Forum: Analoge Elektronik und Schaltungstechnik Übermoment eines Motors


von HansP. (Gast)


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Hallo Forum,

Diskussion zwischen 2 Technikern... mit offenen Ende.

Es geht um einen Antrieb der es nicht immer anlaufen möchte weil er das 
Losbrechmoment nicht überwindet. Dieser Motor wird über einen FU 
Betrieben.

Für den Fall das der Motor bei 50Hz betrieben werden soll meint

Kollege A:
Der FU hat die Möglichkeit für ein Übermoment. Die Danfoss Fibel sagt:

"...Bei Anwendungen mit konstant hohem Drehmoment sind meist noch
Anforderungen für die Beschleunigung bzw. bei Schweranlauf zu beachten. 
Der Frequenzumrichter muss dann in der Lage sein, dem Motor für kurze 
Zeit, über das Motornennmoment hinaus, zusätzliche Antriebskraft zur 
Verfügung zu stellen, um beispielsweise eine Pumpe, in der sich Schlamm 
gesammelt und abgesetzt hat, loszubrechen. Dieses kurzzeitig maximal zur 
Verfügung stehende Moment wird als Übermoment bezeichnet."

Kollege B:
Ein FU kann aus dem Motor nicht mehr Drehmoment rausholen. Das wäre 
physikalisch nicht möglich. Darüber hinaus sei die Welle des Motors 
nicht für eine größeres Moment ausgelegt als das Nennmoment - somit 
würde, wenn ein FU tatsächlich mehr Drehmoment zur Verfügung stellen 
könnte, die Welle abreisen.
Das größte Moment erreicht der Motor wenn er direkt am Netz betrieben 
wird.

Welcher Kollege hat recht UND für den Fall das Kollege A (FU = 
Übermoment) recht hat, wie ist die technische/physikalische Begründung 
hierfür? Wie setzt der FU die "Physik des Motors außer Kraft" und stellt 
damit mehr Drehmoment zu Verfügung als er bei reinem Netzbetrieb im 
Anlaufmoment haben kann?

Grüße
HansP.

von Christian W. (orikson)


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Ich bin schon ein wenig draußen aus der Motorentechnik, aber soweit ich 
mich zurück erinnern kann ist das Drehmoment eines Elektromotors direkt 
proportional zum (Ereger)strom. Doppelter Strom, doppeltes Drehmoment. 
Das funktioniert zumindest so lange gewisse Grenzen eingehalten werden, 
wie etwa Sättingung oder Überhitzung

von Hermann S. (diphtong)


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Wie der Kollege vorhin schon angemerkt hat, ist das Drehmoment direkt 
proportional mit dem Strom.
Wenn der Motor im Stillstand ist, kann der größte Strom fließen, da die 
höchste Wirkspannung an den Windungen anliegt, da keine gegen-EMK 
erzeugt wird.

Was bedeutet jetzt mehr Drehmoment rausholen? Ich würde mal behaupten, 
dass der FU auch nicht mehr Spannung auf den Motor geben kann, als auch 
ohne FU -> genauso viel Spannung bedeutet ja auch der gleiche Strom im 
Fall 0 rpm, also gleiches Drehmoment als ohne FU.

Also würde ich mal sagen...Kollege B hat Recht.

von Wahlschweizer (Gast)


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Vor >20 Jahren habe ich mal von SEW einen Antrieb für eine Hubstanze 
auslegen lassen. Herausgekommen ist ein Motor mit 4kW an einem Umrichter 
mit 7,5kVA. Erklärung von SEW: Man kann den Motor kurzzeitig Überlasten 
bzw. mehr als das Nennmoment "herausholen". Den dafür nötigen Strom muss 
der Umrichter bringen können, deshalb der vermeintlich zu starke 
Umrichter. Hat in der Praxis dann auch einwandfrei funktioniert.

von Jochen S. (jochen_s97)


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Ist hier das Kippmoment gefragt, ich gehe hier mal davon aus, dass es um 
eine ASM geht:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kipppunkt_(Asynchronmaschine)

von re (Gast)


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HansP. schrieb:
> Wie setzt der FU die "Physik des Motors außer Kraft" und stellt
> damit mehr Drehmoment zu Verfügung als er bei reinem Netzbetrieb im
> Anlaufmoment haben kann?

(a) Wenn der FU mit einem DC-Zwischenkreis arbeitet, kann er bei 
entsprechender Auslegung durchaus in der Lage sein, mehr Spannung zur 
Verfügung zu stellen, als man erhalten würde, wenn man den Motor direkt 
an das Netz anschließt.

(b) Der FU kann den Motor mit einer gegenüber dem direkten Netzanschluss 
niedrigeren Frequenz ansteuern, so dass bei gleicher Spannung mehr Strom 
fließt. -> Mehr Moment.

Was davon der FU tatsächlich kann, sagt das Datenblatt des konkreten 
FUs.



HansP. schrieb:
> Darüber hinaus sei die Welle des Motors nicht für eine größeres Moment
> ausgelegt als das Nennmoment - somit würde [...] die Welle abreisen.

Grundsätzlich gesehen schon. Aber wir reden typischerweise über 
zweistellige Prozentbeträge. Ob die tatsächlich schon jenseits der 
konstruktiven Sicherheitsmargen liegen, sagt das Datenblatt des 
konkreten Motors.



Ergo: "Read-The-*******-Manuals" ;-)

HTH
(re)

von Günni (Gast)


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Ich bin verwirrt! Um was für einen Motor handelt es sich eigentlich?
Bei einem Reihenschlussmotor ist das Drehmoment im Anlauf besonders 
hoch, da bei Stillstand noch keine Gegen-EMK entsteht und deshalb auch 
der Strom durch die Erregerwicklung hoch ist. Bei einem 
Nebenschlussmotor kann man das Drehmoment erhöhen, indem man den 
Erregerstrom höher macht. Dann sinkt aber im Gegenzug die Nenndrehzahl. 
Bei beiden Motortypen macht ein Frequenzumrichter "normalerweise" wenig 
Sinn.

Frequenzumrichter sind für Drehstrommotoren geeignet, da sie die 
Frequenz des Drehfeldes ändern. Bei Drehstrommotoren gibt es asynchrone 
und synchrone Motoren. Die Bemerkungen vom Kollegen A passen zu 
synchronen Drehstrommotoren, deren Anlauf bei niedriger Drehfeldfrequenz 
beginnt, damit der Motor dem Drehfeld folgen kann. Dann wird die 
Drehfeldfrequenz erhöht, bis der Motor die gewünschte Drehzahl hat.

Asynchronmotoren haben ein niedriges Anlaufmoment, da zuerst 
hauptsächlich Blindleistung übertragen wird. Erst wenn der Widerstand im 
Läufer hochohmiger ist, ist das Anlaufmoment größer, dafür sind die 
Verluste im Betrieb höher. Deshalb gibt es Motoren mit offenem 
Läuferkreis, an den von außen Widerstände angeschaltet werden können. 
(Höhere Widerstandswerte für ein besseres Anlaufverhalten, niedrigere 
wenn der Motor läuft.)

Noch komplexer wird das Verhalten eines Kondensatormotors bei 
unterschiedlichen Frequenzen, da die durch den Kondensator bewirkte 
Phasenverschiebung von der Frequenz abhängig ist.

von Egon D. (Gast)


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HansP. schrieb:

> Kollege B:
> Ein FU kann aus dem Motor nicht mehr Drehmoment rausholen.
> Das wäre physikalisch nicht möglich.

Konkrete Begründung?


> Darüber hinaus sei die Welle des Motors nicht für eine
> größeres Moment ausgelegt als das Nennmoment - somit würde,
> wenn ein FU tatsächlich mehr Drehmoment zur Verfügung
> stellen könnte, die Welle abreisen.

Und kilometerweit ragt der Elfenbeinturm in die Landschaft...

(Wenn jemand auf Not-Aus drückt und der Antrieb etwas unsanft
stillgesetzt wird, reisst jedesmal die Motorwelle ab?!)


> Das größte Moment erreicht der Motor wenn er direkt am
> Netz betrieben wird.

Das ist für den Anlaufmoment höchstwahrscheinlich falsch.

Begründung: Das Drehmoment hängt (auch) von der Läuferfrequenz
ab; das sieht man daran, dass das Kippmoment (Läuferfrequenz
gleich Schlupf, also nur ein paar wenige Hertz) HÖHER ist als
das Anlaufmoment (Läuferfrequenz gleich 50Hz).

Im Anlaufmoment wäre also eine (deutlich!) niedrigere Frequenz
als 50Hz günstiger.


> Welcher Kollege hat recht UND für den Fall das Kollege A
> (FU = Übermoment) recht hat, wie ist die technische/
> physikalische Begründung hierfür?

Steht oben: Änderung der Frequenz.


> Wie setzt der FU die "Physik des Motors außer Kraft"

Gar nicht.


> und stellt damit mehr Drehmoment zu Verfügung als er
> bei reinem Netzbetrieb im Anlaufmoment haben kann?

Naja, man bürstet den Motor nur nicht gegen den Strich.

von Wühlhase (Gast)


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Erstmal: Grundsätzlich kann der FU auch nur die Reserven rausholen, die 
der Konstrukteur im eingebaut hat. Das kann mal mehr, mal gar nix sein. 
Spätestens wenn der Eisenkreis in Sättigung geht, ist Schluß.


Dann: Was für ein Motor? Ich gehe mal einfach frech von einer ASM aus.
Mit einem FU kann man durchaus Nennmoment mit niedrigen Spannungen und 
niedrigen Drehzahlen erreichen. Das ist erstmal eine Frage des 
Schlupfes. Strom und Drehfeldfrequenz kann ein FU recht variable 
einstellen, und höhere Spannung als Netzspannung kann er auch zur 
Verfügung stellen - wenn er es kann. Bei niedrigen Drehzahlen ist eine 
höhere Spannung aber überhaupt nicht notwendig, vielmehr eine 
vernünftige Stromregelung.
Wie gesagt...Drehfeldfrequenz zu Motorfrequenz, das ist der Parameter 
aus dem (bei einer ASM) das Drehmoment geholt wird.

von Armin X. (werweiswas)


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HansP. schrieb:
> Kollege B:
> Ein FU kann aus dem Motor nicht mehr Drehmoment rausholen. Das wäre
> physikalisch nicht möglich. Darüber hinaus sei die Welle des Motors
> nicht für eine größeres Moment ausgelegt als das Nennmoment - somit
> würde, wenn ein FU tatsächlich mehr Drehmoment zur Verfügung stellen
> könnte, die Welle abreisen.
> Das größte Moment erreicht der Motor wenn er direkt am Netz betrieben
> wird.

Das ist genauso falsch wie die immer wieder gewünschte Eigenschaft von 
Sicherungen die bei genau XXA auslösen sollen.
Daher muss man auch hier sagen: "Es kommt darauf an"....

Fakt ist, dass das Nennmoment bestimmt wird bei Nennstrom bei dem eine 
bestimmte Erwärmung während dem vorgesehenen Betrieb nicht überschritten 
wird.
Das kann bei nur sehr kurzzeitigem Bertrieb durchaus der doppelten 
Nennleistung gegenüber der bei Dauerbetrieb entsprechen.

: Bearbeitet durch User
von HansP. (Gast)


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Hallo,

danke für die bisherigen Antworten.

Ja, es ist ein Drehstrom-Asynchron-Motor.

Grüße

von TotoMitHarry (Gast)


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Wenn der Motor das mitmacht kann man über den FU das Anlaufdrehmoment 
schon erhöhen.

Angenommen der Motor ist mit Vorsicherung abgesichert ohne FU, dann 
fliegt die Vorsicherung sofort bei Blockade. Das Anlaufmoment ist gleich 
null wenn die Sicherung kommt, vielleicht rückt er sich kurz frei aber 
die Sicherung ist raus.

Bei den meisten FUs kann man den Anlaufstrom zum Beispiel auf 150% 
konfigurieren bzw. Begrenzen, der Motor wird niederfrequent
bei 150% Strom eingekoppelt. Wenn man diverse Parameter wie Rampe, 
schlupf und Stromüberwachung richtig setzt kann das klappen.

Ich kenne das von SEW, da wird ein 230v Dreieck Motor über den 87 Hz 
Betrieb bis 400v angefahren, dadurch erreicht dieser viel früher sein 
Normales Drehmoment, muss aber Fremdbelüftet werden.

von Günni (Gast)


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HansP. schrieb:
> Ja, es ist ein Drehstrom-Asynchron-Motor.

Das dachte ich mir bei meinen Ausführungen schon. Ein "üblicher" 
Asynchronmotor hat - wie ich geschrieben hatte - ein verringertes 
Anlaufmoment. Wenn man den Widerstand im Kurzschlussläufer erhöht, wird 
das Anlaufmoment bei niedrigen Drehzahlen höher (siehe Wikipedia-Artikel 
"Widerstandsläufer" ( 
https://de.wikipedia.org/wiki/Widerstandsl%C3%A4ufer_(Elektromotor) ). 
Das Prinzip, den Widerstand nur beim Anlauf zu erhöhen ist bei Wikipedia 
ebenfalls beschrieben unter dem Begriff "Schleifringläufer" ( 
https://de.wikipedia.org/wiki/Schleifringl%C3%A4ufermotor ).

von Udo S. (urschmitt)


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Günni schrieb:
> Das dachte ich mir bei meinen Ausführungen schon. Ein "üblicher"
> Asynchronmotor hat - wie ich geschrieben hatte - ein verringertes
> Anlaufmoment. Wenn man den Widerstand im Kurzschlussläufer erhöht, wird
> das Anlaufmoment bei niedrigen Drehzahlen höher

Das Ding hängt an einem Umrichter, der kann mit entsprechend niedriger 
Frequenz anfahren, so daß das Problem des niedrigeren Anlaufmoments bei 
Stillstand und 50Hz Netzfrequenz hier kein Problem ist.

@HansP.
Du verwechselst munter Nennmoment (max dauerhaft abzugebendes Moment bei 
Nenndrehzahl) mit dem Kippmoment (max. erzielberes Drehmoment, nur 
kurzzeitig, da ansonsten thermische Überlastung)

Natürlich kann eine ASM kurzzeitig deutlich überlastet werden. und 
lieferet dann eben auch ein Moment das größer ist als das Nennmoment.
Und natürlich ist die Mechanik auch auf das Kippmoment ausgelegt.
Allerdings muss der Umrichter kurzzeitig entsprechend mehr Strom bringen 
können. Siehe die Ausführung vom "Wahlschweizer" oben.

: Bearbeitet durch User
von Pandur S. (jetztnicht)


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Natuerlich kann man ein Stueck mehr Anlaufmoment rausholen. Heftig mehr. 
Eigentlich bis zum Kipmoment mehr, so weit sollt man ihn aber nicht 
betreiben. Einfach dran denken, dass der Motor bein Nenndrehzahl 
Nennmoment liefert. Dort sollte das Eisen und der Kurzschlusskreis noch 
sehr im linearen Teil bleiben. Ich wuerde denken, dass das Ueberlast 
drehmoment irgendwo bei 3-10fach liegt. Begrenzt durch den FU.

von Günni (Gast)


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Udo S. schrieb:
> Das Ding hängt an einem Umrichter, der kann mit entsprechend niedriger
> Frequenz anfahren, so daß das Problem des niedrigeren Anlaufmoments bei
> Stillstand und 50Hz Netzfrequenz hier kein Problem ist.

Nun ja, so ganz stimmt das nicht. Für die Drehmomentkennlinie ist die 
Skierung der x-Achse der Quotient Drehzal dividiert durch Drehzahl des 
Drehfeldes. D.h., dass bei Stillstand (Drehzahl Null) der Quotient auch 
bei sehr geringer Drehfelddrehzahl immer noch Null ist. Dieser 
Drehmomentwert ändert sich somit nicht. Sobald aber der Motor anfängt 
sich zu bewegen, steigt das Drehmoment schnell an. Das ist der große 
Vorteil der Frequenzumrichter. In der Praxis reichen oftmals Vibrationen 
erzeugt durch die Rückwirkung zwischen Drehfeld und Kurzschlussläufer, 
um wie eine geringe "Anfangsdrehzahl" zu wirken. Aber sehr 
vibrationsarme Konstruktionen haben diesen "Vorteil" nicht. Das 
Verhalten hängt also immer noch von dem speziellen Aufbau des Motors ab. 
So gibt es Läuferkonstruktionen, bei denen die Kurzschlussstäbe 
teilweise aus schlechter leitendem Aluminium und gut leitendem Kupfer 
bestehen - fertigungstechnisch allerdings deutlich aufwändiger als die 
(besonders bei kleineren Motoren) üblichen Kurzschlussläufer, bei denen 
Aluminiumlegierungen in die Nuten der Bleche gegossen werden.

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