Grüß euch!
Ich habe ein mechanisches Problem, dessen Lösung ich bislang in keiner
Weise irgendwie im Netz finden konnte, weder in Formelsammlungen noch
fertigen Rechnern; dazu muß ich allerdings auch einräumen, daß ich nicht
sagen kann, ob ich dazu die korrekten Suchworte verwendet habe.
Ich fand allerhand Beispiele für (Blatt-)Federn, aber ..
Folgendes:
Stelle dir ein dünnes Lineal aus einem federnden Stahl vor, halte es
zwischen deinen beiden Zeigefingern und drücke sie ein wenig aufeinander
zu. Erst muß eine gewisse (höhere) Kraft überwunden werden, danach
beginnt sich das Lineal zu wölben.
Meine Frage ist:
Werkstoff, Länge und Breite sind bekannt. Dazu gebe ich die Haltekraft
vor, also die Kraft, die beide Finger zusammen aufwenden müssen, um das
Lineal gebogen zu halten. Wie muß die Stärke des Materiales sein?
Hier kam das "Aber" von oben ins Spiel, denn ich fand keine Beispiele,
wo jemand das Blatt auf diese Weise staucht.
Als Beispiel mal ganz konkrete Zahlen:
Werkstoff 1,1274 oder 1.4310 (beide m.W. E-Modul ca. 210GPa).
Länge: 500mm, Breite 12.7mm.
Wenn ich jetzt eine genullte Küchenwaage an die Wand tackere (also
Schwerkraft und Eigengewicht des Materials ignoriere), ein Ende des
Blattes dort senkrecht zu ihr arretiere, und das freie Ende, das bisher
noch 500mm absteht, um 20mm auf die Waage zudrücke - dann habe ich eine
Biegung, und auf der Waage stehen ca. 200g drauf. Wie stark ist das
Blatt?
Eine Rechnung konnte ich machen, aber bin nicht sicher, ob ich das alles
korrekt gemacht habe. Gerechnet wurde mit der Durchbiegung eines Trägers
bei gleichmäßig verteilter Streckenlast, allerdings wirkt diese ja doch
senkrecht auf den Träger, nicht längs, wie in meinem Fall, richtig?
In Kürze:
1
δ = (P * l³) / (3 * E * I) => I = (P * l³) / (3 * E * δ)
2
I = (b * h^3) / 12 für einen rechteckigen Querschnitt
3
Zusammen dann: h = ((12 * P * l³) / (3 * E * b * δ))^(1/3)
Mike K. schrieb:> Stelle dir ein dünnes Lineal aus einem federnden Stahl vor, halte es> zwischen deinen beiden Zeigefingern und drücke sie ein wenig aufeinander> zu. Erst muß eine gewisse (höhere) Kraft überwunden werden, danach> beginnt sich das Lineal zu wölben.Mike K. schrieb:> allerdings wirkt diese ja doch> senkrecht auf den Träger, nicht längs, wie in meinem Fall
Mach doch mal eine kleine Zeichnung mit den Kraftvektoren. Ich
jedenfalls verstehe nicht was du genau meinst.
Suchst du vielleicht "Knickung"?
https://www.maschinenbau-wissen.de/skript3/mechanik/festigkeitslehre/134-knicken-euler
Oh, ja, großartig!
Ich danke euch beiden - es ist eine Knickung, genau genommen der zweite
Eulersche Knickfall (beide Enden freidrehend gelagert).
Wäre ich so nie(!) drauf gekommen, Knickung hat für mich
gewohnheitsgemäß den Charakter einer bleibenden Verformung. Ich merke,
auf solche Annahmen sollte ich mich künftig nicht zu sehr verlassen,
aber dennoch hätte es noch lange gedauert, bis ich dort gesucht hätte.
Besten Dank für die Abkürzung!
Jetzt noch herausfinden, was genau ich rechnen muß ;)
Edit:
1
Ich nehme Pkrit = (π² * E * I) / L², stelle um nach I:
2
I = (Pkrit * L²) / (π² * E), setze ein:
3
I = (2N * 0.48m²) / (π² * 2e11Pa) und bekomme
4
I = 2.8672e-10m⁴. Das setze ich gleich mit
5
I = (b * h³) / 12 für rechteckige Querschnitte, bekomme nach Umstellen:
6
h³ = 2.8672e-10 * 12 / 0.0127, ergibt:
7
h = 2.54mm
Klingt viel zu dick. Ich probiere es später nochmals.
Um meine Fragestellung an die neue Kenntnislage anzupassen:
Gesucht ist die Dicke eines Stabes mit l=500mm b=12.7mm E=200GPa, der im
Eulerschen Knickfall 2 bei Anwendung der Kraft F=2N (~200g) eine
Knicklänge von 480mm einnimmt und sich dort im Kräftegleichgewicht
befindet (also durch seine Spannung 2N nach außen wirkt und dem Druck
entgegensetzt).
Deine neue Frage kann über die Eulerschen Knickfälle nicht beantwortet
werden. Diese ermitteln genau die Kraft, bei der die Verformung am Stab
(je nach Lagerung) gerade nicht mehr null ist.
Die Knickung bei einer Exzentrizität von null ergibt für die
Gleichgewichtslage ja ein indifferentes Gleichgewicht, d.h. der Stab
knickt beim Erreichen der Knickkraft beliebig aus (siehe Diagramm).
Deine Aufgabenstellung kann näherungsweise (kleine Biegung) gelöst
werden, wenn man eine sehr kleine Exzentrizität hinzufügt. Jetzt kannst
du mit deinen Angaben einen Biegebalken dimensionieren. In meinem
Beispiel verformt sich also ein Balken mit den gegebenen Parametern und
einer axialen Druckkraft von 1.98N um 13mm.
Joe G. schrieb:> Die Knickung bei einer Exzentrizität von null ergibt für die> Gleichgewichtslage ja ein indifferentes Gleichgewicht, d.h. der Stab> knickt beim Erreichen der Knickkraft beliebig aus (siehe Diagramm).> Deine Aufgabenstellung kann näherungsweise (kleine Biegung) gelöst> werden, wenn man eine sehr kleine Exzentrizität hinzufügt. Jetzt kannst> du mit deinen Angaben einen Biegebalken dimensionieren. In meinem> Beispiel verformt sich also ein Balken mit den gegebenen Parametern und> einer axialen Druckkraft von 1.98N um 13mm.
Und das Ergebnis läßt sich experimental bestätigen?
Esmu P. schrieb:> Und das Ergebnis läßt sich experimental bestätigen?
Ja, recht gut. Ein Kunststofflineal (45mm x 3mm x 300mm) knickt bei ca.
2kg Axialkraft 15mm aus. Die Berechnung bestätig das.
Eine Blattfeder ist kein Eulerscher Knickfall, weil die Lastrichtung
beim Eulerschen Knickfall anders ist. Eine Blattfeder ist ein normaler
Biegebalken und hat bei einer Fest-Loslagerkombination eine stetige
Kennlinie.
Bei einer Fest-Festlagerkombination ist es immer noch ein Biegebalken,
aber dummerweise keine stegige Kennlinie mehr, da ein Durchschlagproblem
(und damit mathematisch ein Verzweigungsproblem).
Eine reale Blattfeder ist üblicherweise als Fest-Loslagerkombination
ausgeführt, indem eine Seite pendelt.
Dummerweise ist sie nicht einfach zu berechnen, weil ja normalerweise
aus einem Paket von Blattfedern unterschiedlicher Länge besteht -
meistens schubweich gekoppelt.
Lange Reder kurzer Sinn: Deine Blattfeder ist keine Blattfeder, sondern
ein Knickstab Fall 2. Deswegen wirst Du bei der Suche nach "Blattfeder"
auch nicht fündig.
Wow, danke dir sehr, Joe, für das Rechenbeispiel und die Überlegungen
dazu!
Ich brauche etwas mehr Zeit, um mich da genauer durchzudenken und zu
schauen, was ich da noch umstellen kann, um auf meine Antwort zu kommen.
Walter T. schrieb:> Deine Blattfeder ist keine Blattfeder, sondern ein Knickstab Fall 2.
Ja, auf den Knickfall wurde ich ja bereits ganz zu Anfang gebracht. Habe
dann nicht weiter nach Federn gesucht und im 4. Post konkretisiert:
Mike K. schrieb:> Gesucht ist die Dicke eines Stabes mit l=500mm b=12.7mm E=200GPa, der im> Eulerschen Knickfall 2 bei Anwendung der Kraft F=2N (~200g) eine> Knicklänge von 480mm einnimmt und sich dort im Kräftegleichgewicht> befindet
Wie genau die Auslenkung aussieht, wie groß sie ist, das ist
möglicherweise ein notwendiger Zwischenschritt - ist mir aktuell
unmöglich, das zu beurteilen.
Mike K. schrieb:> Dazu gebe ich die Haltekraft> vor, also die Kraft, die beide Finger zusammen aufwenden müssen, um das> Lineal gebogen zu halten.
Hier ist das Problem. Wenn Du die Auslenkung vorgibst, kannst Du die
Haltekraft relativ problemlos berechnen.
Wenn Du die Haltekraft vorgibst, gibt es für manche keine, eine oder
mehrere Lösungen. Ein typisches Verzweigungsproblem.
(Geometrisch nichtlinear ist es in beiden Fällen.)
Außerdem ist die Lage der Verzweigungspunkte dummerweise noch sehr stark
von den geometischen und Materialparametern abhängig.
Das Problem zwischen maximaler Durchbiegung und Auslenkung lässt sich
gut theoretisch fassen, indem man die Bogenlänge der Biegeline
berechnet. Leider ist mir das für meine Biegeline nicht gelungen. Das
Integral für die Bogenlänge ließ sich nicht analytisch lösen, jedenfalls
nicht für mich. Ich habe die Biegeline aber mal durch eine quadratische
Funktion aproximiert. Hier kann das Integral gelöst werden. Somit hast
du für diese Vereinfachung den Zusammenhang zwischen Kraft und der Sehne
der Biegeline. Alles wie in meiner Herleitung mit einer kleinen
Exzentrizität.
Das Biegemoment an den Enden ist Null und in der Mitte maximal. Damit
ist die Biegelinie eine Linie sich stetig ändernden Krümmung, eine
Klothoiode.
Das macht analytisch keinen Spaß.
Sehr interessant, danke erneut für die erhellenden Beiträge! (Die
konsequenten Downvotings sind nicht von mir O,o)
Vor gut 22 Jahren hatte ich das Thema mal im Anschnitt im Fach
Werkstoffkunde, leider zu kurz.
Hatte drauf gepokert, daß es hierzu einen praktikablen Rechenweg gäbe,
aber nachdem ich jetzt auch nochmal näher in den Kaninchenbau geblickt
habe, den Walter zuletzt ausmalte, entscheide ich mich für den
taktischen Rückzug; der Anwendungsfall wird dem Aufwand nicht so
wirklich gerecht.
Praktische Versuche mit relativ ähnlich gearteten Stäben zeigen, daß
nach Überschreiten der kritischen Axiallast Fk und damit dem
Zusammenbrechen der Stabilität geringe Kraftzuwächse enorme
Auslenkungsveränderungen hervorrufen; also genau so, wie es die Kurven
in Joes PDF (ein extra Merci dafür nochmals, Joe!) für sehr geringe
Exzentrizitäten erkennen lassen.
Im Prinzip kann ich für den Grad an Schlankheit wohl tatsächlich einfach
mit Fk rechnen, was mich irgendwo in den Bereich h = 0.65..0.7 mm
bringt, mit Fk = 2.3 respektive 2.9 N. Bei einer um 40 mm kürzeren Sehne
kommen dann vermutlich noch knapp 0.4..0.6 N dazu. Wäre alles noch ganz
gut im Rahmen.
Hätte vermutlich ganz gerne noch István Szabó näher dazu befragt, der
sich Gerüchten zufolge mit diesem Bereich des Knickfalls bzw. dem, was
nach Überschreiten von Fk passiert, näher beschäftigt hat, aber ich habe
weder Zugang zu Uni-Bibliotheken noch passende Ingenieure im Umfeld.
Andererseits wäre das vielleicht zu viel mit Kanonen auf Spatzen
geschossen in diesem Fall ;)
Ich danke für den Input!
OT: Bei den meisten Uni-Bibliotheken ist auch mit Gastausweis Zugriff
auf das gesamte Programm erlaubt.
Was hast Du eigentlich vor? Analytisch ist das Problem nicht einfach,
aber numerisch ist es eigentlich ganz gut in den Griff zu bekommen.
(Ich hatte das mal vor vielen Jahren als Studienarbeit als FEM
implementiert. Waren unterm Strich ca. 500 Zeilen FORTRAN. Ich finde
allerdings meine alten Aufzeichnungen nicht mehr.)
Fortran ^^ Habe ich Ende der 80er mal auf einem alten TRS-80 mit
herumgeurkst. FreeFEM schmeckt das auch noch; hatte kurz zu FEM
herübergeblinzelt, ob ich da eine Lösung versuchen soll, aber mich dann
dagegen entschieden. Prioritäten und verfügbare Zeit erlauben das nicht.
Im Kern geht es darum, daß ich zwei sich gegenüberstehende Sockel mit
Aufnahmen für diese o.g. Federbänderstücke habe. Die Sockel sind mit
einer Querstange fest verbunden und so gestaltet, daß man ein solches,
gerades Federband nimmt, es biegt und mit beiden Enden so gebogen in die
vorgesehenen Aufnahmen einlegt. Die Sockel halten es danach durch die
Kraft des Bandes, in die gerade Ausgangslage zurückzuwollen, so fest. In
ein solches Sockelpaar können bis zu zehn solcher Bänder nebeneinander
eingelegt werden.
Die Frage nach der Kraft ergibt sich einerseits daraus, daß die Sockel
ihr standhalten müssen, die Querstange ebenfalls. Andererseits wollte
ich ein möglichst geringes Gesamtgewicht, also mit Bändern und Sockeln
so dünn wie möglich gehen. Ich habe dazu willkürlich bzw. praktisch
ermittelt 2 N als die Kraft festgelegt, die ausreicht, damit sich keines
der Bänder durch Eigengewicht, Anstoßen und übliche Vibration aus dem
Sockel lösen kann.
Aus dem Grund suchte ich nach jener Dicke, bei der am Punkt des
Zusammendrückens um 40mm (oben steht 20, das war aber etwas zu wenig)
etwa eine Kraft von 2 N nach außen wirkt. Plus minus großzügigere
Toleranzen.
Ah, gut zu wissen. Dann muß ich für künftige Fälle mal schauen, ob ich
bei der RWTH einen Gastausweis bekomme.
Moment - Du willst einfach nur die Lagerreaktionen eines verbogenen
Balkens ohne weitere externe Kräfte berechnen, um einen Riegel
auszulegen?
Dann lege das Ganze einfach auf die Knickkraft aus. Größer wird die
Kraft nie, und ein Zugstab muss eh nur sehr dünn sein, um riesige Kräfte
aufnehmen zu können.
Bestes Beispiel sieht man ja beim Flitzebogen, wenn man bedenkt, wie
eine winzig dünne Sehne einen ziemlich dicken Bogen auf Spannung halten
kann.
Wenn der Balken nie wieder gestreckt wird, hast Du dann riesige
Reserven.