Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Sicherungen - Welches Abschaltvermögen braucht es für eine 230V Netzsicherungen


von Jakob L. (jakob)


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Ich habe mich gerade etwas eingelesen zum Thema Sicherungen. Ist da ja 
doch vieles deutlich komplizierter als es am Anfang scheint. Ein 
wichtiger Punkt bei der Auswahl der Sicherung ist das maximale 
Abschaltvermögen. Bei den normalen 5x20 Feinsicherungen gehen die 
Angaben von 35A bis 1500A und in vielen Geräten werden die einfachen 
Glassicherungen ohne Löschmittel (Klasse L, Abschaltvermögen 35A/10*I_n) 
als Netzsicherung verwendet. Habe gerade die Sicherung in ein paar 
kommerziellen Geräten (mutmaßlich noch mit original-Sicherung) 
angeschaut und das mehrmals so vorgefunden. Und wenn auf dem Gehäuse der 
Sicherungswert aufgedruckt ist, findet man oft sowieso nur so was wie 
"2.5A F" ohne Angabe zum benötigten Abschaltvermögen. Zum Teil ist sogar 
Klasse L explizit spezifiziert, z.B. "Netzsicherung (5 x 20 mm) 
T3,15AL250V Glasrohr" in der Anleitung zu dem Voltcraft HPS-11530 
Labornetzgerät [1].


Mir kommt es auf jeden Fall ziemlich komisch vor, dass so wenig 
Abschaltvermögen für eine Netzsicherung verwendet wird. Das Stromnetz 
liefert an der Steckdose einen Kurzschlussstrom von mindestens 80A + 
Toleranz (damit die magnetische Schnellabschaltung im LSS funktioniert), 
in der Regel noch deutlich mehr (z.B. 1000A), ein normaler LSS hat nicht 
ohne Grund ein Abschaltvermögen von 6kA. Was bringt da eine Sicherung, 
die gerade einmal 35A sicher unterbrechen kann? Man könnte natürlich 
argumentieren, dass bei einem echten Kurzschluss im Zweifelsfall einfach 
der LSS (über die magnetische Schnellabschaltung) den Strom unterbricht, 
dann ist es nicht so schlimm wenn in der Sicherung bis dahin ein 
Lichtbogen brennt. Allerdings ist dann ein nicht ganz perfekter 
Kurzschluss (also ca. 1-5 Ohm Impedanz, z.B. ein ungünstiger 
Windungsschluss im Trafo oder eventuell durchlegierten 
Gleichrichterdioden im Schaltnetzteil) überhaupt nicht abgedeckt, der 
LSS schaltet in dem Fall sehr langsam thermisch ab (der übliche B16A 
darf bis zu 20s bei `5*16=80A` oder 60s bei `3*16=48A` brauchen, siehe 
[2]). Und wirklich auf die Existenz eines LSS mit magnetischer 
Schnellabschaltung kann man sich auch nicht verlassen, bei 
Elektroinstallationen gibt es Bestandsschutz für so ziemlich jeden Mist, 
der irgendwann einmal in Deutschland (egal ob BRD, DDR oder 
Vorkriegszeit) zulässig war und alte Verteilerkästen mit 
Schraubsicherungen sind gar nicht mal so selten.


Gibt es da irgendetwas was ich übersehen habe warum so eine einfache 
5x20 Klasse-L Sicherung doch akzeptabel ist als Netzsicherung? 
Alternativen sind ja durchaus vorhanden, die Klasse H bietet (in der 
gleichen Bauform) immerhin 1500A Abschaltvermögen und das sollte nach 
Steckdose/Netzkabel zumindest halbwegs adäquat für den zu erwartenden 
Kurzschlussstrom sein, kostet allerdings ein paar Cent mehr pro 
Sicherung.

[1]
https://asset.conrad.com/media10/add/160267/c1/-/de/000512306ML01/instrukcja-obslugi-512306-zasilacz-laboratoryjny-regulowany-voltcraft-hps-13030-1-30-vdc-0-30-a-900-w-ilosc-wyjsc-1-x.pdf

[2]
https://www.voltimum.de/sites/www.voltimum.de/files/fields/attachment_file/de/others/3/2004071492092CDC400002D0101.pdf

von Uwe K. (kwe)


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Hallo Jakob,
die Feinsicherungen, z.B. 5x20mm dienen nur dem unmittelbaren 
Geräteschutz.
Leitungsschutzschalter oder auch Schmelzsicherungen (z.B. Neozed, 
Diazed)
dienen dem Schutz der E-Installation.
Also komplett unterschiedliche Aufgaben.

MfG Uwe K.

von Ansgar K. (malefiz)


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Im übrigen braucht eine 16A  Diazed 4s um bei 80A auszulösen

von Jakob L. (jakob)


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Uwe K. schrieb:
> die Feinsicherungen, z.B. 5x20mm dienen nur dem unmittelbaren
> Geräteschutz.
> Leitungsschutzschalter oder auch Schmelzsicherungen (z.B. Neozed,
> Diazed)
> dienen dem Schutz der E-Installation.
> Also komplett unterschiedliche Aufgaben.

Ist schon klar dass die Feinsicherungen einen anderen Zweck hat als der 
LSS davor. Aber dennoch würde ich eigentlich erwarten, dass man das 
Abschaltvermögen so wählt, dass der an der jeweiligen Stelle mögliche 
Kurzschlussstrom abgedeckt ist. Und der ist bei 230V in aller Regel 
deutlich über 35A. Ansonsten besteht die Gefahr, dass in der Sicherung 
ein unkontrollierter Lichtbogen brennt und gegebenenfalls auch das 
Glasrohr der Sicherung explodiert.

von Michael B. (laberkopp)


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Jakob L. schrieb:
> Mir kommt es auf jeden Fall ziemlich komisch vor, dass so wenig
> Abschaltvermögen für eine Netzsicherung verwendet wird.

ca. 35A Sicherung sind nur geräteintern sekundär zu verwenden,
ca. 1500A Sicherungen auf Netzseite nach dem Stecker
und ca. 10000A nicht nur in CAT III Messgeräten, sondern auch in 
Festinstallationen im Sicherungskasten.

von Jakob L. (jakob)


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Ansgar K. schrieb:
> Im übrigen braucht eine 16A  Diazed 4s um bei 80A auszulösen

Bei dem heute üblichen B16A LSS dürfen es bis zu 20s sein, gibt einen 
ziemlich großen Toleranzbereich zwischen minimaler und maximaler 
Abschaltzeit. Im Bereich knapp unter 3*I_n (also vor der magnetischen 
Schnellabschaltung) darf es irgendetwas im Bereich von ca. 2.5s bis 60s 
sein.

https://www.voltimum.de/sites/www.voltimum.de/files/fields/attachment_file/de/others/3/2004071492092CDC400002D0101.pdf

von Manfred (Gast)


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Jakob L. schrieb:
> Das Stromnetz
> liefert an der Steckdose einen Kurzschlussstrom von mindestens 80A +
> Toleranz (damit die magnetische Schnellabschaltung im LSS funktioniert),
> in der Regel noch deutlich mehr (z.B. 1000A),

Das gab es doch schon einmal - wer findet den alten Thread wieder?

Wenn ich meinen Wasserkocher einschalte, fällt die Spannung an der 
Steckdose um 3 Volt ab, daraus rechne ich mit 10A Last Ri=0,3 Ohm oder 
einen theoretischen Kurzschlußstrom um 750 Ampere (grob gerundete 
Werte).

Wenn mein Gerät 2m Netzkabel 0,75 qmm hat, kommt rund 0,1 Ohm dazu, die 
Feinsicherung liegt auch in der Größenordnung. Gehe ich von gesamt 0,5 
Ohm aus, könnten immer noch 450 A fließen.

> Ansonsten besteht die Gefahr, dass in der Sicherung
> ein unkontrollierter Lichtbogen brennt und gegebenenfalls auch das
> Glasrohr der Sicherung explodiert.

Glasrohr im Gerät verteilt und nur noch die zwei Endkappen im 
Sicherungshalter habe ich schon gesehen!

Nicht ohne Grund gibt es sandgefüllte Glasrohre (Datenblatt 
"Löschmittel") und / oder Feinsischerungen mit Keramikrohr.

von ??? (Gast)


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Ansgar K. schrieb:
> Im übrigen braucht eine 16A  Diazed 4s um bei 80A auszulösen

Beleg?

von H. H. (Gast)


Angehängte Dateien:

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??? schrieb:
> Ansgar K. schrieb:
>> Im übrigen braucht eine 16A  Diazed 4s um bei 80A auszulösen
>
> Beleg?

Datenblatt. Und das sieht das auch ganz anders...

von Elektrofan (Gast)


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>> Im übrigen braucht eine 16A  Diazed 4s um bei 80A auszulösen

Bei dem heute üblichen B16A LSS dürfen es bis zu 20s sein, ...

Lt. Diagramm für den gebräuchlichen B16-Automat löst der magnetisch,
d.h. "schnell", bei (48 ... 80)A aus.

von Kevin M. (arduinolover)


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Warum sollte man im Gerät eine Sicherung mit so hohen Trennvermögen 
verbauen, das wäre viel zu teurer. Die Sicherungen in einem DMM kosten 
gut 20 bis 30€ und mehr, das will man nicht in seinem Gerät.
Dafür gibt es die LS die entsprechendes trennen können und die 
Installation schützen, die Gerätesicherung soll nur verhindern das 
gleich der LS fällt und muss allenfalls das trennen können was intern an 
Kurzschluss auftreten kann. Da hat / sollte sich der Hersteller Gedanken 
gemacht haben.

von Jakob L. (jakob)


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Kevin M. schrieb:
> Warum sollte man im Gerät eine Sicherung mit so hohen Trennvermögen
> verbauen, das wäre viel zu teurer. Die Sicherungen in einem DMM kosten
> gut 20 bis 30€ und mehr, das will man nicht in seinem Gerät.

Niemand fordert teure HRC-Multimeter-Sicherungen oder ähnliches als 
Netzsicherung für ein Gerät, das wäre in der Tat völlig 
überdimensioniert. Eine 5x20mm Feinsicherung in Klasse H (Keramikrohr, 
Abschaltvermögen 1500A) ist völlig ausreichend. Kostet hier (ab 10 
Stück) z.B. 13 Cent pro Sicherung:

https://www.reichelt.de/g-sicherungseinsatz-5x20mm-flink-3-150-a-k-flink-3-15a-p119336.html?&trstct=pol_1&nbc=1

Sind natürlich ein paar Cent mehr als eine einfache Glasrohr-Sicherung.

> Dafür gibt es die LS die entsprechendes trennen können und die
> Installation schützen, die Gerätesicherung soll nur verhindern das
> gleich der LS fällt

Bei einem echten Kurzschluss wird das auch nichts, habe es schon 
mehrmals erlebt dass gleichzeitig die Feinsicherung im Gerät durchbrennt 
und der LSS (über die magnetische Schnellabschaltung) abschaltet.

> und muss allenfalls das trennen können was intern an
> Kurzschluss auftreten kann. Da hat / sollte sich der Hersteller Gedanken
> gemacht haben.

Und wie will man ernsthaft garantieren, dass im Fehlerfall (interner 
Kuzschluss im Gerät) der Strom auf 35A begrenzt wird? Man müsste dazu 
irgendwie sicherstellen dass bei einem Kurzschluss immer noch ein 
Widerstand von ca. 7 Ohm (230V + 10% / 35A) den Strom begrenzt. Dürfte 
wohl deutlich billiger sein, einfach die richtige Sicherung zu nehmen 
statt zusätzliche Bauteile (Widerstand oder PTC) zur Begrenzung eines 
möglichen Fehlerstroms einzubauen.

von Gerd E. (robberknight)


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Jakob L. schrieb:
> Und wie will man ernsthaft garantieren, dass im Fehlerfall (interner
> Kuzschluss im Gerät) der Strom auf 35A begrenzt wird? Man müsste dazu
> irgendwie sicherstellen dass bei einem Kurzschluss immer noch ein
> Widerstand von ca. 7 Ohm (230V + 10% / 35A) den Strom begrenzt. Dürfte
> wohl deutlich billiger sein, einfach die richtige Sicherung zu nehmen
> statt zusätzliche Bauteile (Widerstand oder PTC) zur Begrenzung eines
> möglichen Fehlerstroms einzubauen.

Oft brauchst Du diese zusätzlichen Bauteile aber aus anderen Gründen: 
z.B. Einschaltstrombegrenzung oder Netzfilter oder ähnliches. Wenn 
dadurch der Widerstand gegeben ist, kannst Du auf die einfachere 
Sicherung gehen.

Oder statt der Sicherung einen Sicherungswiderstand einbauen. Der 
übernimmt dann die Aufgabe von Sicherung und Einschaltstrombegrenzung. 
Toll ist das natürlich nicht, aber billig und erfüllt die 
Mindestanforderungen.

von MaWin (Gast)


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Gerd E. schrieb:
> Oft brauchst Du diese zusätzlichen Bauteile aber aus anderen Gründen:
> z.B. Einschaltstrombegrenzung oder Netzfilter oder ähnliches. Wenn
> dadurch der Widerstand gegeben ist, kannst Du auf die einfachere
> Sicherung gehen.

Kann gehen.

> Oder statt der Sicherung einen Sicherungswiderstand einbauen. Der
> übernimmt dann die Aufgabe von Sicherung und Einschaltstrombegrenzung.
> Toll ist das natürlich nicht, aber billig und erfüllt die
> Mindestanforderungen.

Trennvermögen des Sicherungswiderstandes ?

Sollte man alles vorher mal nachgeschlagen haben, bevor munter 
rumgebastelt wird. Aber es hat schon seinen Grund, warum 
Gerätesicherungen immer seltener werden.

von Sebastian S. (amateur)


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Der Porsche taugt nun Mal nicht dazu den schweren Anhänger zu ziehen. 
Die dreihundert PS würden zwar reichen, aber die Anhängekupplung wurde 
zu niedrig angebracht;-)
Anders ausgedrückt scheinen viele nicht zu verstehen, wozu so eine 
Sicherung, im Gerät, gedacht ist.
Ausschließlich um im Gerät zu wirken!
Schreit hier jemand, von wegen der vielen Kiloampere, die möglicherweise 
ein Problem sein sollten, so hätte er den Sicherungsautomaten, der 
üblicherweise vor jedem Stromkreis vorhanden ist, nicht stilllegen 
sollen. Mir ist im Übrigen bewusst, dass der Kerl nicht der schnellsten 
einer ist.
Arbeitet das Gerät üblicherweise mit sehr hohen Strömen, so würde ich, 
als Konstrukteur, dies auch berücksichtigen. Also sandgefüllte 
Sicherungen oder gleich größere Teile. Ist ja kein Hexenwerk. Außer in 
China.
Auf dem Papier kann man natürlich beliebig grausame Szenarien 
konstruieren und vor allem deren Relevanz völlig unter den Tisch kehren.

von Peter R. (Gast)


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Im Verbraucherbereich gibt es wohl den Fall selten, dass die 
Gerätesicherung alleine den Kurzschluss auffangen muss. Da werden 
meistens schon das Innenleben des Geräts oder die Zuleitungen  dafür 
sorgen, dass die Kurzschlüsse nicht ganz so wild ausfallen. Die Fehler 
entstehen ja nicht direkt am Stecker sondern hinter Entstörgliedern, der 
Verdrahtung im Gerät, auf der Sekundärseite eines Trafo und andrem.

Falls es doch noch saftiger kommt, muss halt die Sicherung in der 
Verteilung oder im Extremfall im Hausanschluss fürs Abschalten sorgen. 
Auch da wirds nicht zu großartigen Kurzschlüssen mit explosionsartigem 
Vorgang kommen.

Bei einem Messgerät ist es halt anders: Da misst man womöglich in dem 
niederohmigen Teil des Netzes herum und dort muss dann die Sicherung des 
Geräts das Abschalten alleine schaffen.

Da sind die höheren CATs der Sicherung wirklich notwendig.

kürzer gesagt: fürs Kleinzeug von Fehlern schaffts die Gerätesicherung, 
oft sogar, ohne Einschreiten der Sicherung in der Verteilung. Wenn die 
es nicht schafft, weil sich ein Lichtbogen gebildet hat, muss halt der 
Sicherungsautomat oder ,noch später, die im Hausanschluss aktiv werden.

Das nennt man selektive Absicherung.

von michael_ (Gast)


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Peter R. schrieb:
> Bei einem Messgerät ist es halt anders: Da misst man womöglich in dem
> niederohmigen Teil des Netzes herum und dort muss dann die Sicherung des
> Geräts das Abschalten alleine schaffen.
>
> Da sind die höheren CATs der Sicherung wirklich notwendig.

Wer macht das schon?

Sebastian S. schrieb:
> Arbeitet das Gerät üblicherweise mit sehr hohen Strömen, so würde ich,
> als Konstrukteur, dies auch berücksichtigen. Also sandgefüllte
> Sicherungen oder gleich größere Teile. Ist ja kein Hexenwerk. Außer in
> China.

Ach?
In Bügeleisen, Wasserkocher, Heizer, Motoren, ... habe ich noch keine 
solche Sicherung gesehen.

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