Forum: Offtopic Arbeitssicheres / Sicheres Arbeiten mit Prototypen, wie macht ihr das bei euch?


von Benito P. (benito_juarez)


Lesenswert?

Hallo Leute,
wir sind ein kleines Ingenieur-Büro im Südwesten von D. Und aktuell 
stellt sich die Frage, wie man die Arbeitssicherheit im Arbeiten mit 
Prototypen sicherstellt. Gerade, wenn ein Gehäuse offen ist, ist es ja 
"rein theoretisch" möglich, dass man z.B. an 230V-führende Kabel am 
Netzfilter langt.  Nun bringt der Elektroniker und Elektrotechniker 
ausreichend Qualifikation mit, die ihn zu einem sicheren Umgang damit 
ausbildet. Was ist aber mit dem Software-Ingenieur. (Natürlich wissen 
unsere Software-Entwickler auch, wie sie arbeiten müssen, es geht mir 
eher um rechtliche Sicherheit).
Muss dieser eine entsprechende Qualifikation nachweisen? Reicht als 
Unterweisung eine Betriebsanweisung oder müssen auch zusätzliche 
Maßnahmen z.b. zur "Abdeckung des Netzfilters" vorgenommen werden. Wie 
handhabt ihr solche Maßnahmen bei euch?

Danke für jeden Input!

von Christian B. (luckyfu)


Lesenswert?

Wir versuchen das so berührungssicher wie möglich zu gestalten, auch im 
offenen Gerät. Also z.B. der angesprochene Netzfilter: Die an und 
Abgänge zu diesem sind bei uns prinzipiell mit Isolierten Kabelschuhen 
ausgeführt. Nichtsdestotrotz erfolgt eine Einweisung der Kollegen, was 
wo ist. Wenn es mal nicht möglich ist, die Arbeiten direkt an der 
Netzspannung zu umgehen (Wegen Messungen o.ä.) nutzen wir Trenntrafos. 
Nichtsdestotrotz gibt es ca. 1mal alle 5 Jahre eine "Stromunfall" der 
aber bis dato nur die Elektrisch ausgebildeten Personen betraf...

Achja, bis dato ist das immer glimpflich ausgegangen

von Achim M. (minifloat)


Lesenswert?

Ist es notwendig, dass das Netzteil offen betrieben wird oder kann das 
in einen extra Kasten rein? Mit letzterem doch überhaupt kein Problem. 
Oder speziell für die Softwareentwicklung eben den Netzteilkram 
lahmgelegt und aus einem Mehrfach-Labornetzteil gespeist.

Außerdem, wenn die 230V unbedingt nötig sind (z.B. 
Balkonkraftwerk-Umrichter), ließe sich eine modifizierte Hardware und 
ein HIL bauen und alles bei kleineren berührsicheren Spannunngen 
betreiben. So einen an jeden SW-Entwicklerplatz.
Daneben braucht man einen System-HIL, wo alles offen, aber z.B. mit 
einer Plexiglas-Haube abgedeckt ist. Haube offen führt mit 
Sicherheitschaltung zu "kein 230". Haube entriegeln 10sek nach 
Ausschalten usw.
Für'n Debugger würde ich am System-HIL eine galvanische USB-Trennung 
vorsehen.

Sergej P. schrieb:
> Muss dieser eine entsprechende Qualifikation nachweisen? Reicht als
> Unterweisung eine Betriebsanweisung

Überaus wichtig ist, die Schulungen zu dokumentieren. Wann 
stattgefunden, wer war anwesend, Unterschriftenliste mit "inhaltlich 
verstanden".
Ich würde darauf abzielen, dass die Softwerker zumindest dokumentiert 
EUP sind.

Zusätzlich dokumentiert alles bereitstellen, damit die Softwerker bequem 
und sicher arbeiten können (Benachbarte unter Spannung stehende Teile 
abdecken oder abschranken 😉 kennste)

mfg mf

: Bearbeitet durch User
von Dieter D. (Firma: Hobbytheoretiker) (dieter_1234)


Lesenswert?

Sergej P. schrieb:
> Reicht als Unterweisung eine Betriebsanweisung oder ...

Nein das reicht nicht. Wundert mich nur, dass die Berufsgenossenschaft 
Euch noch nicht aufgeklärt hat.

Zum Beispiel - Arbeiten unter Spannung - Schulung DGUV V3
Schau mal beim TÜV, VDE, usw.

von Christian B. (luckyfu)


Lesenswert?

Achim M. schrieb:
> Außerdem, wenn die 230V unbedingt nötig sind (z.B.
> Balkonkraftwerk-Umrichter), ließe sich eine modifizierte Hardware und
> ein HIL bauen und alles bei kleineren berührsicheren Spannunngen
> betreiben. So einen an jeden SW-Entwicklerplatz.

das funktioniert nur ganz am Anfang, bei komplexer werdenden Geräten ist 
es irgendwann nicht mehr möglich, das auf einer Art dummy zu entwickeln. 
Man muss in das Fertige Gerät auch um dort Fehler zu finden, welche es 
im Dummy prinzipbedingt nicht geben kann.

von Benito P. (benito_juarez)


Lesenswert?

Danke, sind ein paar gute Impulse dabei!

Achim M. schrieb:
> Ist es notwendig, dass das Netzteil offen betrieben wird oder kann das
> in einen extra Kasten rein?

Das ist eher selten der Fall, aber nicht immer ausgeschlossen, vor allem 
in ganz frühen entwicklungsphasen. Ich glaube insgesamt gehen die 
Gefahren dann wenn eher von mechanischen Objekten, Antriebsbewegungen 
u.ä. aus.

Christian B. schrieb:
> Nichtsdestotrotz gibt es ca. 1mal alle 5 Jahre eine "Stromunfall" der
> aber bis dato nur die Elektrisch ausgebildeten Personen betraf...

ist so ähnlich bei uns. der letzte Unfall ist mindestens 7 jahre her,

von Christoph Z. (christophz)


Lesenswert?

Achim M. schrieb:
> Überaus wichtig ist, die Schulungen zu dokumentieren. Wann
> stattgefunden, wer war anwesend, Unterschriftenliste mit "inhaltlich
> verstanden".
> Ich würde darauf abzielen, dass die Softwerker zumindest dokumentiert
> EUP sind.

Ja, das ist ein wichtiger Punkt bezüglich Haftung und 
Versicherungsleistung etc. Sollte auch nach 1-2 Jahren aufgefrischt 
werden.

Relevant für solche Prüf- und Testplätze ist die EN50191.
Generell ist das eine moderne Norm die nach Risikoanalyse fragt und 
verlangt, dass darauf aufbauend Massnahmen getroffen werden. Ist z. B. 
bei Lasersicherheit auch so.

Einen Überblick über die Norm und ein paar Vorschläge wie man damit 
umgehen kann gibt es z. B. von Herstellern passender Gerätschaften (Die 
Norm kostet ja Geld). Dieses PDF hat ganz praktische Flussdiagramme etc. 
drin:
https://www.seaward.com/gb/downloads/Seaward-EN50191-Guidance-Booklet.pdf

von Thorsten M. (pappkamerad)


Lesenswert?

Unabhängig von den Vorschriften finde ich Warnzeichen immer wichtig. Und 
zwar nicht einfach großzügig verteilt, sondern genau dort, wo die Gefahr 
auch besteht. Und auch nicht (nur) auf dem Gehäusedeckel, den man dann 
für die Versuche weglegt.

von Achim M. (minifloat)


Lesenswert?

Christian B. schrieb:
> das funktioniert nur ganz am Anfang, bei komplexer werdenden Geräten ist
> es irgendwann nicht mehr möglich, das auf einer Art dummy zu entwickeln.

Daher hatte ich auch zusätzlich einen System-HIL vorgeschlagen, der 
trotzdem Software-debuggen zulässt.

mfg mf

von Fpgakuechle K. (Gast)


Lesenswert?

Sergej P. schrieb:
>  Was ist aber mit dem Software-Ingenieur. (Natürlich wissen
> unsere Software-Entwickler auch, wie sie arbeiten müssen, es geht mir
> eher um rechtliche Sicherheit).

Etwas zu wissen bedeutet nicht nach diesem Wissen im passenden Moment zu 
handeln. Ich hab schon mehrmals Informatikabsolventen erlebt, die die 
Bananenstecker statt ins Labornetzteil ins die Steckdose steckten ...
oder den scopeeingang schrotteten weil keine 50 Ohm Terminierung. Oder 
ESD-Blitze um sich zogen wie Thor in Gewitterlaune ...

Apropo wissen, wir lauten die 5 Sicherheitsregeln?! Zack, ohne Pause 
aufsagen - auch wenn es hier um eine bewusste Verletzung derselben geht, 
muß man sie kennen.

Und als Zusatzfrage Welche Kabelfarbe zeigt die 'gefährlichste' Leitung 
im Schaltschrank an? Tipp: es ist nicht nach Schwarz, blau oder rot 
gefragt.

Zusätzlich zu dem oben gesagten:
Notausschalter und zweite Person im Raum haben, wenn an offenen 
Netzteilen gearebitet wird. Das heisst auch das man nicht alleine daran 
arbeiten sollte, auch als ET-Erfahrener nicht. Und das der weiteren 
Person Blickkontakt ermöglicht wird, also die offene Elektronik nicht 
samt zugeordneten Codierschwein ins Cubicle oder Besenkammer verbannen. 
Übermüdet oder unter Drogen/Medics sollte man auch nicht stehen.

Direkt Umbau- und Messarbeiten sollte immer der ET'ler unter dem 
Personal machen. Falls es nur 'reinblütige Infoticker' im Team gibt, 
dann hilft es wenigstens, wenn immer derselbe diese Arbeiten macht, 
damit wenigstens einer dürch häufiges doing Erfahrung aufbauen kann. 
Natürlich sollte es kein Farbenblinder sein.

Und Trinkflaschen o.ä. nur geschlossen in die Nähe von der Todesfalle 
bringen., kein gefüllter Kaffepott oder andere Programmierstatussymbole 
;-)

von Thorsten M. (pappkamerad)


Lesenswert?

Fpgakuechle K. schrieb:
> Notausschalter und zweite Person im Raum haben, wenn an offenen
> Netzteilen gearebitet wird. Das heisst auch das man nicht alleine daran
> arbeiten sollte, auch als ET-Erfahrener nicht. Und das der weiteren
> Person Blickkontakt ermöglicht wird, also die offene Elektronik nicht
> samt zugeordneten Codierschwein ins Cubicle oder Besenkammer verbannen.

Finde ich zwiespältig. Zu zweit an einem Gerät zu arbeiten birgt die 
Gefahr von Missverständnissen und Unkonzentriertheit. Ich würde fast 
sagen, dass das die doppelten Augen nicht aufwiegen können. Eine Hand 
auf dem Notaus spricht dann wieder für die zweite Person, dann aber in 
ordentlichem Abstand.

von Fpgakuechle K. (Gast)


Lesenswert?

Thorsten M. schrieb:
> Eine Hand
> auf dem Notaus spricht dann wieder für die zweite Person, dann aber in
> ordentlichem Abstand.

Die wortwörtliche 'Hand am Notaus' muss es nicht sein, aber die 
Anwesentheit einer zweiten Person die im Notfall einfach und sicher 
Spannungsfreiheit herstellen kann, ist nicht verhandelbar. Das ergibt 
sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Andernfalls muß der AG 
selbst für die Hinterbliebenden/Reha aufkommen.

> Finde ich zwiespältig. Zu zweit an einem Gerät zu arbeiten birgt die
> Gefahr von Missverständnissen und Unkonzentriertheit. Ich würde fast
> sagen, dass das die doppelten Augen nicht aufwiegen können.

Ja solche Personen mag es geben. Die richtige Konsequenz in diesem Fall: 
Diese Personen dürfen unter keinen Umständen an nichtabgedeckten Geräten 
unter gefährlicher Spannung arbeiten, es wird ihnen explizit verboten. 
Es  ist halt nicht jeder für diesen Job geeignet.

von Christian B. (luckyfu)


Lesenswert?

Fpgakuechle K. schrieb:
> Die wortwörtliche 'Hand am Notaus' muss es nicht sein, aber die
> Anwesentheit einer zweiten Person die im Notfall einfach und sicher
> Spannungsfreiheit herstellen kann, ist nicht verhandelbar. Das ergibt
> sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Andernfalls muß der AG
> selbst für die Hinterbliebenden/Reha aufkommen.

Das ist bei uns auch Vorschrift. Wenn jemand im Gerät arbeitet muss ein 
2. im Labor sein (Der kann da freilich seinen eigenen Aufgaben 
nachgehen, muss also nicht an der Selben Maschine arbeiten) im Labor 
gibt es 2 Not Aus Schalter, welche alle Steckdosen abschalten. Die 
werden abends sowieso immer aktiviert, damit man nicht über Nacht oder 
gar Wochenende ein Gerät unbeaufsichtigt im Betrieb lässt (niemand will 
einen marodierenden Laser im Raum haben, auch Brände sind nicht so toll 
(weder elektrisch ausgelöste noch durch Laserstrahlung initiierte, 
letzteren hatten wir definitiv schon -> Anwenderfehler))

von Fpgakuechle K. (Gast)


Lesenswert?

Christian B. schrieb:
> (niemand will
> einen marodierenden Laser im Raum haben,

Interessanter Aspekt - wie hält man die eine Forderung nach Blickkontakt 
und die ander Forderung nach Laserschutz durch optisch dichte 
Abschirmung gleichzeitig ein?

Ich kenn da eine Firma, da gab es in der grossen Halle mehrere durch 
dicke und lange Vorhänge abgegrenzte Bereiche in denen am Laser 
gearbeitet wurde. Wahrscheinlich hat in diesem Fall genügt, daß man 
akkustisch mitbekam, was bein Nachbarn hinter dem Vorgang grad abging.

Aber das sollte doch eher ein Sonderfall sein und an solchen Geräten 
sollte man nie live debuggen, da muss Logfile, (Spgs-)Monitoring, Daten 
rekorder und Kamera genügen. Oder eben Szenario Nachstellen am 
Dummy/Simulator.

von Christian B. (luckyfu)


Lesenswert?

Fpgakuechle K. schrieb:
> Interessanter Aspekt - wie hält man die eine Forderung nach Blickkontakt
> und die ander Forderung nach Laserschutz durch optisch dichte
> Abschirmung gleichzeitig ein?

Da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen.
Zum einen muss nicht immer eine Laserstrahlung emitiert werden (1), wenn 
man am Gerät arbeitet. In dem Fall wird entweder ein Diodendummy 
verwendet (selten), der Resonator mit Hilfe einer Visitenkarte blockiert 
oder das Laser emmitierende Teil wird direkt in einen Absorber gelenkt 
und mit Hilfe eines "Laserschutzkartons" die dennoch entstehende 
Streustrahlung absorbiert.
Wenn direkt am Laser gearbeitet wird, dann geschieht das in separaten 
Räumen, die spezifische Sicherheitsmaßnahmen haben, damit man nicht 
einfach so in den Laser blicken kann und Streustrahlung ebenso auf ein 
ungefährliches Maß reduziert wird. Das geht mit der Ausrichtung los und 
endet bei optischen und akustischen Warnungen, dazwischen gibt es noch 
elektronische Abschalteinrichtungen.

(1) Tatsächlich ist das nur während der Programmierung der 
Energiemessung und Regelung notwendig, das ist aber nur ein kleiner 
Teil, da die Geräte neben dem Laser eben auch noch Optiken Steuern, die 
Kühlung kontrollieren, ein GUI mit Daten versorgen und so weiter. Da 
sind normativ auch viele Sachen zu programmieren, die mit der 
Laserstrahlung an sich gar nichts zu tun haben. Wenn ich z.B. an einer 
Abschalteinrichtung arbeite, brauch ich keinen aktiven Laser und kann 
diesen deshalb blockieren.

: Bearbeitet durch User
von Reinhard S. (rezz)


Lesenswert?

Christian B. schrieb:
> Die
> werden abends sowieso immer aktiviert, damit man nicht über Nacht oder
> gar Wochenende ein Gerät unbeaufsichtigt im Betrieb lässt (niemand will
> einen marodierenden Laser im Raum haben, auch Brände sind nicht so toll
> (weder elektrisch ausgelöste noch durch Laserstrahlung initiierte,
> letzteren hatten wir definitiv schon -> Anwenderfehler))

Darf man der Neugier halber Fragen was du für Produkte entwickelst?

Bitte melde dich an um einen Beitrag zu schreiben. Anmeldung ist kostenlos und dauert nur eine Minute.
Bestehender Account
Schon ein Account bei Google/GoogleMail? Keine Anmeldung erforderlich!
Mit Google-Account einloggen
Noch kein Account? Hier anmelden.