Frage an die Praxisleute : Inwieweit sich die Kombi aus Arduino und einem IMU-Sensor im Kontext einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt. Ein Auto fahren lassen mit PWM und 'ner H-Brücke ist ja kein Ding, zur Not kriegt man auch einen 2-Punkt Regler mit Optik zum "fahren an der Linie" hin. Ist ohne know-how auf diesem Gebiet (Wissen über Probleme wie Offsetfehler, digitale Filter, Sensorfusion usw.) auch ein Einsatz von IMU-Sensorik möglich ? Kann man z.b. an einem Modellauto mit einem Beschleunigungssensor über Integration ohne Tüftelei auf Geschwindigkeit und Weg schließen ? Hat jemand da Praxiserfahrung, sowas schon mal versucht ?
Du überschätzt Kenntnisse an allgemeinbildenden Schulen. Hardware und deren Programmierung sind nicht-trivial und brauchen viel Zeit, an allgemeinbildenden Schulen kann aufgrund der Breite des Lehrplans und der wenigen Zeit, die einzelnen Themen zusteht, nicht so in die Tiefe gegangen werden. Es gibt ja genügend Material, das sich an Schüler richtet. Microbit, Calliope, auch manche Arduino-Sachen. Dort wirst du einfachste Aufgaben finden, die aber dem Schulniveau angemessen sind. Du musst dich auch immer fragen, was du eigentlich vermitteln willst. Die Inhalte, die du vermitteln willst, sollten mit so geringer technischer Komplexität wie möglich kommuniziert werden, da bei jeder zusätzlichen Komponente, jedem zusätzlichen tool, jedem zusätzlichen Schritt jedes Mal die Gefahr besteht, dass es länger dauert und nicht funktioniert, Schüler den Fokus verlieren und nicht mehr mitkriegen, worum es eigentlich geht. Sieh alles, was nichts unmittelbar mit deinen Inhalten zu tun hat, als "black box". Schüler sollen kein fundamentales Verständnis dafür kriegen, sondern das mal gesehen haben und vielleicht Interesse dafür bekommen. Die Beschäftigung mit einer IMU halte ich übrigens aufgrund der komplexen Signalauswertung, der schwer zu erklärenden Sensorik, des starken Rauschens und der hohen Komplexität des "Drumherums" für relativ schlecht geeignet, um Schülern irgendwas zu vermitteln. Überlege dir, was du vermitteln willst und finde dann möglichst einfache Möglichkeiten, das umzusetzen.
Reiner D. schrieb: > Inwieweit sich die Kombi aus Arduino und einem IMU-Sensor im Kontext > einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt. Kannst du grundsätzlich machen. Aber auf wie lange ist das Projekt ausgelegt? Ich bin ET-Student und nebenbei im Job arbeite ich an einem ähnlichen Projekt und habe nach ca. 6 Monaten immer noch relativ wenig vorzuzeigen (ok, mein Projekt ist auch etwas komplexer aber trotzdem). Reiner D. schrieb: > Ist ohne know-how auf diesem Gebiet (Wissen über Probleme wie > Offsetfehler, digitale Filter, Sensorfusion usw.) auch ein Einsatz von > IMU-Sensorik möglich ? Kann man z.b. an einem Modellauto mit einem > Beschleunigungssensor über Integration ohne Tüftelei auf Geschwindigkeit > und Weg schließen ? Nein, aber dieses Knowhow kannst du dabei erwerben. Sollte das nicht das Ziel sein? Etwas anspruchsvoller als ein Arduino Skript hochladen sollte es schon sein. Ohne Filterung hat meine IMU eine Drift von ca. 40+ km innerhalb weniger Stunden. Wohlgemerkt im Stillstand, in Bewegung will ich es gar nicht wissen. Du brauchst mindestens einen Tiefpass-Filter (Butterworth hat sich als brauchbar erwiesen). Besser Kalman Filter. Sind an sich nur ein paar Zeilen Code, aber der ist eine ziemliche Herausforderung einzustellen. Wenn es nicht besonders genau sein soll, kannst du über Integration die Geschwindigkeit wenigstens halbwegs gut schätzen. Meinst du mit Weg wirklich nur Weg oder Position? Eine IMU kann dir keine Position ermitteln, sondern nur den Vector von vorheriger Position zu aktueller Position. Um eine absolute Position zu bekommen, brauchst du so etwas wie GPS zum Abgleich. Und dann bist du im Bereich Sensor Fusion. Wenn du noch weitere Sensoren einsetzt, solltest du die auf jeden Fall kombinieren, um zu testen, ob die Daten auch Sinn machen.
Michael D. schrieb: > Du brauchst mindestens einen Tiefpass-Filter (Butterworth hat sich als > brauchbar erwiesen). Butterworth ist ein Analogfilter. In einem Abtastsystem bekommst du so einen Frequenzgang sowieso nur als Näherung (Stichwort Aliasing).
Wir haben damals (in den 1980er) am allgemeinbildenen Gymnasium in Informatik mit (Apple ][-) PCs LEDs leuchten lassen und Taster eingelesen. Das Thema "Informatik" und Rechereinsatz zog sich von der 5. Klasse bis zum Ende durch. Sowas könnte man auch als Einstieg mit Arduino realisiern (dafür ist das Zeug bestens geeignet). Aber an irgendwelche aufwendigeren Filter- / Reglerberechnungen würde ich zu dem Zeitpunkt nicht denken. Sowas würde dann eher in eine AG mit passender Anleitung / Unterstützung statt des regulären Unterrichts passen. Manche verzweifeln daren ja noch während des Studiums.
Reiner D. schrieb: > im Kontext einer allgemeinbildenden Schule einsetzen läßt. Wenn die in der Lage sind, mit solcher Mathematik umzugehen, sollte das kein größeres Problem sein: - https://de.wikipedia.org/wiki/Kalman-Filter#Grundlagen
Das sind schon mal interessante Antworten. Im Normalfall wird in allgemeinbildenden Schulen in Seminaren oder Wahlfächern oder Ähnlichem ein Fischertechnik-"Robot" optisch an einer Linie entlanggefahren. (Ich finde dieses Teil übel überteuert). Als Basis sollte es möglich sein, mit dem Kompasssignal in 'ner Turnhalle einigermaßen geradeaus zu fahren ohne Strich auf dem Boden, Zuckerl ist hier der 360/0 - Übergang, den man ja mit der "richtigen" Zielvorgabe im Notfall auch umgehen kann ;-). Das sollte auch klappen können, ohne daß man je von PID oder so gehört hat. Ziel dieser Frage hier war, ob schon mal jemand im Gymnasium mit Beschleunigungssensoren gespielt hat. An einschlägigen beruflichen Schulen schaut das natürlich ganz anders aus, aber darum gehts hier nicht.
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Sorry, du verstehst es nicht. Was du vorschlägst, ist VIEL zu kompliziert. Außerdem bringst du hier Begriffe durcheinander. Also fangen wir mal sehr einfach an: Was sind deine Lernziele? Die Lernziele bestimmen alles Weitere. Was du stattdessen machst, ist an irgendwelchen Ergebnissen oder Technik-Komponenten festzuhalten, ohne dir darüber bewusst zu sein, welchen aus den Lernzielen motivierten Grund das eigentlich hat. Du magst Fischertechnik oder andere Schul-Sachen für überteuert halten, das ist der Schule aber ziemlich egal, das Zeug wird einmal gekauft und dann eingesetzt. Die Komponenten sind robust und unproblematisch, wahrscheinlich gibt's auch noch gut ausgearbeitete und didaktisch durchdachte Unterlagen dazu. Zur Begrifflichkeit: Eine IMU hat keinen Kompass. Wenn du noch einen Kompass verwenden willst, beachte bitte, dass der durch Motoren und andere Metallteile gern gestört wird. Sinnvollerweise wird eine initiale Kalibrierung zur Kompensation durchgeführt, ganz so einfach ist das also nicht. Die Programmierung dieser Sachen ist anspruchsvoll: Es ist schwer zu debuggen und um wirklich ordentliche Ergebnisse zu erhalten, wird Erfahrung und Mathematik benötigt. Das kannst du von Schülern nicht erwarten. Schüler sind nicht dumm, aber die hatten wenig Zeit, sich mit irgendeinem Thema zu beschäftigen. Der Zugang zu einem Thema muss also so einfach wie möglich sein; einfach nicht im Sinne von "dumm," sondern im Sinne von "möglichst wenige Anforderungen an alles, was nichts mit dem Thema zu tun hat." Deine Anforderungen sind enorm. Die Schüler müssen erst einmal deinen Arduino und die Sensoren richtig verdrahten, ohne was zu zerstören, dann irgendwas programmieren und dann irgendwelche kryptischen Datenmengen auswerten, alles mit einem sich bewegenden Fahrzeug. Lernen sollen sie auch noch was dabei, wahrscheinlich irgendwelche Signalverarbeitungskonzepte. Und das alles in wieviel Unterrichtsstunden? 2? 4? Einem Projekttag, wo du vielleicht 6 Unterrichtsstunden kriegst? Schau dir mal an, was Hardware-Hersteller so als Einführungsseminare in deren Produkte anbieten, das dauert auch nen ganzen Tag und ist kaum mehr als den Beispielcode nachbasteln, um ein paar wichtige Konzepte mal gesehen zu haben. Und das richtet sich an Leute, die sich damit auskennen. Du überschätzt die Fähigkeiten von Schülern immens, hast falsche Vorstellungen davon, wie lange etwas dauert und auch falsche Vorstellungen davon, was die wie lernen sollen. Wenn du unbedingt Sensorverarbeitung, Filter und Regelungstechnik einführen willst (was man kann, wenn man's richtig anstellt--für die meisten Schüler dürfte das trotzdem sehr uninteressant sein), dann nimm einfache Sensorik, die greifbar ist. Lass deinen Roboter ein Licht anfahren, das sich ggf. bewegt. Als Sensorik dienen zwei Lichtsensoren, einer schaut leicht links, der andere leicht rechts. Mit dieser Anordnung kannst du ganz viele Konzepte illustrieren und Lösungsmöglichkeiten besprechen, wie z.B. Aufschwingen bei zu schneller Regelung und daher die Notwendigkeit von Filtern. Du beginnst mit einer einfachen ungedämpften Regelung, die nur einen einzelnen Motor ansteuert (den, auf dessen Seite es dunkler ist), das testet dann auch, ob die Hardware funktioniert und ist ganz lustig, weil dein Roboter dann zielstrebig, aber ziemlich unkontrolliert hin- und herwackelt. Danach können Konzepte eingeführt werden, die Sensordaten ein wenig aufzubereiten, einfache Ideen sind z.B. die Summe der Signale ("wie weit bin ich vom Licht weg?") und die Differenz ("wie stark muss ich mich drehen?"). Neue Konzepte (Filtern, Filterparameter, im Ausblick dann PD-Regler und PID-Regler, etc.) können dann als kleine Verbesserungen schrittweise eingeführt werden, was auch erlaubt, zu einem beliebigen Zeitpunkt zum Ende zu kommen. Du brauchst ja ein Konzept, was du tust, wenn Schüler das sehr gut hinkriegen (Vorschlag: Parameter-Tuning) und auch ein Konzept, was du tust, wenn es nicht so richtig klappt. Daher solltest du kleine Zwischenziele setzen und dich zuerst fragen, was die wichtigsten Lerninhalte sind. Das aus der Richtung anzugehen, dass du irgendeinen Sensor hast, der tolle Dinge kann, ist absolut nicht zielführend.
Erstmal danke für den ausführlichen Text. Du hast mit all deinen Aussagen im Prinzip recht, und ich finde auch deine Anregungen (z.b. dem Licht nachfahren) sinnvoll. Ich wollte darüber hinaus erfahren, wie so ähnliche Ansätze speziell im Gymnasium, vielleicht als P-Seminar, gelaufen sind. Vielleicht hab ich falsch gefragt, oder nicht präzise genug. Der didaktische Aspekt ist ein ganz anderes Thema. Auf dem Gebiet hab ich ein wenig Erfahrung (Beispiel : https://www.youtube.com/watch?v=QGgmUf9xNQ8). Auch die Technik, von der wir hier reden, ist mir gut vertraut, sie soll auch nicht im Zentrum stehen. Ich rede von Gymnasium. Ich habe einfach nur mal auf den Busch geklopft, um möglicherweise von Erfahrungen anderer, speziell im Gymnasium, lernen zu können. Ich kenne da einige Beispiele, z.b. eine "Roboter-AG" oder eine Arbeit mit gut strukturierter Analyse eines Wasserstoff-Modellautos (inc. Fahrwettbewerb), oder auch Beispiele für erfolgreichen Einsatz von Motorsteuerungsanwendungen mit PWM auf dem Arduino. Im Gymnasium müssen alle technischen Probleme ohne Zweifel schon vorher aus dem Weg geräumt werden. Themen wie Filterung, Regelungstechnik oder auch die komplexeren Programmieraspekte (z.b. der I2C-Bus) können hier nicht behandelt werden und wären auch konzeptuell völlig unsinnig. In einem in diesem Sinne vorbereiteten Kontext aber eine Praxisanwendung der Integralrechnung (Acc -> Weg) verstehen und vielleicht ein wenig mit Erfolg ausprobieren zu können, schon.
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