann wie versprochen.
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