Forum: Mikrocontroller und Digitale Elektronik Arduino/IMU in der Schule ?


von Reiner D. (dollreiner)


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Frage an die Praxisleute :

Inwieweit sich die Kombi aus Arduino und einem IMU-Sensor im Kontext 
einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt.

Ein Auto fahren lassen mit PWM und 'ner H-Brücke ist ja kein Ding, zur 
Not kriegt man auch einen 2-Punkt Regler mit Optik zum "fahren an der 
Linie" hin.

Ist ohne know-how auf diesem Gebiet (Wissen über Probleme wie 
Offsetfehler, digitale Filter, Sensorfusion usw.) auch ein Einsatz von 
IMU-Sensorik möglich ? Kann man z.b. an einem Modellauto mit einem 
Beschleunigungssensor über Integration ohne Tüftelei auf Geschwindigkeit 
und Weg schließen ?

Hat jemand da Praxiserfahrung, sowas schon mal versucht ?

von F. (radarange)


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Du überschätzt Kenntnisse an allgemeinbildenden Schulen.
Hardware und deren Programmierung sind nicht-trivial und brauchen viel 
Zeit, an allgemeinbildenden Schulen kann aufgrund der Breite des 
Lehrplans und der wenigen Zeit, die einzelnen Themen zusteht, nicht so 
in die Tiefe gegangen werden.

Es gibt ja genügend Material, das sich an Schüler richtet. Microbit, 
Calliope, auch manche Arduino-Sachen. Dort wirst du einfachste Aufgaben 
finden, die aber dem Schulniveau angemessen sind. Du musst dich auch 
immer fragen, was du eigentlich vermitteln willst. Die Inhalte, die du 
vermitteln willst, sollten mit so geringer technischer Komplexität wie 
möglich kommuniziert werden, da bei jeder zusätzlichen Komponente, jedem 
zusätzlichen tool, jedem zusätzlichen Schritt jedes Mal die Gefahr 
besteht, dass es länger dauert und nicht funktioniert, Schüler den Fokus 
verlieren und nicht mehr mitkriegen, worum es eigentlich geht.
Sieh alles, was nichts unmittelbar mit deinen Inhalten zu tun hat, als 
"black box". Schüler sollen kein fundamentales Verständnis dafür 
kriegen, sondern das mal gesehen haben und vielleicht Interesse dafür 
bekommen.

Die Beschäftigung mit einer IMU halte ich übrigens aufgrund der 
komplexen Signalauswertung, der schwer zu erklärenden Sensorik, des 
starken Rauschens und der hohen Komplexität des "Drumherums" für relativ 
schlecht geeignet, um Schülern irgendwas zu vermitteln. Überlege dir, 
was du vermitteln willst und finde dann möglichst einfache 
Möglichkeiten, das umzusetzen.

von Michael D. (michael86)


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Reiner D. schrieb:
> Inwieweit sich die Kombi aus Arduino und einem IMU-Sensor im Kontext
> einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt.

Kannst du grundsätzlich machen. Aber auf wie lange ist das Projekt 
ausgelegt?
Ich bin ET-Student und nebenbei im Job arbeite ich an einem ähnlichen 
Projekt und habe nach ca. 6 Monaten immer noch relativ wenig vorzuzeigen 
(ok, mein Projekt ist auch etwas komplexer aber trotzdem).

Reiner D. schrieb:
> Ist ohne know-how auf diesem Gebiet (Wissen über Probleme wie
> Offsetfehler, digitale Filter, Sensorfusion usw.) auch ein Einsatz von
> IMU-Sensorik möglich ? Kann man z.b. an einem Modellauto mit einem
> Beschleunigungssensor über Integration ohne Tüftelei auf Geschwindigkeit
> und Weg schließen ?

Nein, aber dieses Knowhow kannst du dabei erwerben. Sollte das nicht das 
Ziel sein? Etwas anspruchsvoller als ein Arduino Skript hochladen sollte 
es schon sein.
Ohne Filterung hat meine IMU eine Drift von ca. 40+ km innerhalb weniger 
Stunden. Wohlgemerkt im Stillstand, in Bewegung will ich es gar nicht 
wissen. Du brauchst mindestens einen Tiefpass-Filter (Butterworth hat 
sich als brauchbar erwiesen). Besser Kalman Filter. Sind an sich nur ein 
paar Zeilen Code, aber der ist eine ziemliche Herausforderung 
einzustellen.
Wenn es nicht besonders genau sein soll, kannst du über Integration die 
Geschwindigkeit wenigstens halbwegs gut schätzen.
Meinst du mit Weg wirklich nur Weg oder Position? Eine IMU kann dir 
keine Position ermitteln, sondern nur den Vector von vorheriger Position 
zu aktueller Position. Um eine absolute Position zu bekommen, brauchst 
du so etwas wie GPS zum Abgleich. Und dann bist du im Bereich Sensor 
Fusion. Wenn du noch weitere Sensoren einsetzt, solltest du die auf 
jeden Fall kombinieren, um zu testen, ob die Daten auch Sinn machen.

von Rainer W. (rawi)


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Michael D. schrieb:
> Du brauchst mindestens einen Tiefpass-Filter (Butterworth hat sich als
> brauchbar erwiesen).

Butterworth ist ein Analogfilter. In einem Abtastsystem bekommst du so 
einen Frequenzgang sowieso nur als Näherung (Stichwort Aliasing).

von Rahul D. (rahul)


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Wir haben damals (in den 1980er) am allgemeinbildenen Gymnasium in 
Informatik mit (Apple ][-) PCs LEDs leuchten lassen und Taster 
eingelesen.

Das Thema "Informatik" und Rechereinsatz zog sich von der 5. Klasse bis 
zum Ende durch.

Sowas könnte man auch als Einstieg mit Arduino realisiern (dafür ist das 
Zeug bestens geeignet).

Aber an irgendwelche aufwendigeren Filter- / Reglerberechnungen würde 
ich zu dem Zeitpunkt nicht denken. Sowas würde dann eher in eine AG mit 
passender Anleitung / Unterstützung statt des regulären Unterrichts 
passen.

Manche verzweifeln daren ja noch während des Studiums.

von Irgend W. (Firma: egal) (irgendwer)


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Reiner D. schrieb:
> im Kontext einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt.

Wenn die in der Lage sind, mit solcher Mathematik umzugehen, sollte das 
kein größeres Problem sein:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Kalman-Filter#Grundlagen

von Reiner D. (dollreiner)


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Das sind schon mal interessante Antworten.

Im Normalfall wird in allgemeinbildenden Schulen in Seminaren oder 
Wahlfächern oder Ähnlichem ein Fischertechnik-"Robot" optisch an einer 
Linie entlanggefahren. (Ich finde dieses Teil übel überteuert).

Als Basis sollte es möglich sein, mit dem Kompasssignal in 'ner 
Turnhalle einigermaßen geradeaus zu fahren ohne Strich auf dem Boden, 
Zuckerl ist hier der 360/0 - Übergang, den man ja mit der "richtigen" 
Zielvorgabe im Notfall auch umgehen kann ;-). Das sollte auch klappen 
können, ohne daß man je von PID oder so gehört hat.

Ziel dieser Frage hier war, ob schon mal jemand im Gymnasium mit 
Beschleunigungssensoren gespielt hat. An einschlägigen beruflichen 
Schulen schaut das natürlich ganz anders aus, aber darum gehts hier 
nicht.

: Bearbeitet durch User
von F. (radarange)


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Sorry, du verstehst es nicht. Was du vorschlägst, ist VIEL zu 
kompliziert.

Außerdem bringst du hier Begriffe durcheinander.

Also fangen wir mal sehr einfach an: Was sind deine Lernziele? Die 
Lernziele bestimmen alles Weitere. Was du stattdessen machst, ist an 
irgendwelchen Ergebnissen oder Technik-Komponenten festzuhalten, ohne 
dir darüber bewusst zu sein, welchen aus den Lernzielen motivierten 
Grund das eigentlich hat.

Du magst Fischertechnik oder andere Schul-Sachen für überteuert halten, 
das ist der Schule aber ziemlich egal, das Zeug wird einmal gekauft und 
dann eingesetzt. Die Komponenten sind robust und unproblematisch, 
wahrscheinlich gibt's auch noch gut ausgearbeitete und didaktisch 
durchdachte Unterlagen dazu.

Zur Begrifflichkeit: Eine IMU hat keinen Kompass. Wenn du noch einen 
Kompass verwenden willst, beachte bitte, dass der durch Motoren und 
andere Metallteile gern gestört wird. Sinnvollerweise wird eine initiale 
Kalibrierung zur Kompensation durchgeführt, ganz so einfach ist das also 
nicht. Die Programmierung dieser Sachen ist anspruchsvoll: Es ist schwer 
zu debuggen und um wirklich ordentliche Ergebnisse zu erhalten, wird 
Erfahrung und Mathematik benötigt. Das kannst du von Schülern nicht 
erwarten.

Schüler sind nicht dumm, aber die hatten wenig Zeit, sich mit 
irgendeinem Thema zu beschäftigen. Der Zugang zu einem Thema muss also 
so einfach wie möglich sein; einfach nicht im Sinne von "dumm," sondern 
im Sinne von "möglichst wenige Anforderungen an alles, was nichts mit 
dem Thema zu tun hat."
Deine Anforderungen sind enorm. Die Schüler müssen erst einmal deinen 
Arduino und die Sensoren richtig verdrahten, ohne was zu zerstören, dann 
irgendwas programmieren und dann irgendwelche kryptischen Datenmengen 
auswerten, alles mit einem sich bewegenden Fahrzeug. Lernen sollen sie 
auch noch was dabei, wahrscheinlich irgendwelche 
Signalverarbeitungskonzepte. Und das alles in wieviel 
Unterrichtsstunden? 2? 4? Einem Projekttag, wo du vielleicht 6 
Unterrichtsstunden kriegst? Schau dir mal an, was Hardware-Hersteller so 
als Einführungsseminare in deren Produkte anbieten, das dauert auch nen 
ganzen Tag und ist kaum mehr als den Beispielcode nachbasteln, um ein 
paar wichtige Konzepte mal gesehen zu haben. Und das richtet sich an 
Leute, die sich damit auskennen. Du überschätzt die Fähigkeiten von 
Schülern immens, hast falsche Vorstellungen davon, wie lange etwas 
dauert und auch falsche Vorstellungen davon, was die wie lernen sollen.

Wenn du unbedingt Sensorverarbeitung, Filter und Regelungstechnik 
einführen willst (was man kann, wenn man's richtig anstellt--für die 
meisten Schüler dürfte das trotzdem sehr uninteressant sein), dann nimm 
einfache Sensorik, die greifbar ist. Lass deinen Roboter ein Licht 
anfahren, das sich ggf. bewegt. Als Sensorik dienen zwei Lichtsensoren, 
einer schaut leicht links, der andere leicht rechts. Mit dieser 
Anordnung kannst du ganz viele Konzepte illustrieren und 
Lösungsmöglichkeiten besprechen, wie z.B. Aufschwingen bei zu schneller 
Regelung und daher die Notwendigkeit von Filtern. Du beginnst mit einer 
einfachen ungedämpften Regelung, die nur einen einzelnen Motor ansteuert 
(den, auf dessen Seite es dunkler ist), das testet dann auch, ob die 
Hardware funktioniert und ist ganz lustig, weil dein Roboter dann 
zielstrebig, aber ziemlich unkontrolliert hin- und herwackelt. Danach 
können Konzepte eingeführt werden, die Sensordaten ein wenig 
aufzubereiten, einfache Ideen sind z.B. die Summe der Signale ("wie weit 
bin ich vom Licht weg?") und die Differenz ("wie stark muss ich mich 
drehen?"). Neue Konzepte (Filtern, Filterparameter, im Ausblick dann 
PD-Regler und PID-Regler, etc.) können dann als kleine Verbesserungen 
schrittweise eingeführt werden, was auch erlaubt, zu einem beliebigen 
Zeitpunkt zum Ende zu kommen. Du brauchst ja ein Konzept, was du tust, 
wenn Schüler das sehr gut hinkriegen (Vorschlag: Parameter-Tuning) und 
auch ein Konzept, was du tust, wenn es nicht so richtig klappt. Daher 
solltest du kleine Zwischenziele setzen und dich zuerst fragen, was die 
wichtigsten Lerninhalte sind. Das aus der Richtung anzugehen, dass du 
irgendeinen Sensor hast, der tolle Dinge kann, ist absolut nicht 
zielführend.

von Reiner D. (dollreiner)


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Erstmal danke für den ausführlichen Text.
Du hast mit all deinen Aussagen im Prinzip recht, und ich finde auch 
deine Anregungen (z.b. dem Licht nachfahren) sinnvoll.
Ich wollte darüber hinaus erfahren, wie so ähnliche Ansätze speziell im 
Gymnasium, vielleicht als P-Seminar, gelaufen sind. Vielleicht hab ich 
falsch gefragt, oder nicht präzise genug.

Der didaktische Aspekt ist ein ganz anderes Thema.
Auf dem Gebiet hab ich ein wenig Erfahrung (Beispiel : 
https://www.youtube.com/watch?v=QGgmUf9xNQ8).
Auch die Technik, von der wir hier reden, ist mir gut vertraut, sie soll 
auch nicht im Zentrum stehen. Ich rede von Gymnasium.

Ich habe einfach nur mal auf den Busch geklopft, um möglicherweise von 
Erfahrungen anderer, speziell im Gymnasium, lernen zu können.
Ich kenne da einige Beispiele, z.b. eine "Roboter-AG" oder eine Arbeit 
mit gut strukturierter Analyse eines Wasserstoff-Modellautos (inc. 
Fahrwettbewerb), oder auch Beispiele für erfolgreichen Einsatz von 
Motorsteuerungsanwendungen mit PWM auf dem Arduino.

Im Gymnasium müssen alle technischen Probleme ohne Zweifel schon vorher 
aus dem Weg geräumt werden. Themen wie Filterung, Regelungstechnik oder 
auch die komplexeren Programmieraspekte (z.b. der I2C-Bus) können hier 
nicht behandelt werden und wären auch konzeptuell völlig unsinnig.
In einem in diesem Sinne vorbereiteten Kontext aber eine Praxisanwendung 
der Integralrechnung (Acc -> Weg) verstehen und vielleicht ein wenig mit 
Erfolg ausprobieren zu können, schon.

: Bearbeitet durch User
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