Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Lebensdauer der BE einer Platine abschätzen


von Jörg H. (joh)


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Hallo,

ich muß bei einer Schaltung (Platine 100x180, 2 STM32 Controller, 3 
Schaltnetzteile und ein BLDC Treiber mit 6 MOSFETs drauf) die 
Lebensdauer abschätzen. Was wären denn die BE, die (Umgebungstemperatur 
nicht über 40°C) als erstes den Geist aufgeben, ich vermute mal die 
Elkos? Bei Kerko Kl.1 habe ich gelesen 7% C-Verlust nach ca 20k Stunden. 
Aber Widerstände, Spulen...? Leider steht in den datasheets dazu eher 
wenig.

Danke
joh

: Verschoben durch Moderator
von Anarchist (Gast)


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Du scheinst zu sehr Beta zu sein und nicht Alpha.

Auf so eine Fragestellung musst du mit der Gegenfrage "Wie lang muss es 
denn halten" reagieren. Je nachdem was da als Antwort kommt musst du 
dann differenziert vorgehen. Aber dazu später mehr. Jetzt stelle erstma 
die Gegenfrage.

von Wolfgang R. (Firma: www.wolfgangrobel.de) (mikemcbike)


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Im Allgemeinen löst man so eine Aufgabe mit der Berechnung der 
statistischen MTBF Werte nach Siemens SN 29500. Die Norm berücksichtigt 
sowohl statistische Ausfallwerte der Bauteile, Lötstellen und dazu die 
thermischen Einflüsse.

Zugrundegelegt werden die FIT-Werte (Failure in Time), also ein Ausfall 
je 10^9 Betriebsstunden...

Das Ergebnis ist eine rein statistische Aussage über die 
Fehlerwahrscheinlichkeit bzw. Lebensdauer...

von Dergute W. (derguteweka)


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Moin,

Das wird wohl auf eine "GesamtMTBF aus EinzelMTBF" Berechnung 
rauslaufen.
Brauchst halt die MTBFen der Einzelkomponenten. Wenn du die nicht hast, 
und nicht schaetzen kannst, wirds noch unsicherer...

Gruss
WK

von Stefan F. (Gast)


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Eine wirklich verlässliche Aussage bekommst du nur durch umfangreiche 
Testreihe mit vielen Geräten, die so lange dauert, bis eine signifikante 
Anzahl von Geräten ausfällt.

Hersteller von Bauteilen beschleunigen die Alterung gerne in 
Klimaschränken mit Hitze und Druck. Die damit ermittelten Werte sich 
aber nur sehr grobe Schätzungen und funktionieren nur, wenn bereits 
Erfahrungswerte mit vergleichbaren Materialien vorliegen. Auf eine ganze 
Platine kann man die Erfahrungswerte von einzelnen Bauteilen nicht 
übertragen.

Ich habe einige Spezielle Sachen in Handarbeit produziert. Typische 
Stückzahl: 1. Da kam oft die Frage, wie lange es angesichts der "wilden" 
Optik denn halten wird. Nun mache ich das seit 30 Jahren und kann diese 
Frage mit "Hält ewig" beantworten. Bisher haben alle Platinen so lange 
gehalten, bis sie aus anderen Gründen ausgedient hatten.

Wie mache ich das? Nichts auf Kante nähen, Temperaturen kontrollieren, 
Große Bauteile mechanisch fixieren, Platinen nach dem Löten mit einem 
Schutzlack (Kontakt Chemie PLASTIK 70) überziehen.

Die Frage ist aber auch blöd. Jedes Gerät kann sofort kaputt gehen, wenn 
man Pech hat. Spannender ist daher die Frage, wie lange man Ersatz 
beschaffen kann.

von Blame4Lame (Gast)


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Jörg H. schrieb:
> Was wären denn die BE, die (Umgebungstemperatur
> nicht über 40°C) als erstes den Geist aufgeben,

Die Lötstellen und alles was mechanisch beansprucht wird (Buchsen, 
Schalter, Lüfter)

Bei kerkos geht man eher von 1-2% pro Zeitdekade (10h, 100h, 1000h, ...) 
aus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Keramikkondensator#Alterung

von oszi40 (Gast)


Angehängte Dateien:

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Bisher sehe ich kein Foto.
Jörg H. schrieb:
> 2 STM32 Controller, 3
> Schaltnetzteile und ein BLDC Treiber mit 6 MOSFETs drauf)

Mein Horoskop sagt heute :
Schaltnetzteile und Schnittstellen, die von außen Ärger bekommen sowie 
Bauteile, die auf Kante genäht sind oder mechanisch in Resonanz 
kommen. Die Zukunft vorherzusagen ist immer schwer. Ein Blick durch die 
Wärmebildkamera bei Belastung ist bestimmt nicht schädlich.

Jörg H. schrieb:
> Umgebungstemperatur nicht über 40°C
Zweckoptimismus? 40 Grad im Büro habe ich auf der Sonnenseite schon 
gemessen. Dann sind im Gehäuse schon 70°C und am Chip?
Batterien? 85-Grad-Elkos? Arbeitspunkte? ...

von Bernd G. (Gast)


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> Im Allgemeinen löst man so eine Aufgabe mit der Berechnung der
> statistischen MTBF Werte nach Siemens SN 29500.

Genau so isses! Jeder, der die Frage stellt, bekommt die Berechnung nach 
SN 29500 serviert und ist in den allermeisten Fällen damit zufrieden.

von Stefan F. (Gast)


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Bernd G. schrieb:
> Jeder, der die Frage stellt, bekommt die Berechnung nach
> SN 29500 serviert und ist in den allermeisten Fällen damit zufrieden.

Hauptsache die grobe Schätzung entspricht einer Norm - typisch deutsch.

von Flo (Gast)


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Es gibt hier einen Rechner für Bauteile:
https://aldservice.com/Free-MTBF-Calculator.html

Da sieht man auch schön dass es durchaus verschiedene Standards für die 
Lebensdauerbetrachtung gibt, je nach Einsatzort, Einsatzzweck, 
Temperaturprofil, Höhe über NN, ...

Man sollte halt im Hinterkopf haben dass die SN 29500 eher für den 
Schaltschrankbau gedacht ist.

von Bernd G. (Gast)


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> Hauptsache die grobe Schätzung entspricht einer Norm - typisch deutsch.

Ja und? Der Name Siemens ist über jeden Zweifel erhaben.
Du darfst auch gerne nach irgendeiner MIL- oder sonstwas Norm rechnen.
Der Kunde mag eben keine Aussage wie z.B. "Bei mir funktioniert es aber 
ganz gut!".

von Prokrastinator (Gast)


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Stefan ⛄ F. schrieb:
> Die Frage ist aber auch blöd. Jedes Gerät kann sofort kaputt gehen, wenn
> man Pech hat. Spannender ist daher die Frage, wie lange man Ersatz
> beschaffen kann.

Die Frage wie lange man Ersatz beschaffen kann ist eher sekundärer Natur 
in sicherheitskritischen Anwendungen oder wenn Stillstand richtig Geld 
kostet.

Begriffsklärung und Vorgehensweise:
https://www.pulspower.com/de/support/service/glossar/index/lesen/mtbf-1/

Stefan ⛄ F. schrieb:
> Hauptsache die grobe Schätzung entspricht einer Norm - typisch deutsch.
Nein, die einzige Methode Angaben vergleichbar zu machen.
Aber auch brav nach Norm sagt dann wieder nix, wenn z.B. Bauteile durch 
falsche Platzierung und / oder schlechte PCB Befestigung Biegebelastung 
aushalten müssen.
Man kann eine tolle MTBF errechnen und dann doch nur kurzlebigen Käse 
produzieren.

Jedes Bauteil offen, kurzgeschlossen, werteberänderung mit den 
entsprechenden Ausfallwahrscheinlichkeiten und den Auswirkungen auf die 
Funktion zu bewerten ist nervtötende Fleißarbeit.
Macht man das häufiger, rechnet sich u.U. die Anschaffung einer Software 
dafür. Z.B.: https://www.bqr.com/de/products/fixtress/mtbf-predictions/

von Mohandes H. (Firma: مهندس) (mohandes)


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Das sind eben alles nur statistische Berechnungen (MTBF) oder 
Erfahrungswerte die niemals eine Aussage auf ein einzelnes Exemplar 
zulassen. Traue keiner Statistik die du nicht selber gefälscht hast.

Dann gibt es noch die Badewannenkurve': Ausfall zu Anfang häufiger, dann 
kommt ein langes Plateau auf niedrigem Niveau um dann wieder 
anzusteigen.

Jörg H. schrieb:
> Widerstände, Spulen...?

Widerstände, Spulen und moderne Halbleiter halten ewig, sofern sie nicht 
über Gebühr belastet werden.

Ich würde insbesondere alle Kondensatoren, vor allem Elkos in die 
Betechnung einbeziehen. Die größte Rolle spielt die Temperatur bei jeder 
Lebensdauerberechnung. Und die Feuchtigkeit.

von Andrew T. (marsufant)


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Was bisher nicht genannt Wurde: Alterung & Drift.

Sofern die betrachtete Schaltung dagegen nicht 100% tolerant ist 
(Nachweis muß man bringen!),
dann muß ein Bauteil nicht total ausfallen,
um die Schaltung zum "Nichtfunktionieren" zu bringen-
Alterung und Drift genügen dann.

SN 29500 wurde ja schon genannt,
Birolini ist ebenfalls ein Quelle.

Temperaturbestimmung im Gehäuse durch Aufheizung im Betrieb, 
vorgegebener Einbaulage (bzw. der schlimmstmöglichen Einbaulage sofern 
keine Vorgabe) und Last ist ebenfalls wichtig:
40 Grad Umgebung sagt wenig aus. (ok, zumindest Betauung kann man dann 
ausschließen :)

von oszi40 (Gast)


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> Alterung & Drift. (siehe auch Arbeitspunkt)

"Eine MTBF-Zahl von z.B. 1,000,000h bedeutet, dass wenn 1,000 Geräte im 
Einsatz sind, statistisch alle 1,000 Stunden ein Gerät ausfällt."

... und wenn jetzt der Blitz einschlägt, kommt der Satz: "Traue nie 
einer Statistik, die nicht selbst gefälscht hast." Es reicht nicht, die 
Lebensdauer eines Bauelements zu betrachten, wenn das Übel von außen 
kommt!

von Anarchist (Gast)


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Abschließend kann man noch sagen, bei so viel Interpretationsspielraum 
und Unwägbarkeiten hilft nur eine gute Selbstinszenierung.
D.h. die Emotionen anderer mit Powerpoint und Excel beschwichtigen zu 
können.

von Prokrastinator (Gast)


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oszi40 schrieb:
> ... und wenn jetzt der Blitz einschlägt, kommt der Satz: "Traue nie
> einer Statistik, die nicht selbst gefälscht hast."

Anarchist schrieb:
> bei so viel Interpretationsspielraum
> und Unwägbarkeiten hilft nur eine gute Selbstinszenierung.
> D.h. die Emotionen anderer mit Powerpoint und Excel beschwichtigen zu
> können.

Wenn die Triebwerkssteuerung eines A350 ohnehin kaputt ist, wenn das 
Ding gegen eine Bergflanke fliegt, ist es also völlig sinnlos die MTBF 
mal vorher zu betrachten und Maßnahmen zu ergreifen die zu verbessern?

Ich kann also ruhig Schrott am Rande der max ratings verwenden, weil das 
Gerät ja ohnehin kaputt geht, wenn ein Panzer drüberfährt?

Interessant...
Hat einer von Euch mal versucht diese Perlen der Weisheit einem 
anspruchsvollen Kunden zu verklickern?
Also ich verwende z.B. keine Netzteile wenn keine annehmbare MTBF 
angegeben wird. Ich verwende auch keine 85°C Elkos mit 1000h Lebensdauer 
am Rande der max. Spannung.
Warum?
MTBF, ob berechnet oder übern groben Daumen geschätzt!
Das ist eben genau das was die Billigheimer nicht kümmert und deswegen 
hält deren Kram auch nicht.

Gegenüber einigen Kunden muß man seine MTBF Berechnung auch offenlegen, 
ebenso BOM, Schaltpläne, Layout + 100%tiger Materialrückverfolgbarkeit 
mit Chargennummern.

von Binki (Gast)


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oszi40 schrieb:
> Ein Blick durch die
> Wärmebildkamera bei Belastung ist bestimmt nicht schädlich.

Was für eine Wärmebildkamera hast du?

von udok (Gast)


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Prokrastinator schrieb:
> MTBF, ob berechnet oder übern groben Daumen geschätzt!
> Das ist eben genau das was die Billigheimer nicht kümmert und deswegen
> hält deren Kram auch nicht.

Das ist Blödsinn.  Sieht man sehr gut an PC Netzteilen.
Die sind auf so-billig-wie-nur-irgendwie-möglich getrimmt,
und haben kaum Ausfälle.
Das kann man sich in so einer Branche anscheinend nicht leisten,
da ist man ganz schnell raus aus dem Markt.

von Prokrastinator (Gast)


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udok schrieb:
> Das ist Blödsinn.  Sieht man sehr gut an PC Netzteilen.
> Die sind auf so-billig-wie-nur-irgendwie-möglich getrimmt,
> und haben kaum Ausfälle.
Herzliche Glückwunsch.
Du hast gerade die 'Honk des Tages' Auszeichnung verdient.

MTBF und Bauteile die 'lange genug' halten, sind sehr dicht miteinander 
verbunden.
'So billig wie möglich' inkludiert die Aussage, das es eben nicht 
'möglich' ist, Schrott zu verbauen wenn man an Systemhersteller und 
Poweruser verkauft, die sehr schnell aufhören zu kaufen, wenn die Marke 
erst verbrannt ist.

Ich tausche Dir genau einen Elko im PC Netzteil, gegen einen mit der 
gleichen Kapazität, der gleichen Spannungsfestigkeit, aber 25% des 
Preises des bisher verbauten Typen. Wird keine 2Monate halten. Dann 
diskutiere gerne noch mal mit mir, das PC Netzteil Hersteller 'so billig 
wie möglich' mit einziger Priorität auf den Preis bauen.

Das es sehr wohl viele Hersteller gibt, die MTBF kaum kümmert, sehen wir 
hier an den 'tausche die Elkos' Threads, bei relativ neuen Geräten.

von udok (Gast)


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Prokrastinator schrieb:
>> Das ist Blödsinn.  Sieht man sehr gut an PC Netzteilen.
>> Die sind auf so-billig-wie-nur-irgendwie-möglich getrimmt,
>> und haben kaum Ausfälle.

Ok, ist vielleicht schlecht rübergekommen.  Was ich damit sagen wollte,
ist dass der Preis nicht entscheidend für die Qualität ist.
Diese Fernost Hersteller schaffen es, mit billig Elkos gute Netzteile zu 
bauen.
Die Elkos werden genau für diesen Anwendungsfall ausgesucht,
und da sind kaum Reserven drin.  Aber es macht eben einen Untershied,
ob der Elko neben dem Kühlkörper plaziert wird oder nicht, oder ob man
zwei Elkos mit in Summe grösserer Oberflächte nimmt.
Wichtiger als eine praxisfremde MTBF Zahl ist eine funktionierende 
Qualitätskontrolle,
wo Fehler nicht nur zu den Akten geheftet werden,
sondern ernst genommen werden.  Wenn man natürlich Geld ohne Ende
zum verbraten hat, dann nehme ich auch den 3x so teuren Elko mit dem
schönen Rubicon Logo.

von Alex -. (alex796)


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Dumme Frage, aber wofür steht BE?

Gruß,

von udok (Gast)


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Keine Ahnung, aber Bauelemente könnte hinkommen?

von Christian S. (roehrenvorheizer)


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>Ich habe einige Spezielle Sachen in Handarbeit produziert. Typische
>Stückzahl: 1. Da kam oft die Frage, wie lange es angesichts der "wilden"
>Optik denn halten wird. Nun mache ich das seit 30 Jahren und kann diese
>Frage mit "Hält ewig" beantworten. Bisher haben alle Platinen so lange
>gehalten, bis sie aus anderen Gründen ausgedient hatten.

Ein schönes Beispiel für echte deutsche Wertarbeit. Andererseits waren 
die Aufbauten vermutlich bei Zimmertemperatur und erschütterungsfrei im 
Schrank aufbewahrt gewesen.

mfG

von Stefan F. (Gast)


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Christian S. schrieb:
> Andererseits waren die Aufbauten vermutlich bei
> Zimmertemperatur und erschütterungsfrei im Schrank aufbewahrt gewesen.

Ja, der Einsatzbereich war immer ein Raum im Büro oder einen 
Schaltschrank in einer Halle.

Eine Ausnahme: Treiber für Kamera-Antriebe hoch oben an wackeligen 
Masten. Für das Klima geeignete Gehäuse hat der Elektriker des Hafens 
besorgt, der kannte sich damit offenbar aus.

von Blame4Lame (Gast)


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Stütz-Elkos sind ein gutes beispiel wie MTBF  und 
Ausfall-wahrscheinlichkeit gegenläufig sind. Mehr MTBF bedeudet nicht 
unbedingt stabileres System.

Da haben mal die Chinesen bei einen FPGA-Design alle Stütz-kondensatoren 
weggelassen und gehofft, das die Kapazität des PCB's ausreicht. Das 
haben die auch vorher an einen Evalboard getestet wo sie alle Sieb-elkös 
entlöteten.
Und mit weniger BE und Lötpunkten ist die MTBF besser.

Und dann haben sie ganz dumm geguckt, als die Kombi aus 'optimierten' 
Schaltungs-Design (keine Kerkos), 'optimiertesn' PCB (Weniger Lagen, 
Fläche) und 'optimierter' Stromversorgung (kleiner Pufferelko, 
Wandwarze) nicht tat ...
Typischer Fall von 'Kaputt-Optimiert' ...

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